Rund zwei Wochen nach dem Sturz des Assad-Regimes ist Bundesaußenministerin Annalena Baerbock am Freitag zu Gesprächen über die Lage in Syrien in die Türkei gereist. In Ankara will die Grünen-Politikerin mit ihrem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan sprechen. Zudem sei ein Treffen mit der syrischen Diaspora geplant, hieß es aus dem Auswärtigen Amt.
Sie reise in die Türkei, weil die internationale Gemeinschaft ihren „Beitrag zur Stabilisierung Syriens“ nur gemeinsam leisten könne und dafür alle „an einem Strang ziehen“ müssten, sagte Baerbock vor ihrem Abflug. Nach dem Sturz von Assad hänge die Zukunft in Syrien noch „an einem seidenen Faden“. Das Land dürfe weder zum „Spielball fremder Mächte“, noch zum „Experiment radikaler Kräfte“ werden, betonte sie. Wer Frieden in der Region erreichen wolle, dürfe die territoriale Integrität Syriens nicht unterminieren.
„Wenn Syrien zur Ruhe kommen will, muss es jetzt einen innersyrischen Dialogprozess geben, der alle gesellschaftlich relevanten Gruppen einschließt“, sagte Baerbock weiter. Die Außenministerin verwies auf einen Acht-Punkte-Plan der Bundesregierung zur Zukunft Syriens, der darauf abzielt, Stabilität im Land zu schaffen, den Wiederaufbau zu fördern und eine sichere Rückkehr Geflüchteter zu ermöglichen. Die vergangene Woche vorgestellte Roadmap sieht unter anderem freie und demokratische Wahlen und einen Schutz des Landes vor ausländischer Einmischung vor.
Zu einer möglichen Rückkehr syrischer Flüchtlinge sagte Baerbock: „Wenn Syrien wieder aufgebaut werden soll, wenn Menschen zurückgehen sollen, kann das nur funktionieren, wenn niemand mehr Angst haben muss, verfolgt zu werden.“ Dies sollte „auch im Interesse der türkischen Regierung sein“. Im Bundestag hatte Baerbock am Mittwoch zudem angekündigt, bei ihrer Türkei-Reise die Lage der kurdischen Bevölkerung Syriens ansprechen zu wollen.
Invasionen, Besatzungskriege und neue Drohungen
Die Türkei ist gemeinsam mit ihrer dschihadistischen Proxy-Truppe „Syrische Nationalarmee“ (SNA) Besatzungsmacht in Nordsyrien. Zwischen 2016 und 2019 ist der NATO-Staat gleich vier Mal im westlichen Kurdistan, auch bekannt als Rojava, einmarschiert, und hat weite Teile im Grenzstreifen besetzt – darunter Efrîn (Afrin), Serêkaniyê (Ras al-Ain) und Girê Spî Tall Abyad) – um eine sogenannte „Sicherheitszone“ zu etablieren und die Demographie zu seinen Gunsten zu verändern. Seither führt die Türkei einen unbeachteten hybriden Krieg gegen die Demokratische Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES). Im Windschatten der Offensive der Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die Assad zum Sturz brachte, erweitere Ankara seine illegale Besatzungszone in Syrien und zusammen mit seinen SNA-Söldnern die bis dato selbstverwalteten Städte Tel Rifat und Minbic. Aktuell droht die Türkei mit einem Großangriff auf die symbolträchtige Stadt Kobanê.
Foto: Annalena Baerbock und Hakan Fidan beim NATO-Außenministertreffen Anfang Dezember in Brüssel © Außenministerium Türkei