In einem gemeinsamen Bericht von Human Rights Watch und Border Forensics heißt es, der Einsatz von Drohnen durch Frontex und die EU stelle eine „Bedrohung für Migranten und Flüchtlinge“ dar. Die maritime Luftüberwachung (Maritime Aerial Surveillance, MAS) ist laut Frontex integraler Bestandteil ihrer Operationen. Dabei werden Überwachungsflugzeuge und -drohnen eingesetzt, die Videos und andere Daten von den EU- und Schengen-Außengrenzen direkt an die Zentrale in Warschau sowie an nationale und europäische Behörden übermitteln und so eine Überwachung in Echtzeit ermöglichen.
Drohnen helfen bei Verschleppung in Folter und Ausbeutung
Diese Erfassung durch Drohnen und die Weitergabe von Daten stellen jedoch eine akute Bedrohung für Schutzsuchende dar. Die beiden Menschenrechtsinitiativen beschreiben diese Bedrohung mit den Worten: „Trotz erdrückender Beweise für Folter und Ausbeutung von Migrant:innen und Flüchtlingen in Libyen – laut den Vereinten Nationen Verbrechen gegen die Menschlichkeit – hat die Europäische Union in den letzten Jahren die Bemühungen der libyschen Kräfte unterstützt, Boote abzufangen. Sie hat ihre eigenen Schiffe abgezogen und ein Netz von Luftfahrzeugen privater Unternehmen installiert. Seit Mai 2021 setzt die EU-Grenzschutzagentur Frontex von Malta aus eine Drohne ein, deren Flugmuster zeigen, welche entscheidende Rolle sie bei der Entdeckung von Booten in der Nähe der libyschen Küsten spielt. Frontex gibt die Informationen der Drohne an die Küstenbehörden weiter, auch an Libyen.“
„Als wir sahen, dass es die Libyer waren, fingen wir an zu weinen“
Während Frontex behauptet, allein aus der Motivation der Lebensrettung zu handeln, dient der Drohneneinsatz vor allem dem Zurückschleppen von Schutzsuchenden nach Libyen. In der Erklärung von Human Rights Watch wird der Bericht eines Betroffenen zitiert: „Wir wussten nicht, dass es die Libyer waren, bis das Boot nahe genug herankam und wir die Flagge sehen konnten. Da fingen wir an zu schreien und zu weinen. Ein Mann versuchte, ins Meer zu springen, und wir mussten ihn aufhalten. Wir wehrten uns so gut es ging, um nicht zurückgeschleppt zu werden, aber wir konnten nichts tun“, berichtete der Schutzsuchende Dawit aus Eritrea. Er, seine Frau und Tochter hatten versucht, in Europa Zuflucht zu finden.
Statt Sea-Watch sogenannte libysche Küstenwache informiert
An dem Tag, an dem Dawit und seine Familie auf See aufgegriffen wurden, fing die sogenannte libysche Küstenwache mindestens zwei andere Boote ab und brachte mindestens 228 Menschen zurück nach Libyen. Eines dieser Boote wurde in internationalen Gewässern, innerhalb des maltesischen Such- und Rettungsgebiets, abgefangen. Dies stellt die Praxis eines illegalen Pullbacks dar. Die Flugbahn der Drohne deutet darauf hin, dass sie die Boote überwachte, aber Frontex hatte das nahe gelegene nichtstaatliche Rettungsschiff Sea-Watch nicht informiert.
2021: 32.450 Menschen nach Libyen zurückgeschleppt
Allein im vergangenen Jahr wurden 32.450 Menschen abgefangen und nach Libyen zurückgebracht. Dort sind sie willkürlicher Inhaftierung und schwersten Übergriffen ausgesetzt. Dies bestätigen Menschenrechtsorganisationen, der UNHCR und die IOM. Diese Institutionen haben wiederholt darauf hingewiesen, dass Schutzsuchende, die nach Libyen zurückgebracht werden, nicht sicher sind und oft willkürlich inhaftiert werden, unmenschlichen Bedingungen ausgesetzt sind und immer wieder gefoltert, geschlagen und vergewaltigt werden. Es wurde auch über Todesfälle von Migrant:innen in libyschem Gewahrsam berichtet. Die Gefängnisse werden von verschiedenen Milizen betrieben, von denen einige von der libyschen Regierung unterstützt werden, während andere unabhängig agieren.
Titelbild: Die libysche Küstenwache greift ein Boot mit Geflüchteten auf. Hannah Nickell/Moonbird