Analyse: Türkei versucht vor Konsolidierung, kurdische Errungenschaften zu vernichten
Die Journalistin Dîlan Dîlok analysiert: „Die Türkei will die kurdischen Errungenschaften vernichten, noch bevor sich der Staub in Syrien gelegt hat.“
Die Journalistin Dîlan Dîlok analysiert: „Die Türkei will die kurdischen Errungenschaften vernichten, noch bevor sich der Staub in Syrien gelegt hat.“
Das letzte der baathistischen Regime ist gefallen. Mit einer Offensive der dschihadistischen Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) am 27. November stürzte das Regime wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Der Iran und Russland konnten oder wollten keine Unterstützung mehr für das Assad-Regime leisten. Eine 61-jährige Ära der Diktatur ging zu Ende, was jetzt kommt, ist weiter unklar. Sicher ist allerdings, dass die Türkei mit ihren Söldnergruppen der SNA („Syrische Nationalarmee“) versucht, noch vor einer Konsolidierung die selbstverwalteten Gebiete von Nord- und Ostsyrien und die dort entwickelten Errungenschaften zu vernichten.
„Russland ist der zweite große Verlierer“
Die Journalistin Dîlan Dîlok analysierte für die Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) die Lage in der Region. Sie berichtete, dass in den selbstverwalteten Gebieten die letzten Regimeenklaven und Militärbasen der Selbstverwaltung übergeben wurden. Der zweite große Verlierer neben dem Regime sei Russland, sagte Dîlan Dîlok und führte aus: „Die Russen haben ihre Truppen aus vielen Gebieten abgezogen: aus Kobanê, Deir ez-Zor, Minbic und aus einem Gebiet um den Flughafen von Qamişlo. Es scheint, dass Russland zusammen mit Baschar al-Assad einer der Verlierer in Syrien ist.“
Dîlan Dîlok © Mezopotamya Ajansı
„Oppositionskräfte foltern und morden“
Zur Situation in Syrien insgesamt sagte Dîlan Dîlok: „Abgesehen vom Krieg, den der türkische Staat gegen die kurdische Bevölkerung gestartet hat, sind die Auseinandersetzungen weitgehend beendet. Derzeit verüben Oppositionskräfte Hinrichtungen, Folterungen und Verhaftungen an regimetreuen alawitischen Gruppen, kurz gesagt, an allen, die nicht an ihrer Seite sind. Auch die Kämpfe zwischen den Kurden und den von der Türkei direkt ausgebildeten Söldnergruppen sind kein direkter militärischer Konflikt mit HTS.“
„Die Türkei interveniert direkt“
Dîlan Dîlok wies darauf hin, dass die Türkei alles daran setze, ihre eigenen Ziele noch während dieser Übergangsphase zu verwirklichen: „Die Türkei will die kurdischen Errungenschaften vernichten, noch bevor sich der Staub in Syrien gelegt hat. Sie hat ihre durch Kurdenhass motivierten paramilitärischen Söldnergruppen, die sie seit Jahren aufgebaut hat, losgelassen, um die kurdischen Errungenschaften mindestens zu begrenzen. Als diese sich als nicht ausreichend erwiesen, griff die Türkei mit Kampfflugzeugen, Drohnen und Artillerie direkt ein.“
Guerillakrieg in Minbic
Zum Angriff auf Minbic erklärte Dîlok: „Die türkische Regierung meinte, dass sie in kurzer Zeit Erfolg haben würde. Angesichts des massiven Widerstands des Militärrats von Minbic ist sie jedoch nochmals von ihrem vor Tagen erklärten ‚Sieg‘ abgerückt und hat erklärt, dass die Kämpfe weitergehen. Sie versucht jedoch, die Tatsachen zu verdrehen und über die Medien intensiv psychologische Kriegsführung betreiben. Den Söldnern, die von Drohnen, Flugzeugen und Artillerie unterstützt werden, ist es seit 13 Tagen nicht gelungen, den Widerstand zu brechen, und sie wurden aus einigen Gebieten, in die sie eingedrungen waren, zurückgeschlagen. In der Region Minbic kommt es derzeit zu heftigen Gefechten. Auch wenn es stellenweise den Anschein eines Frontkriegs hat, wird in der Region im Wesentlichen ein Krieg mit moderner Guerillataktik geführt.“ Dîlok zeigte führte aus, dass es beim Angriff auf Minbic eigentlich darum gehe, in Nord- und Ostsyrien arabischen Nationalismus gegen die Kurd:innen aufzuhetzen. Daher würden auch, um Chaos zu schüren, Auseinandersetzungen in Deir ez-Zor und Raqqa hochgespielt.
Israelische Angriffe
In der Nacht zum 10. Dezember wurden ehemalige Regimeanlagen in den selbstverwalteten Regionen durch die israelische Luftwaffe angegriffen. Dabei handelte es sich insbesondere um Militäranlagen und den Flughafen von Qamişlo. Dîlok kommentierte: „Bereits vor einigen Tagen begann Israel mit seinen Streitkräften in den Golanhöhen vorzurücken. Israel versucht, die kritischen Einrichtungen zu vernichten, damit die neuen Machthaber in Syrien nicht über diese Ressourcen verfügen. Israel wird, soweit wir das beurteilen können, direkt in das neue System involviert sein. Es ist mit einer chaotischen Entwicklung in der nächsten Zeit zu rechnen.“
„Das, was die Kurden geschaffen haben, ist die beste Lösung“
Dîlok warnte, dass die HTS einen Staat auf der Grundlage der Scharia errichten wollen und schloss ihre Analyse: „Obwohl Abu Mohammad al-Jolani, der Anführer der HTS, gemäßigte Botschaften verkündet und sich als Befürworter der Versöhnung darstellt, wird deutlich, dass die Kabinettsmitglieder der neuen Regierung versuchen, einen islamischen Staat auf der Grundlage der Scharia zu errichten. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die kommende Zeit sehr ernste Probleme mit sich bringen wird. Es ist unwahrscheinlich, dass dies von den Menschen in Syrien und den internationalen Mächten akzeptiert werden wird. Auch wenn der türkische Staat unter dem Vorwand der Einheit Syriens sich mit seiner Kurdenfeindschaft einzumischen versucht, ist es offensichtlich, dass das von Kurden geschaffene Modell die ideale Lösung darstellt. Der türkische Staat wusste das und hetzte deshalb, noch bevor Damaskus gefallen war, seine Söldner auf die Kurdinnen und Kurden.“