Die HDP-geführte Kommune von Dêrika Çiyayê Mazî (türk. Derik) in der nordkurdischen Provinz Mêrdîn (Mardin) förderte auf freiwilliger Basis Schüler*innen sowie Studierende mit guten Leistungen oder in wirtschaftlicher Notlage. Dazu vergab sie nach Maßgabe von Einzelentscheidungen des Bürgermeisteramtes an etwas mehr als ein Dutzend Studierende für jeweils zwei Monate Stipendien in Höhe von 200 Lira. Seit Mitte November wird das Rathaus in Dêrika Çiyayê Mazî von einem Treuhänder zwangsverwaltet, der von der türkischen Regierung ernannt wurde. Dieser fordert die städtische Förderung nun samt Zinsen zurück. Der Grund: es habe sich um „gemeinschädliche Ausgaben“ gehandelt.
Betroffen von der Kopfschütteln hervorrufenden Maßnahme sind insgesamt dreizehn Studierende. Diese haben nun einen Monat Zeit, die Stipendien zurückzuzahlen. Andernfalls drohe ein Verfahren und weiterer Ärger.
Unter den betroffenen Studenten ist auch Ömer Erol. Er habe nun ein schlechtes Gewissen, da er der Kommune „großen Schaden“ zugefügt habe. „Natürlich ist es grob fahrlässig, Fördergelder an uns Studierende auszuzahlen. Die Zwangsverwalter sollten das Geld lieber in ihre eigene Tasche stecken“, sagte Erol mit einem sarkastischen Augenzwinkern. „Wenn ein Rathaus in Zeiten von Corona Jagd auf Studierende macht, um diese Beiträge einzufordern, dann weiß ich auch nicht, was ich dazu sagen soll“, erklärte der Student.
Abgesetzte Bürgermeister sollen ebenfalls zahlen
Auch den abgesetzten Ko-Bürgermeister*innen von Dêrika Çiyayê Mazî flatterten Zahlungsaufforderungen der Zwangsverwaltung ins Haus. „In unserem Fall betreffen uns diese Forderungen gar nicht, da es um Ausgaben geht, die von der Zwangsverwaltung verursacht wurden“, sagte Mehmet Şerif Kıran. „Wir hatten nach der Kommunalwahl im März 2019 Anzeige gegen die vorherige Zwangsverwaltung erstattet, weil sie kommunalen Grundbesitz veräußert hat. Man will sich jetzt offensichtlich revanchieren. Es ist einfach nur lächerlich“, so der abgesetzte Bürgermeister.
Repressionswelle in kurdischen Rathäusern
Seit August 2019 fegt durch die kurdischen Rathäuser in der Türkei auf Anordnung der AKP-Regierung eine Repressionswelle gegen die Demokratische Partei der Völker (HDP). Von den 65 HDP-Bürgermeister*innen, die bei der Kommunalwahl am 31. März 2019 gewählt wurden, sind inzwischen 40 ihres Amtes enthoben und durch Zwangsverwalter ersetzt worden. Gegen fast 30 von ihnen ist Haftbefehl ergangen, 25 Bürgermeister*innen sitzen noch immer im Gefängnis. In sechs Kommunen hatten die gewählten Bürgermeister*innen ihr Amt gar nicht erst antreten können, weil der Wahlausschuss ihnen die Anerkennung verweigerte. An ihrer Stelle wurden die unterlegenen AKP-Kandidaten ins Amt befördert. Die ins Amt der rechtmäßigen Bürgermeister*innen gehievten Treuhänder machen derweil durch Raub und Korruption von sich reden.
Die Begründung der Absetzungen geht auf eine altbewährte Strategie zurück: Den kurdischen Politiker*innen wird Terrorunterstützung unterstellt. Unter anderem werden sie beschuldigt, mit dem System der genderparitätischen Doppelspitze bei der HDP, wonach jeweils ein Mann und eine Frau das Bürgermeisteramt gemeinsam ausüben, auf Anordnung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) eine nicht verfassungsmäßige politische Struktur eingeführt zu haben, die nicht mit den offiziellen politischen Regeln und Vorschriften zu vereinbaren sei. Ein immer wiederkehrender Versuch, die Opposition zu ersticken.