Urteil gegen früheren Oberbürgermeister von Amed rechtskräftig

Der Terrorvorwurf gegen den kurdischen Arzt und Politiker Adnan Selçuk Mızraklı wurde vom türkischen Kassationshof bestätigt. Der seit 2019 inhaftierte Ex-Oberbürgermeister von Amed muss eine Freiheitsstrafe von über neun Jahren absitzen.

Adnan Selçuk Mızraklı

Ein Urteil des Strafgerichts in Amed (tr. Diyarbakır) aus dem Jahr 2023, mit dem der kurdische Arzt und Politiker Adnan Selçuk Mızraklı als „Mitglied einer Terrororganisation“ zu mehr als neun Jahren Gefängnis verurteilt wurde, ist rechtskräftig. Der Kassationshof hat die Revision des 61-Jährigen als unbegründet verworfen, wie dessen Verteidigung am Donnerstag mitteilte.

Mızraklı, der bei der Kommunalwahl im März 2019 für die HDP zum Ko-Oberbürgermeister von Amed gewählt wurde, war im August desselben Jahres auf Betreiben des türkischen Innenministeriums abgesetzt und durch einen regierungstreuen Statthalter im Rathaus ersetzt worden. Zwei Monate später folgte seine Verhaftung. Im März 2020 wurde er auf Grundlage der Aussagen der Kronzeugin Hicran Berna Ayverdi wegen angeblicher PKK-Mitgliedschaft zu neun Jahren, vier Monaten und 15 Tagen Freiheitsstrafe verurteilt.

Ayverdi hatte bei dem Prozess behauptet, Mızraklı habe in einer Privatklinik in Amed einen verletzten PKK-Kämpfer operiert. Obwohl sich wiederholt in Gerichtsverfahren herausgestellt hat, dass ihre Aussagen erdichtet sind und aus der Feder der Antiterrorpolizei stammen, wurden bereits zahlreiche Menschen aus der kurdischen Politik, Zivilgesellschaft und Presse unter Heranziehung der türkischen Antiterrorgesetzgebung verurteilt. Auch im Fall von Mızraklı konnte die Verteidigung die Aussagen der Kronzeugin widerlegen – dennoch schenkte das Gericht den Behauptungen Ayverdis Glauben.

Das Urteil gegen Mızraklı wurde später wegen formeller Fehler aufgehoben und es begann ein neues Verfahren vor dem Strafgericht Diyarbakır. In dieses Verfahren wurde auch die Aussage des Kronzeugen Ümit Akbıyık als vermeintlicher Beweis eingeführt, der ebenfalls diverse Personen im Auftrag der türkischen Polizei belastete. Vergangenen November fiel das neue Urteil gegen Mızraklı; das Strafmaß blieb dasselbe. Seine Partei HDP, deren Nachfolgerin die DEM ist, kritisierte die Entscheidung als Ergebnis einer Willkürjustiz, die das „Konzept des Feindstrafrechts gegen das kurdische Volk“ offenlege.

Mızraklı kommentiert Urteil mit Zitat von Seyit Rıza*

In einer Nachricht aus dem Hochsicherheitsgefängnis im westtürkischen Edirne, wo er sich eine Zelle mit dem früheren HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş teilt, teilte Mızraklı zur Entscheidung des Kassationsgerichts über seine Verteidigung auf X mit: „Auf unserem Marsch für Würde und Menschlichkeit haben wir zahlreiche Weggefährt:innen verloren; vor den Gerichten dieses Regimes wurden wir Zeug:innen abertausender Urteile, die jeglicher juristischer und rechtmäßiger Grundlage entbehren. Nun reiht sich ein weiteres Glied in die Kette der Ungerechtigkeiten ein. Doch wie bereits Seyit Rıza zu sagen pflegte: ‚Ich wurde mit euren Lügen und eurer List nicht fertig, das ist mir zum Leid geworden. Aber dass ich vor euch nicht auf die Knie gegangen bin, das soll euch zum Leid werden.‘“

*Seyit Rıza (andere Schreibweisen Pîr Sey Rizo, Seyid Riza) war der geistliche und tribale Vordenker des alevitisch-kurdischen Dersim-Widerstands. Er wurde am 15. November 1937 in Xarpêt (Elazığ) hingerichtet. Einige Monate zuvor hatte der türkische Staat die Niederschlagung des Aufstands in der Region begonnen. Bis 1938 wurden etwa 70.000 Menschen ermordert, tausende weitere deportiert.