Selbstverwaltung von Sûr übernimmt Schuldenberg
In Amed-Sûr übernimmt die neu gewählte Bezirksverwaltung unter der Ko-Bürgermeisterin Gulan Fatma Önkol einen vom Zwangsverwalter hinterlassenen riesigen Schuldenberg.
In Amed-Sûr übernimmt die neu gewählte Bezirksverwaltung unter der Ko-Bürgermeisterin Gulan Fatma Önkol einen vom Zwangsverwalter hinterlassenen riesigen Schuldenberg.
Am 31. März wurden die türkischen Zwangsverwalter in Nordkurdistan aus dem Amt gefegt und mit großer Mehrheit gewählte demokratische Verwaltungen der DEM-Partei gewählt. Doch die Zwangsverwalter hinterließen verwüstete Rathäuser. Gulan Fatma Önkol ist Ko-Bürgermeisterin von Sûr, dem Altstadtbezirk der Metropole Amed (tr. Diyarbakır). Vor zwei Wochen erhielt die Politikerin ihr Mandat. Seither dauert die Erfassung der durch den Zwangsverwalter angerichteten Schäden an.
Wahlkampf erfasste alle Komponenten der Gesellschaft
Önkol gab gegenüber ANF einen ersten Eindruck von der Situation der Bezirksverwaltung. Sie berichtete zunächst vom Wahlkampf und beschrieb die intensive Arbeit und die Entschlossenheit in der Mobilisierung, die zum Wahlsieg geführt habe. Dafür seien erst unentschlossene Wähler:innen aufgesucht worden: „Wir haben uns mit Menschen aus allen Gesellschaftsschichten getroffen und sie über die Schäden durch die Zwangsverwaltung informiert. Wir haben über die Notwendigkeit gesprochen, unseren Willen zu verteidigen. Am Wahltag sind wir in Fortsetzung dieser Aktivitäten von Schule zu Schule gefahren und haben uns an den Wahlurnen gegen alle möglichen Manipulationen gestellt. Der 31. März war für uns sehr wichtig. Denn acht Jahre lang wurden unsere Städte von Zwangsverwaltern beherrscht, und der Wille unseres Volkes wurde unterdrückt. An diesem Punkt war es von großer Bedeutung, dass das Volk gegen die Zwangsverwalter an die Wahlurnen ging und seinen Willen kundtat. Es war die Entscheidung des kurdischen Volkes, seinen eigenen Willen gegen die Politik der Missachtung geltend zu machen.“
Emin Çelik: „Ein Gefallener für die Demokratie“
Önkol unterstrich, dass die Wahlen eine Zäsur darstellten und damit eine neue Entwicklung nach achtjähriger Zwangsverwalterherrschaft eingeleitet wurde: „Sûr ist am massivsten vom Spezialkrieg und der Assimilationspolitik betroffen. Die Tatsache, dass die Menschen gerade hier so stark an den Wahlurnen für ihren Willen eingetreten sind, hat uns sehr glücklich gemacht und uns Hoffnung geschenkt. Doch leider gab es am Tag der Wahl auch ein schlimmes Ereignis: Emin Çelik, unser Sprecher in dem Gebiet und Verantwortlicher für das Wahllokal, wurde ermordet. Wir haben diesen Gefallenen der Demokratie zu Grabe getragen. Im Dorf und in den Nachbardörfern kam es den ganzen Tag über zu großen Auseinandersetzungen. Es kam zu stundenlangen Zusammenstößen. Leider ist so etwas für uns nicht fremd. Es gab und gibt bei solchen undemokratischen Wahlen immer wieder viele ähnliche Vorfälle. Auch die Angehörigen unseres Freundes Emin haben sehr betroffen reagiert. Die Familie sagte, dass sie bei jeden Wahlen Drohungen erhalten hat. Wir haben die Familie mit vielen Vertreter:innen von uns besucht. Wir betrachten dieses Ereignis als den niederträchtigen Versuch der Regierung, die Wahlbeteiligung der Bevölkerung zu beeinflussen.“ Önkol widmete ihr Mandat Emin Çelik und erklärte, seinem Kampf immer verbunden zu bleiben.
Weiter berichtete Önkol, dass die Mandate erst mit großer Verzögerung ausgegeben worden seien: „Die AKP hat die Wahlergebnisse überall angefochten und so wurde die Zeit bis zur Aushändigung der Mandate verlängert. Wir hatten etwa drei bis viermal so viele Stimmen wie die AKP. Daher war der Widerspruch der AKP natürlich nicht erfolgreich. Vielleicht wollte die AKP so einfach Zeit gewinnen. Wir betrachten die Widersprüche auf diese Weise. Denn auch nachdem wir die Wahl gewonnen hatten ging der Ausverkauf der öffentlichen Verwaltung weiter. Wir haben gesehen, wie man kurz vor Schluss noch versuchte, die Kassen und Konten zu leeren. Unsere Untersuchung in diesem Zusammenhang dauert noch an, aber es wurde zum Beispiel am 4. April eine Million Lira Tagesmiete für Fahrzeuge ausgegeben. Wir gehen davon aus, während unserer Untersuchung auf große Korruption zu stoßen.“
„Die Stadtverwaltungen stecken bis zum Hals in Schulden“
Önkol berichtete von der Verschuldung der Stadtverwaltungen: „Die Zwangsverwalter haben die Stadtverwaltungen bis zum Hals in Schulden gesteckt. Wir wissen, dass sie nicht gearbeitet und dem Volk in keiner Weise gedient haben. Stattdessen haben sie gestohlen und den Haushalt in ihre eigenen Taschen abfließen lassen. Sie haben die Gelder ihrer Basis und ihren Anhängern zukommen lassen. Das können wir am besten am Beispiel der Gewerkschaften sehen. Den eigenen Gewerkschaften hat man Millionen zufließen lassen, während die übrigen Gewerkschaften praktisch nichts bekamen.“
Die Arbeit in der Bezirksverwaltung laufe nun auf Hochtouren, so die Ko-Bürgermeisterin Önkol: „Wir bauen Arbeitsgruppen auf und versuchen, die Mängel zu beseitigen. Wir untersuchen ein Referat nach dem anderen und überprüfen alles im Detail. Wir analysieren die Ausgabenberichte und stellen fest, dass es zu viele Defizite gibt. Es ist jedoch noch zu früh, sie einzeln zu erläutern. In den kommenden Tagen werden wir eine umfassende Version unserer Ergebnisse öffentlich machen. Wir werden weiterhin alle Unregelmäßigkeiten Stück für Stück aufdecken.“
„Sûr wird ein Bezirk der Frauen, der Kinder und der Menschen mit Behinderung“
Gulan Fatma Önkol sagte über den Altstadtbezirk: „Sûr ist an sich ein sehr eigenständiger Bezirk. Hier leben viele verschiedene Identitäten. Es gibt nebeneinander verschiedene Kulturen, verschiedene historische Strukturen und verschiedene Sprachen und Religionen. Acht Jahre lang hat die Zwangsverwaltung eine Normierungspolitik durchgeführt. Die Häuser vom Typ ‚Toledo‘ sind ein Beispiel dafür. Auch das was unter dem Vorzeichen der Stadtplanung in Sûr geschehen ist, zieht allein auf die Normierung und Trennung von der Geschichte ab. Unsere Hauptaufgabe wird es sein, die historische und kulturelle Struktur von Sûr zu bewahren. Aus Sûr sind in der letzten Zeit viele Menschen weggezogen. Wir versuchen, die Menschen zur Rückkehr in ihre Häuser und Straßen zu bewegen. Wir wollen die Jugend und die Kinder vor Drogen und Prostitution schützen. Die Familien haben in diesem Sinne große Erwartungen an uns. Wir wissen, dass wir mit unserem Modell der sozialen Stadtverwaltung diese Probleme lösen können werden. Das wird auch von uns erwartet. Sûr soll ein Bezirk der Frauen, der Kinder und der Menschen mit Behinderung werden. Alle Menschen sollen gesehen werden können, wir wollen mit einem pluralistischen System arbeiten. Wir sind bereit, den Menschen vor Ort zu dienen. Das ist unsere Aufgabe und Verantwortung.“