Schauspiel der psychologischen Kriegsführung vor HDP-Gebäude

Der türkische Staat setzt alles daran, die Zahl der vor dem HDP-Gebäude „protestierenden“ Angehörigen von Guerillakämpfer*innen zu erhöhen. Neben Erpressung und Bestechung setzt das Regime dabei auf fingierte „Erfolgsmeldungen“.

Auf Druck des türkischen Innenministeriums sitzen seit 463 Tagen mehrere Angehörige von Guerillakämpfer*innen vor dem Gebäude der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in Amed (türk. Diyarbakir) und fordern „ihre Kinder“ zurück, die sich als Erwachsene dem Freiheitskampf angeschlossen haben. Die meist rechtskonservativen Familienangehörigen wurden durch den türkischen Geheimdienst MIT und der Militärpolizei vor das Gebäude der HDP gebracht und werden dort rundum versorgt. Obwohl die HDP nichts mit dem Beitritt der jungen Menschen zum Freiheitskampf zu tun hat, inszeniert der Staat vor dem Gebäude mit Hilfe der Angehörigen eine Propagandaaktion, um die HDP zu diffamieren und zu kriminalisieren. Auch die „zurückgeforderten“ Guerillakämpfer*innen hatten sich mehrfach an ihre Angehörigen gewandt und erklärt, dass sie aus freiem Willen bei der Guerilla sind und sich ihre Familien nicht zum „Werkzeug des Staatsterrors“ machen lassen sollen.

Durch Erpressung und Bestechung zum Protest

Während die Kämpferinnen und Kämpfer freiwillig bei der Guerilla sind, ist die Freiwilligkeit bei vielen der Familien, die vor der HDP-Zentrale protestieren, zu bezweifeln. So berichten Angehörige von Guerillakämpfer*innen von Spezialeinheiten, welche die Familienmitglieder ermitteln, mit ihnen Kontakt aufnehmen und sie durch Erpressung oder Bestechung für den Protest zu gewinnen versuchen. Familien, die nicht bereit sind, sich an der Inszenierung vor dem HDP-Gebäude zu beteiligen, werden belästigt und bedroht. Sie werden bis zu ihren Arbeitsplätzen verfolgt und unter Drohungen dazu gezwungen, zu dem Protestzelt vor der HPD-Zentrale zu kommen. Anschließend werden die Familien dort von Journalisten der gleichgeschalteten türkischen Medien fotografiert und entsprechende Nachrichten lanciert.

Rundumversorgung der Teilnehmenden und organisierte Angriffe auf HDP-Mitglieder

Die Polizei versorgt die Teilnehmenden dieser Inszenierung in ihrem „Protestzelt“ mit Heizung, warmem Wasser und Essen. Dutzende Polizisten bewachen das Zelt. Immer wieder kommt es aus der Versammlung heraus zu faschistischen Angriffen auf HDP-Mitglieder. Beobachter*innen vermuten eine Beteiligung von Provokateuren des Geheimdienstes, da die Polizei bei den Angriffen nicht einschreitet und immer wieder die angegriffenen HDP-Mitglieder anschließend festgenommen und inhaftiert werden.

Befehl aus dem Palast

Der Regimechef Tayyip Erdoğan forderte die Familien immer wieder zur Fortsetzung der Aktion auf. Sein Innenminister Süleyman Soylu erklärte: „Jeder weiß, dass die HDP-Verbände die unschuldigen Kinder vom Schoß der Mütter reißen und sie zur Terrororganisation schicken. Das wissen alle und wir wissen es auch. Wir werden das Notwendige unternehmen.“

Nicht mehr als 15 Personen

Trotz des Drucks und der Mobilisierung aller Möglichkeiten des Staates sind niemals mehr als 15 Personen vor der HDP-Zentrale. Während die staatlichen Medien von 177 beteiligten Familien sprechen, fällt auf, dass es sich bei den Personen vor dem Gebäude immer um die selben handelt.

Fingierte Erfolgsmeldungen

Um Erfolgsmeldungen zu produzieren, nimmt der MIT gemeinsam mit südkurdischen PDK Kontakt zu ehemaligen PKK-Mitgliedern, die in Südkurdistan leben, auf. Sie überreden einzelne Personen und bringen sie feierlich vor das HDP-Gebäude. Dabei wird verschwiegen, dass diese Personen schon lange in Südkurdistan als Zivilisten leben. Es wird erklärt, diese seien aufgrund des Protests „von der PKK geflohen“ und hätten sich „in Silopi gestellt“. Nun seien sie zu ihren Familien zurückgebracht worden. Den in Südkurdistan befindlichen Personen wurde unter anderem Straffreiheit angeboten, so sie denn in die Türkei kommen und an der Aktion teilnehmen. Viele der Personen, die auf diese Weise in die Türkei gekommen sind, verlassen danach schnell wieder das Land.

Erfolg“ nach einer Woche

Diese organisierten feierlichen „Zusammenführungen“ vor dem HDP-Gebäude laufen stets nach dem gleichen Muster ab. Bei Personen, die sich von der Freiheitsbewegung getrennt haben und in Südkurdistan leben, scheint die Inszenierung von vorneherein klar zu sein. Die Angehörigen werden vor das Gebäude der HDP gesetzt; weniger als eine Woche später werden sie mit ihren Angehörigen feierlich zusammengebracht. So setzten sich Nizamettin und Aslıhan Eşrefoğlu am 6. Februar vor das HDP-Gebäude, am 11. Februar wurde ihnen ihr Sohn Hüseyin Eşrefoğlu übergeben. Cahide Alkan setzte sich am 23. Februar vor das Gebäude und erhielt ihren Sohn Mehmet Emin am 27. Februar. Naime Dalmış kam am 5. März und erhielt ihre Tochter Tekoşin Dalmış am 9. März, die Familie Açar begann am 5. März und bekam Haşim und Tekoşin Açar ebenfalls am 9. März, Sever Fidan kam am 14. Juli und erhielt ihren Sohn Tayfur Fidan am 16. Juli, Bayram und Gülşen Çetin begannen am 8. September und erhielten bereits einen Tag später ihren Sohn Erdal Çetin.