„Niemand geht gegen seinen Willen in die Berge“

Die Guerillakommandantin Amara Ronahî appelliert an ihren Vater und alle Eltern, die vor der HDP-Zentrale in Amed die Rückkehr ihrer Kinder fordern: „Lasst euch nicht benutzen, niemand geht gegen seinen Willen in die Berge!“

Amara Ronahî ist eine der Kommandantinnen der Frauenguerilla YJA-Star und hat sich gegenüber ANF dazu geäußert, wie und warum sie sich der PKK angeschlossen hat. Sie verweist darauf, dass die jahrelangen Vernichtungsangriffe des türkischen Staates heute eine sehr viel umfassendere Dimension angenommen haben. Außerdem appelliert sie an ihren Vater und andere Eltern, die seit Monaten vor der Zentrale der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in Amed (türk. Diyarbakir) sitzen und die Rückkehr ihrer Kinder fordern.

Der türkische Staat missachte sämtliche ethischen und menschlichen Werte und greife auf verschiedene Methoden zurück, sagt die Guerillakommandantin: „Das ist natürlich nichts Neues. Die Kurden sind in der Geschichte der Republik Türkei immer missachtet worden. Es sind viele Methoden benutzt worden, um dieses Volk und seine Werte zu vernichten. Auch ich als eine alevitische Kurdin bin assimiliert worden. Mir wurde meine Identität genommen. Ich bin aufgewachsen ohne zu wissen, dass ich Kurdin bin. Ich wusste nichts über mein eigenes Volk und die Realität meines Landes. Ich wusste nur, dass ich Alevitin bin. Mich selbst und die Gemeinschaft, der ich angehöre, kannte ich gar nicht.

Nichts gegen dieses Regime zu unternehmen, das Frauen als Besitz und ihre Unterdrückung als legitim betrachtet, hätte bedeutet, Vergewaltigung und Mord zu akzeptieren. Was mich in die Berge und zum Anschluss an die PKK gebracht hat, waren die Angriffe des faschistischen türkischen Staates. Ich hatte die Befreiungsbewegung kennengelernt und mir war bewusst geworden, dass die PKK der einzige Ort ist, an dem ich als Frau mit freiem Willen leben und gegen die mörderischen Angriffe auf mein Volk kämpfen kann. Ich empfand es als würdelos, so zu tun, als ob nichts los wäre, während mein Volk einschließlich Kinder und Frauen getötet wurde und mein Land von Blutsaugern besetzt war. Jetzt kämpfe ich in den Bergen für Menschenwürde und die Werte meines Volkes.“

Frei und in Würde leben

Amara Ronahî sagt, dass das AKP/MHP-Regime die Bevölkerung in der letzten Zeit mit sehr unmenschlichen und unethischen Methoden angreift und sogar Kinder getötet werden, nur weil sie Kurden sind. Sie verweist auf die Verstümmelung von Leichen und die Zerstörung von Guerillagräbern und sagt: „Wir haben es mit einem Feind zu tun, dem jegliche Ethik und Menschlichkeit fehlen. Jeden Tag werden Frauen brutal ermordet. Es gibt jedoch auch ehrenvolle Menschen, die für die Freiheit ihres Volkes kämpfen und dafür ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen.

Wir hier leben und kämpfen, um der Entwürdigung etwas entgegen zu setzen. Die AKP-Regierung greift zu unmoralischen Methoden, weil sie weiß, dass sie unser Volk nur durch das Töten nicht zu einem würdelosen Leben zwingen kann. Solche Methoden werden auch gegen die HDP eingesetzt, die als politische Partei das kurdische Volk repräsentiert. Die HDP soll zersetzt werden, weil sie an der Spitze der Parteien steht, die das schmutzige Vorgehen der AKP und MHP demaskieren und dagegen ankämpfen.

Mit der vermeintlichen Mahnwache von Eltern vor der Parteizentrale in Amed soll die HDP bloßgestellt und ein entsprechendes Image in der Öffentlichkeit hergestellt werden. Bei den Kindern dieser Eltern handelt es sich jedoch um Menschen, die für die Würde ihrer Familien und ihres Volkes kämpfen und dafür ihr Leben aufs Spiel setzen.“

Niemand kommt gegen seinen Willen in die Berge“

Einer der Teilnehmer dieser Mahnwache sei ihr Vater, sagt Amara Ronahî: „Es fällt mir sehr schwer, etwas dazu zu sagen. Dem blutsaugenden Feind zu dienen und einen solchen Aufruf zu unterstützen, ist eine Beleidigung für mich und meine Weggefährten. Mein Vater und die anderen Eltern wissen genau so gut wie der Feind, dass niemand gegen seinen Willen in die Berge kommt. Die HDP und ihre Mitglieder werden ungerechterweise verleumdet und dieses Unrecht darf nicht ignoriert werden.

Ich appelliere an meinen Vater und die anderen Eltern, dass sie sich selbst und ihre Kinder nicht länger erniedrigen sollen. Wie ich schon gesagt habe, ich habe mich sehr bewusst und mit großem Enthusiasmus dem Befreiungskampf angeschlossen. Eine solche Entscheidung ist gerade für junge Kurdinnen und Kurden die normalste Sache der Welt. Anormal und unmoralisch ist es, gar nichts gegen die Angriffe auf unser Volk und unser Land zu tun. Niemand schließt sich gegen seinen Willen der PKK an und geht in die Berge.

Ich rufe meinen Vater und alle an der Mahnwache vor der HDP beteiligten Eltern dazu auf, ihre eigene Würde nicht mit Füßen zu treten und auch nicht zuzulassen, dass es andere tun. Lasst euch nicht von diesem faschistischen Staat benutzen. Der Politik des Feindes zu dienen, bedeutet, die Massaker und die Entwürdigung zu akzeptieren und zu unterstützen. Als Angehörige des kurdischen Volkes haben wir gelernt, dass Rechte und Würde die wertvollsten Dinge im Leben sind. So sind wir großgezogen worden.

Es handelt sich um eine menschliche Verpflichtung. Was mein Vater und die anderen Eltern vor dem HDP-Gebäude tun, hat nichts mit Menschlichkeit, Ethik und kurdischen Werten zu tun. Man stellt sich nicht an die Seite des Feindes und ist ihm zu Diensten. Das ist Verrat. Als alevitische Kurdin bin ich im Bewusstsein von Gerechtigkeit und einer Widerstandskultur aufgewachsen. Den eigenen Überzeugungen den Rücken zu kehren, ist bei uns ein großes Vergehen. Bringt euch nicht in eine Lage, in der der Feind euch für seine eigene Zwecke missbrauchen kann.

Hört auf mit euren Aufrufen, mit denen ihr eure eigenen Werte und euer Land verratet. Hört auf damit, den Feinden der Kurden zu dienen. Gegen das kurdische Volk wird ein schmutziger Plan durchgeführt. Zuletzt will ich noch sagen, dass ich sehr stolz darauf bin, für die Freiheit meines Volkes, meines Landes, aller unterdrückten Völker und aller Frauen zu kämpfen. Diesen Kampf werde ich mit voller Kraft und bis zum letzten Blutstropfen fortsetzen.“

Diese Meldung wurde am 15. September 2022 aktualisiert