Luftangriffe auf südkurdische Siedlungsgebiete dauern an

Die Türkei greift nach wie vor unter dem Vorwand der PKK-Präsenz zivile Siedlungsgebiete in Südkurdistan an. Bewohner*innen beklagen die aggressive Vertreibungspolitik der türkischen Regierung, die weitestgehend unbeachtet bleibt.

In der Nacht zum 15. Juni hat die Türkei eine Luftlande- und Bodeninvasion in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak begonnen. Die türkische Regierung beruft sich dabei auf das Selbstverteidigungsrecht und spricht davon, die PKK sowie PKK-nahe Gruppen zu bekämpfen. Die PKK-Präsenz ist ähnlich wie in Nordsyrien jedoch nur ein Vorwand. Die Türkei verfolgt klar das Ziel, ihre Grenze zu erweitern und irakisches Territorium dem eigenen Staatsgebiet einzuverleiben. Den Auftakt der Invasion hatten vor vier Wochen Luftangriffe auf das Flüchtlingslager Mexmûr und die ezidische Şengal-Region gemacht. Fast täglich werden zivile Siedlungsgebiete bombardiert, mehrere Zivilisten sind bereits getötet und verletzt worden. Wie der europaweite Dachverband der Suryoye (European Syriac Union - ESU) Anfang der Woche zudem mitteilte, sind seit Beginn der Angriffe bereits über dreißig christliche Dörfer in Südkurdistan entvölkert worden.

Insbesondere in der Heftanîn-Region kommt es zu systematischen Angriffen auf Siedlungsgebiete der angestammten Zivilbevölkerung. Vor wenigen Tagen bombardierten türkische Kampfjets das Dorf Berseve, das verwaltungstechnisch zur Stadt Zaxo gehört, die an der Grenze zur Türkei, auf der Route vom Grenzübergang Ibrahim Khalil nach Mosul liegt. Wir haben mit Bewohner*innen von Berseve gesprochen. Sie beklagen, dass die aggressive Vertreibungspolitik der türkischen Regierung weitestgehend unbeachtet bleibt. Ihre Kritik gilt im Besonderen der kurdischen Regionalregierung in Hewlêr (Erbil), da diese die Aktivitäten der Türkei im Autonomiegebiet wohlwollend dulde.

„Hier bei uns in Berseve gibt es keine PKK-Stellungen. Nur die lokale Bevölkerung lebt an diesem Ort. Der türkische Staat will ohnehin nicht nur die Guerilla, sondern uns alle vernichten“, sagt einer der Dorfbewohner. „Seit Tagen werden sowohl unsere als auch die Gebiete der Guerilla bombardiert. In Berseve befinden sich aber nur Zivilisten. Es scheint so, als habe unsere Regierung unsere Heimat an die Türken verkauft. Unsere Tiere verenden, unsere Gärten und Anbauflächen werden zerstört“, beklagt der Mann. „Wir sind äußerst besorgt, aber unser Dorf aufgeben werden wir nicht.“

Wissenschaftlicher Dienst zweifelt an Recht auf Selbstverteidigung

Auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat Zweifel daran, dass die türkischen Operationen gegen Stellungen der PKK-Guerilla mit dem Völkerrecht vereinbar sind. Gegenwärtig lasse sich kein bewaffneter Angriff seitens der PKK und damit auch keine Selbstverteidigungslage für die Türkei erkennen, die den Verstoß gegen das Gewaltverbot gegenüber dem Irak rechtfertigen könnte, heißt es in dem Bericht vom Mittwoch. Darin wird auch unterstrichen, dass die Türkei ihre Absicht, ihre jüngsten „militärischen Operationen“ im Nordirak durchzuführen, nicht sofort dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen angezeigt hat, wie das die UN-Charta (Art. 51 Satz 2) verlangt. Die fehlende Begründung des Vorliegens eines bewaffneten Angriffes seitens der PKK sei damit ein „gewichtiges Indiz”, dass das Selbstverteidigungsrecht der Türkei gegenwärtig nicht gegeben sei, so das Fazit des wissenschaftlichen Dienstes.