KJK: Kurdische Sprache und Doppelspitze stehen nicht zur Debatte

Die Koordination der KJK kritisiert die Forderungen des ENKS, auf kurdischsprachige Bildung in Rojava zu verzichten und das System der genderparitätischen Doppelspitze abzuschaffen. Bei diesen grundlegenden Fragen werde es keine Kompromisse geben.

Die Forderung des von der südkurdischen Barzanî-Regierung gestützten ENKS („Kurdischer Nationalrat”), in Nord- und Ostsyrien zum Bildungssystem des Assad-Regimes zurückzukehren und das Prinzip der genderparitätischen Doppelspitze in den politischen Gremien abzuschaffen, schlägt weiter hohe Wellen. Auch die Koordination der Gemeinschaft der Frauen Kurdistans (Komalên Jinên Kurdistanê, KJK) nimmt mit völligem Unverständnis den Angriff auf die Errungenschaften der Revolution von Rojava zur Kenntnis. In einer Anfang der Woche herausgegebenen Erklärung ruft die KJK dazu auf, die kurdische Sprache in allen Lebensbereichen zu fördern und das System des Ko-Vorsitzes zu verteidigen. Im Hinblick auf den vom ENKS geforderten Verzicht auf kurdische Schulbildung erinnert die KJK an die Politik der kulturellen und sprachlichen Auslöschung, der das kurdische Volk gegenüber steht.

„In Nordkurdistan ist das Zazakî (Kirmanckî) als Folge des Verbots von kurdischer Sprache und Kultur nahezu verschwunden. Jetzt beobachten wir, wie auch das Kurmancî in die gleiche Gefahr gebracht werden soll. Parallel dazu wurde die Politik gegen die Befreiung der Frau unter keiner Regierung so systematisch und geplant durchgeführt wie der jetztigen. Die hässliche psychologische Kriegsführung gegen die kurdischen Frauen, die Pläne zum Ausstieg aus der Istanbuler Konvention und die sich stark ausbreitenden Femizide sind der deutlich sichtbare Teil dieser Politik. Alle Errungenschaften der Frauen werden ihnen genommen. Das System der Doppelspitze und das Recht auf gleichberechtigte Vertretung und Partizipation wird zur Straftat gemacht. Die faschistische Regierung versucht ihre eigene Macht durch Frauenfeindlichkeit und Sexismus aufrechtzuerhalten”, heißt es in der Stellungnahme.

Es wird starker Widerstand geleistet

Die KJK macht deutlich, dass die Frauenkämpfe und Frauenbefreiungskämpfe in Kurdistan und der Türkei sehr vielseitig sind und Frauen ungeachtet der steigenden Repression entschlossen und mutig Widerstand leisten. „Die Frauen aus der Türkei tun sich zusammen und widersetzen sich den staatlichen Angriffen auf ihre Rechte. In Nordkurdistan führen organisierte Frauenstrukturen erfolgreiche Aktionen gegen die Kriminalisierung des Doppelspitzensystems, gegen Gewalt gegen Frauen und gegen Vergewaltigungen durch und leisten so Widerstand gegen die Angriffe des Staates. Die kurdischen Frauen führen trotz Verboten, Verhaftungen und Folter den Widerstand und den Kampf für die Freiheit an und verteidigen die von ihnen geschaffenen Werte der Freiheit.”

Das AKP-Regime ist in der Krise

Wegen des Widerstands der kurdischen Frauen, des kurdischen Volkes und der Kräfte für Freiheit und Demokratie befinde sich das „faschistische Regime” unter starkem Druck und sei im Verfall begriffen, führt die KJK weiter aus. Das AKP-Regime sei ideologisch, ökonomisch, diplomatisch, militärisch und auch im Bereich der Bildung und Gesundheit in der Krise. „Es ist außenpolitisch gescheitert, wurde vorgeführt und isoliert. Beim Versuch, Frauen und Kurden zu isolieren, hat sich das Regime selbst isoliert. Auch die gigantische parteiische Medienmaschinerie kann den Kollaps nicht mehr vertuschen.“

Das Verhalten des ENKS ist nicht zu akzeptieren

Bei den vom Generalkommandanten der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) Mazlum Abdi in diesem Frühjahr angestoßenen Gesprächen für einen Annäherungsprozess zwischen den verschiedenen kurdischen Parteien und Organisationen im Autonomiegebiet hatte der ENKS gefordert, vom Schulunterricht in kurdischer Sprache Abstand zu nehmen. Darauf reagiert die KJK in ihrer Erklärung: „Beim faschistischen türkischen Staat ist dieser Ansatz bereits bekannt, aber wenn einige kurdische Parteien die kurdischsprachige Bildung und das System der Doppelspitze, welche eine rote Linie für die Frauen und für unser Volk darstellen, auf diese Weise zur Diskussion stellen und zu einem Instrument ihrer Politik machen, dann wirft dies die Frage auf, wie sehr sie wirklich an einer kurdischen Einheit interessiert sind. Wir schließen uns bei diesem Thema den Ansichten der Selbstverwaltung und von Kongreya Star an. Kann jetzt etwa jede Organisation oder Partei in Kurdistan behaupten, dass es Bedingung für eine kurdische Einheit wäre, in Südkurdistan keine Bildung in Muttersprache, sondern nur auf Arabisch durchzuführen? Nein, keine kurdische Organisation würde so etwas falsches aussprechen oder vorschlagen.“

Die Doppelspitze ist eine Errungenschaft der kurdischen Frauen

Die KJK unterstreicht die Bedeutung der genderparitätischen Doppelspitze als großen Schritt im Aufbau einer demokratischen Zivilisation: „Dieses Prinzip wurde als Konsequenz des Freiheitsverständnisses des Vorsitzenden Apo (Abdullah Öcalan) entwickelt. Der starke Widerstand der kurdischen Frauen, ihre Bemühungen und der hohe Preis, den sie gezahlt haben, hat die Parteiwerdung der Guerilla ermöglicht. Diese Parteiwerdung bildet die Basis für die praktische Umsetzung des Systems des Ko-Vorsitzes und der gleichberechtigten Repräsentation. Die Frauenrevolution wurde unter außerordentlichen Anstrengungen und Aufopferungen und unter Führung der Frauen von unserem Volk aufgebaut.

Die Frauenrevolution wird heute am umfassendsten und systematischsten in Rojava gelebt. Zudem ist der weltweit geachtete Widerstand der YPJ bekannt. Hätte der ENKS zumindest vor dem Willen der Kämpferinnen für die Freiheit der Frau, vor den im Kampf gefallenen Frauen oder vor dem Standpunkt der Frauenbefreiung Respekt, so könnte er einen solchen Vorschlag nicht zur Sprache bringen. Diese Themen sind nicht verhandelbar.

Die Doppelspitze ist in ganz Kurdistan Praxis

Das System des Ko-Vorsitzes wird heute in Nordkurdistan, Ostkurdistan, Südkurdistan, Rojava und in Europa in allen unseren Arbeitsbereichen angewendet. Deshalb ist es nicht nur für die kurdischen Frauen, sondern für alle Frauen im Mittleren Osten und weltweit ein relevantes Thema. Es ist Teil einer die gesamte Menschheit betreffenden Transformation der Gesellschaft in Richtung Freiheit und Gleichheit. Es ist die Grundlage für ein freies Zusammenleben von Männern und Frauen. In Kurdistan ist dieses Prinzip für unser Volk die einzige Garantie für ein würdiges und freies Leben.”

Nicht verhandelbare Prinzipien

Dementsprechend seien Bildung in der Muttersprache und Doppelspitzen in allen politischen Gremien „unverzichtbare Prinzipien”, die nicht zur Verhandlung stünden, unterstreicht die KJK-Koordination. Der Kampf für Freiheit und Demokratie könne nur durch die freie Frau und mit einer befreiten, die eigene Kultur und Sprache lebenden, kurdischen Identität geführt werden. Die Schaffung einer kurdischen Einheit sei nur basierend auf den Prinzipien der Freiheit der Frau und der freien Gesellschaft möglich. Die KJK laden die Völker Kurdistans ein, für die Entwicklung der Muttersprache in allen Bereichen der Gesellschaft und für die Anwendung und Verteidigung des Systems des Ko-Vorsitzes und der gleichberechtigten Repräsentation zu kämpfen.

Aufruf zur Förderung der kurdischen Sprache

„Im Rahmen der durch die KJK begonnenen Aktion ‚Verteidigung der freien Frau und der freien Gesellschaft gegen Femizid‘ rufen wir Frauen und Frauenräte in Kurdistan und im Ausland auf, die kurdische Sprache, die die Grundlage für unser Leben als freie Menschen und freie Gesellschaft bildet, gegen die Politik der ethnischen Säuberung, die unsere Muttersprache vernichten will, zu verteidigen. Wir rufen dazu auf, die Sprache nicht nur durch Sprachunterricht, sondern durch ihre Verankerung und Entwicklung in allen Lebensbereichen zu verteidigen. Eine Gesellschaft, die ihre eigene Muttersprache nicht leben kann, ist eine Gesellschaft, die von innen tot ist. Eine Gesellschaft, die ihre eigene Sprache nicht schützen kann, kann kein Leben in Würde führen.  

Die Freiheit der Frau und die Freiheit unseres Volkes sind fest verbunden und können nicht voneinander getrennt werden. Deshalb müssen wir das Modell des Ko-Vorsitzes und der gleichberechtigten Repräsentation in Kurdistan schützen und ausbauen. Ohne von der Freiheit und Gleichstellung der Frau auch nur einen Schritt abzuweichen, müssen wir unseren Widerstand verstärken. Ein Grundpfeiler der Aktionen und Kampagnen der kurdischen Frauen muss immer die muttersprachliche Bildung und der Schutz und Ausbau der Systems des Ko-Vorsitzes sein.”