KCK-Statement zum Jahrestag des „Internationalen Komplotts”

Der 9. Oktober gilt als Beginn des internationalen Komplotts gegen Abdullah Öcalan. Der KCK-Exekutivrat nimmt den Jahrestag der Verschleppung des PKK-Begründers zum Anlass, Europas Institutionen an ihre Verantwortung zu erinnern.

Die kurdische Gesellschaft bezeichnet die Phase vom 9. Oktober 1998 bis zum 15. Februar 1999 als das „Internationale Komplott”. Im Verlauf dieser Zeitspanne wurde Abdullah Öcalan, Vordenker der PKK und wichtigster politischer Repräsentant der Kurdinnen und Kurden, zunächst in Syrien zur persona non grata erklärt, und durchlebte anschließend eine Odyssee durch verschiedene Länder Europas, um schließlich aus der griechischen Botschaft der kenianischen Hauptstadt Nairobi verschleppt und völkerrechtswidrig an die Türkei übergeben zu werden. Anlässlich des 23. Jahrestages dieses völkerrechtswidrigen Piratenakts hat die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) als Dachverband der kurdischen Befreiungsbewegung eine Erklärung abgegeben, die wir nachfolgend ungekürzt dokumentieren:

Erfüllt von großer Wut verurteilen wir das Internationale Komplott vom 9. Oktober 1998, das gegen Rêber Apo [Abdullah Öcalan] und damit gegen das gesamte kurdischen Volk verübt wurde. Heute stehen wir am Anfang des 23. Jahres dieses Piratenakts. Voller Respekt und Liebe grüßen wir Rêber Apo, der durch seinen ununterbrochenen und unvergleichlichen Widerstand gegen das Komplott und die Bedingungen seiner Gefangenschaft alle damit verbundenen Pläne zum Scheitern gebracht hat. Wir gedenken all unseren selbstlosen Gefallenen und verneigen uns vor ihnen. Gegen das Internationale Komplott erschufen sie unter der Losung „Ihr könnt unsere Sonne nicht verdunkeln” einen Schutzwall aus Feuer um Rêber Apo. Wir grüßen den Kampf und Widerstand unseres patriotischen Volkes und dessen internationalen Freund:innen gegen das Internationale Komplott und ihre Unterstützung für Rêber Apo.

Die imperialistischen Staaten, die diese Welt beherrschen, weigerten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Kurd:innen als ein Volk bzw. eine Nation mit einer eigenen Sprache, Kultur und Identität anzuerkennen. Sie verleugneten die Existenz der kurdischen Nation und schlossen sie somit aus dem von ihnen geschaffenen nationalstaatlichen System aus. Als Folge ihrer untereinander vereinbarten Abkommen hielten sie an der Strategie fest, Kurdistan und das kurdische Volk aufzuteilen. Der größte Teil Kurdistans wurde dabei dem kolonialistischen türkischen Nationalstaat zugesprochen. Auf Grundlage der damaligen Abkommen setzt die Türkei seit mittlerweile fast 100 Jahren eine Politik der systematischen Verleugnung und Vernichtung gegen die Kurd:innen um. Aktuell intensiviert sie diese Politik immer weiter und hält an ihr fest. Es findet also seit fast einem Jahrhundert ein Völkermord an den Kurd:innen statt. Dagegen haben Rêber Apo und unsere Freiheitsbewegung den notwendigen Widerstandswillen entwickelt, organisiert und bis heute lebendig gehalten.

USA: Führungsmacht des kapitalistischen Systems

Der größte Traum der USA, der Führungsmacht des kapitalistischen Systems, bestand darin, im 21. Jahrhundert das Projekt „Größerer Mittlerer Osten” umzusetzen. Als das größte Hindernis für dessen Umsetzung identifizierten sie Rêber Apo und die Freiheitsbewegung Kurdistans. Die USA arbeiteten deshalb darauf hin, die Kurd:innen im 21. Jahrhundert wieder zu einem unorganisierten, identitätslosen, statuslosen und versklavten Volk zu machen. Noch bevor sie im Rahmen ihres Projekts im Mittleren Osten intervenierten, schlossen sie zahlreiche schmutzige Verträge ab und gingen Kompromisse ein, um Abdullah Öcalan unter dem Bruch internationalen Rechts auf eine äußerst abenteuerliche Weise dem kolonialistisch-völkermörderischen türkischen Staat zu übergeben. Das Ziel dieses schmutzigen Komplotts besteht darin zu verhindern, dass die Kurd:innen sich im 21. Jahrhundert zu einem freien, willensstarken und seiner Identität bewussten Volk entwickeln. Zudem soll dadurch der gesamte Mittlere Osten, insbesondere Kurdistan, gemäß der eigenen kolonialistischen Interessen und kapitalistischer Vorstellungen neu geordnet werden.

Doch sind die Pläne der hegemonialen Mächte für den Mittleren Osten nicht vollständig aufgegangen. Der andauernde Kampf des kurdischen Volkes verdeutlicht diese Tatsache zu Genüge. Mittlerweile sind 23 Jahre seit dem Internationalen Komplott vom 9. Oktober vergangen. Noch immer dauert der Dritte Weltkrieg mit Kurdistan in dessen Zentrum an. Im Rahmen dieses Krieges haben die Kurd:innen einen enormen Kampf geführt und dadurch wichtige Errungenschaften erzielt. Im Gegensatz zum 20. Jahrhundert haben die Kurd:innen sich heute auf Grundlage eines politisch-intellektuellen Willens organisiert. Sie haben ein hohes politisch-militärisches Niveau erreicht, ihre eigenen Selbstverteidigungskräfte aufgebaut und sich zu einem Volk mit einer eigenen demokratischen gesellschaftlichen Organisierung und Institutionen entwickelt. Ihre Sprachen, Kulturen, Identität und politisch-organisierten Kräfte haben sie im Vergleich zur Vergangenheit deutlich gestärkt. So haben sie eine gesellschaftliche Haltung entwickelt, die sich den kolonialistischen und genozidalen Nationalstaaten nicht beugt und sich durch einen bewussten, würdevollen, demokratischen, freiheitlichen und kämpferischen Charakter auszeichnet.

„Nichts außer einem freien Leben”

Die heutige Realität des kurdischen Volkes ist Ausdruck des Aufstiegs vom identitätslosen Sklavendasein zur gemeinsamen Haltung „Nichts außer ein freies Leben”. Dies wiederum ist das Werk Rêber Apos. Er hat die kurdische Gesellschaft von der Krankheit der Unorganisiertheit geheilt, aufgrund derer sie aufgehört hatte, sie selbst zu sein. Dadurch nimmt er heute einen festen Platz in den Herzen und Köpfen des kurdischen Volkes ein. Das kurdische Volk weiß mittlerweile, dass nur eine organisierte Gesellschaft frei sein kann. Mit diesem Bewusstsein hat es sich ein für allemal auf den Weg in Richtung eines freien Lebens gemacht. In diesem Sinne ist unsere Freiheitsbewegung der konkrete Ausdruck für die Entschlossenheit des kurdischen Volkes, ein freies Leben zu leben. Dieses Volk hat sich für ein freies und selbstbestimmtes Leben entschlossen und ist bereit dafür den erforderlichen Preis zu zahlen. Solch ein Volk kann nie wieder zu einem Leben in Sklaverei gezwungen werden, egal über wie viele moderne Waffen all die kapitalistischen Nationalstaaten verfügen. Diese Tatsache ist mittlerweile eindeutig bewiesen.

Rêber Apo erschuf im kurdischen Volk den Geist der Völkerfreundschaft. Während das hegemoniale Nationalstaatensystem versucht, Kurdistan und den Mittleren Osten zu homogenisieren, hat Rêber Apo das notwendige Bewusstsein und den Kampf angestoßen, mit denen die Region erneut beginnt zu seinem multikulturellen Wesenskern zurück zu finden. Trotz der unglaublichen Gewalt und des unvorstellbaren Schmerzes, dem das kurdische Volk ausgesetzt ist, folgt es heute den Ideen Rêber Apos. Es hat seinen Schmerz gestillt und ihn voller Entschlossenheit in eine Quelle des freien und moralischen Lebens verwandelt. Das erneute Aufblühen der verschiedenen Identitäten und Kulturen des Mittleren Ostens, aber auch deren friedliches Zusammenleben stellt für die gesamte Menschheit eine atemberaubende Entwicklung dar. Es sind die antirassistischen, antinationalistischen und demokratischen Ideen von Rêber Apo, die all diesen Entwicklungen den Weg bereitet haben. Bei den apoistischen Ideen handelt es sich um Ideen, die vollständig von Rassismus und Nationalismus befreit sind.

Die Neubelebung der Kulturen

Rêber Apo hat die sprach- und identitätslosen Sklav:innen von gestern in die Hoffnungsträger:innen von heute verwandelt. Dadurch hat der der Menschheit eines der größten Geschenke gemacht. Durch seine neuen Ideen und seinen unvergleichlichen Kampf hat er den durch Auslöschung bedrohten Kulturen, der zu Nichts erklärten Frau und der vergifteten Natur zu neuem Leben und zu einem neuen Aufbruch verholfen. Denn seine Ideen umfassen die Neubelebung der Kulturen mit all ihrer Schönheit, den erneuten, so sehr verdienten Aufstieg der freien Frau und die Wiedervereinigung der Menschheit mit Mutter Erde. Heute entsteht die demokratische kurdische Nation als eine außerstaatliche, neue und demokratisch beschaffene Nation. Sie stellt damit die größte Sicherheit für unser aller Freiheit dar. Der Widerstand der kurdischen Frauen stellt heute durch die Kraft und Moral, die ihnen von Rêber Apo gegeben wurde, die härteste Ohrfeige für das kapitalistische Vergewaltigungssystem dar.

Mit jedem Tag der vergeht lernen mehr Menschen und immer neue Kreise die demokratischen, ökologischen und auf der Freiheit der Frau basierenden Ideen Rêber Apos kennen. Je mehr dies geschieht, desto stärker werden diese Ideen umgesetzt und verteidigt. Denn die Ideen Abdullah Öcalans bieten keinerlei Platz für Faschismus, Rassismus, Nationalismus, Sexismus, Ungerechtigkeit und Morallosigkeit. Rêber Apo zu verteidigen bedeutet daher, gegen den Kapitalismus Position zu beziehen. Es bedeutet sich gegen Rassismus, Nationalismus, die Hegemonie des Mannes und die Zerstörung der Natur zu stellen. Rêber Apo zu verteidigen bedeutet, für die Werte des 21. Jahrhunderts wie gesellschaftliche Demokratie, Freiheit und Gleichheit einzustehen. Ihn zu verteidigen ist Ausdruck einer antikapitalistischen und demokratisch-sozialistischen Haltung.

Das internationale Aktionskomitee „Freiheit für Abdullah Öcalan“ hatte für den 2. Oktober zu Protesten in Straßburg aufgerufen, bei denen die Botschaft unseres Volkes und dessen internationaler Freund:innen die besagte Realität ein weiteres Mal zum Ausdruck brachte. Aus genau diesem Grund war der französische Staat nicht dazu in der Lage die gebotene demokratische Toleranz für ein vor Ort aufgebautes Zelt-Camp aufzubringen. Die französische Polizei wurde daraufhin angewiesen, die Protestierenden auf eine Art und Weise anzugreifen, die der faschistischen Polizei der AKP und MHP in Nichts nachsteht. Durch diese Haltung hat der französische Staat eindeutig klargestellt, dass er das Erdoğan/Bahçeli-Regime unterstützt. Wir verurteilen den französischen Staat aufgrund dieser Unterstützung für den Faschismus. Und wir grüßen den demokratischen Protest und Widerstand unseres Volkes und seiner internationalen Freund:innen, die sich an dem Protest in Straßburg beteiligt, dort sehr wichtige demokratische Botschaften verbreitet und gegen die Angriffe auf sie Widerstand geleistet haben.

Neuer Versuch, die Befreiungsbewegung zu vernichten

Unsere Feinde unternehmen derzeit einen neuen Versuch unser Volk und unsere Bewegung zu vernichten. Sie möchten all die demokratischen Errungenschaften und Werte des kurdischen Volkes zerstören, die durch die unvergleichlichen Opfer von Rêber Apo und unserer Bewegung erreicht wurden. Angetrieben werden sie dabei von dem Wunsch, die Kurd:innen wieder in die Zeit vor der PKK und dem Aufbruch Öcalans zurückzuwerfen. Sie verleugnen unseren seit fast 50 Jahren andauernden Kampf und alle durch ihn erreichten demokratischen Errungenschaften der Kurd:innen. So versuchen sie die Kurd:innen in ihre frühere Position und zu ihrem alten Schicksal zu zwingen. Dabei möchten sie einfach nicht einsehen, dass dies nicht mehr möglich ist. Genau diese Ziele verfolgen sie auch mit der vollständigen Isolation Rêber Apos. Denn ein Volk ist so lange nicht frei, wie sein Anführer in Gefangenschaft und Isolation gehalten wird. Aus diesem Grund sind unser Volk und dessen internationale Freund:innen jeden Tag auf der Straße und fordern die Freiheit von Rêber Apo. Und aus genau demselben Grund hat der seit 38 Jahren andauernde, unvergleichliche und zutiefst legitime Widerstand der Freiheitsguerilla heute einen neuen Höhepunkt erreicht. Doch gleichzeitig verschärfen der völkermörderische Besatzerstaat Türkei und dessen Unterstützer:innen mit jedem Tag die Isolation auf Imrali. Auch die internationalen Hegemonialmächte ziehen es weiter vor, aufgrund ihrer eigenen Interessen die Isolation zu tolerieren. Internationale Menschenrechtsorganisationen und Institutionen wie der Europarat, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) ignorieren noch immer die totale Isolation auf Imrali und die kurdenfeindliche Politik des genozidal und kolonialistisch agierenden Stattes Türkei. Sie weigern sich also der ihnen übertragenen Rolle und ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Dadurch machen sie sich mitschuldig an den Verbrechen des faschistischen AKP/MHP-Spezialkriegsregimes. Unser Volk und dessen internationale Freund:innen bringen es bei jedem ihrer Proteste zur Sprache: Der Europarat und die mit ihm verbundenen internationalen Menschenrechtsorganisationen müssen endlich aufhören, sich gegenüber der totalen Isolation auf Imrali und der kurdenfeindlichen Völkermordpraxis des AKP-MHP-Regimes blind, taub und stumm zu stellen.

CPT-Delegation nach Imrali

Der Europarat und die ihm angehörigen Menschenrechtsinstitutionen werden von den Völkern dieser Welt inklusive dem kurdischen Volk als sehr wichtige Institutionen anerkannt. Sie müssen daher unbedingt ihren Beitrag dazu leisten, die juristische, politische und menschliche Isolation Rêber Apos aufzuheben und umgehend praktische Antworten auf die Forderungen des kurdischen Volkes und seiner internationalen Freund:innen zu finden. Was unter praktischen Lösungen zu verstehen ist, bringen unser Volk und seine Weggefährt:innen jeden Tag auf den Straßen zur Sprache. Dementsprechend muss sofort eine CPT-Delegation nach Imrali reisen, um das kurdische Volk, unsere Bewegung und die demokratische Öffentlichkeit über die aktuelle Situation Rêber Apos und seiner drei Genossen zu informieren. Zudem muss umgehend gewährleistet werden, dass die Anwält:innen und die Familie unseres Vorsitzenden ihn regelmäßig besuchen können.

Auch muss erreicht werden, dass die „Verschärfte lebenslange Freiheitsstrafe” aus dem türkischen Strafgesetzbuch gestrichen wird. Sie wurde vom türkischen Staat zur Bestrafung Rêber Apos eingeführt und später gegen dutzende weitere Gefangene verhängt. Laut einem Urteil des EGMR verstößt sie gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Wir fordern den Europarat und seine verantwortlichen Kommissionen auf, zu ihren eigenen Beschlüssen zu stehen und ihren Aufgaben und ihrer Verantwortung gerecht zu werden.

Die kurdische Jugend und die Frauen haben im 23. Jahr des Kampfes für das Ende des Internationalen Komplotts die wichtigste Führungsrolle. Auf dieser Grundlage rufen wir unser gesamtes patriotisches Volk in allen vier Teilen Kurdistans und im Ausland, insbesondere die kurdische Jugend und die Frauen, und dessen internationale Freund:innen dazu auf, mit voller Entschlossenheit ihren Kampf gemäß der Losung „Zeit für Freiheit” zu verstärken bis die physische Freiheit Rêber Apos erreicht ist. Wir rufen sie zudem dazu auf, sich noch stärker zu organisieren, ihre Willenskraft zu steigern und ihren Widerstand und Protest ununterbrochen fortzusetzen.