Seit dem Start der Offensive „Schluss mit Isolation, Besatzung und Faschismus – Zeit für Freiheit“ ist ein Jahr vergangen. Die Initiative der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) war zum 40. Jahrestag des Militärputschs vom 12. September 1980 aus Anlass der extremen Steigerung des türkischen Faschismus ins Leben gerufen worden. Denn die Türkei ist in einem Vielfrontenkrieg. Von Nordafrika über Nah- und Mittelost bis zum Kaukasus war und ist das von Recep Tayyip Erdogan geführte Land in zahlreiche Konflikte verwickelt. In Libyen hat Ankara den Krieg zugunsten der international anerkannten Regierung in Tripolis gewendet, beim aserbaidschanischen Angriffskrieg gegen die armenische Republik Berg-Karabach stand die Türkei der Führung in Baku nicht nur rhetorisch, sondern und vor allem militärisch zur Seite. In den Autonomiegebieten von Nord- und Ostsyrien bzw. in Rojava sowie im südlichen Teil Kurdistans werden die neoosmanischen Großmachtbestrebungen durch fortgesetzte Besatzungsoperationen und völkerrechtswidrigen Invasionen weiter vorangetrieben. Um das Mittelmeer findet ebenfalls ein Hegemonie-Gerangel statt. Die Türkei möchte ihren globalen Einfluss erhöhen und erhebt den Anspruch, als Regionalmacht in die Fragestellungen ihrer Nachbarschaft involviert zu sein. Durch diese aggressive Außenpolitik ist die Region heute Schauplatz des dritten Weltkrieges, lautet die Auffassung der kurdischen Bewegung. Im Mittelpunkt stehe dabei die Vernichtung der Kurdinnen und Kurden. Um dem kriegerischen Treiben, im Besonderen dem aggressiven Konfrontationskurs des türkischen Regimes gegenüber der kurdischen Gesellschaft ein Ende zu setzen, war die Einleitung der KCK-Offensive unabdingbar.
Ein „historisches Ereignis“ im Geiste des 14. Juli
Und sie hatte Erfolg. Weltweit sprachen Bewegungen, Bündnisse, politische Parteien und Organisationen ihre Unterstützung aus. Menschen gingen überall auf die Straße, um ein Zeichen zu setzen für einen gemeinsamen Kampf der Völker gegen den türkischen Faschismus. In einer Erklärung anlässlich des Jahrestags des Beginns der Kampagne würdigt die KCK diese Entwicklungen und bezeichnet die Offensive als „historisches Ereignis“, das durchgehend vom „Geist des 14. Juli“ (Am 14. Juli 1982 begannen im Gefängnis von Diyarbakır – der „Hölle von Amed” – inhaftierte Gründungsmitglieder der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) aus Protest gegen die unmenschlichen Bedingungen in dem Militärgefängnis ein Todesfasten, Anm. d. Red.) erfüllt gewesen sei. Insbesondere durch die Zusammenlegung mit der Offensive „Zeit, die freie Frau und Gesellschaft gegen Feminizid zu verteidigen“ der Gemeinschaft der Frauen Kurdistans (KJK), also dem Dachverband der kurdischen Frauenbewegung, sei die antifaschistische Kampagne enorm gestärkt worden. Im Ergebnis habe diese Fusion und der damit einhergehende gemeinsame Widerstand dazu geführt, dass die faschistische AKP/MHP-Regierung als „Feind von Freiheit und Demokratie in Kurdistan und dem Mittleren Osten“ an den Rand des Zusammenbruchs getrieben wurde.
Besatzung der Region und militärische Hegemonie
„Das grundlegende Ziel all dieser Angriffe besteht darin, das politische Gewicht und die Macht des türkischen Staates zu steigern, um die kurdische Freiheitsbewegung zu zerschlagen und den Genozid an den Kurdinnen und Kurden zu Ende bringen zu können. Der türkische Staat hat seine Innen- und Außenpolitik vollständig auf dieses eine Ziel ausgerichtet. Er will die Besatzung der Region und eine militärische Hegemonie durchsetzen. Wir haben unsere Offensive zu einer Zeit gestartet, in der das faschistische Regime immer aggressiver auftrat und intensive Angriffe durchführte. Mit Blick auf die Entwicklungen im vergangenen Jahr können wir eindeutig feststellen, dass unsere Initiative große Erfolge erzielte und zu wichtigen Ergebnissen geführt hat. Wir gedenken vor diesem Hintergrund voller Respekt an unsere Gefallenen und grüßen alle, die ihren Beitrag für die Offensive geleistet haben“, hält die KCK in ihrer Erklärung fest. Weiter heißt es:
Offensive von allen mutig aufgegriffen
„Unsere Offensive hat in Kurdistan, der Türkei und dem Mittleren Osten zu einem praktischen Bündnis und einer gemeinsamen Kampffront der Völker und demokratischen Kräfte gegen den AKP/MHP-Faschismus geführt. Das stellt eine sehr wichtige Entwicklung dar. Denn damit ist eine neue Phase in unserem Kampf eingeleitet worden, die im Ergebnis das wahre Gesicht des türkischen Faschismus entblößt. Dem Regime wurden alle Möglichkeiten entrissen, diesen Spezialkrieg zu verschleiern. Unsere Offensive wurde mutig aufgegriffen, nicht nur von Kurd:innen, sondern von den verschiedensten Völkern, Frauen, gesellschaftlichen Kreisen und demokratischen Kräfte in Kurdistan, der Türkei, dem Mittleren Osten und allen Teilen der Welt. Sie alle sind gemeinsam gegen den völkermörderischen Kolonialismus der Türkei aktiv geworden. Dieser derart breite und ununterbrochene Kampf hat die AKP/MHP-Regierung dazu gezwungen, ihre Angriffsposition aufzugeben und zur Verteidigung überzugehen. Ihre aktuelle Angriffswut ist nichts anderes als der verzweifelte Versuch, den eigenen Zusammenbruch zu verhindern.“
Globaler Kampf für die Freiheit Abdullah Öcalans
Durch den intensiven Kampf für die Zerschlagung des Faschismus, das Ende der Isolation auf der Gefängnisinsel Imrali und dem Rest des Landes sowie für die Freiheit von Abdullah Öcalan habe der Widerstand für dessen physische Befreiung ein bedeutendes Niveau erreicht, führt die KCK aus. Die Offensive habe offengelegt, dass sich das Isolationssystem von Imrali im ganzen Land ausgebreitet und als Maßnahme mit normativem Charakter unmittelbare Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens und alle antifaschistischen Kräfte hat. Das Imrali-System bestimme das gesamte Handlungsmuster der türkischen Politik, die Insel gelte inzwischen als Koordinierungszentrum des Krieges gegen jegliche Opposition. Dass sich an der KCK-Offensive demokratische Bewegungen aus der gesamten Region und darüber hinaus beteiligten, liege daran, dass begriffen wurde, „dass der Kampf für die Freiheit Rêber Apos die konkreteste und direkteste Form des Einsatzes für Demokratie darstellt“, so die KCK. „Heute ist der Kampf für die Freiheit Rêber Apos ein globaler Kampf, der von allen Frauen, Sozialist:innen, Arbeiter:innen, Intellektuellen und demokratischen Kräften unterstützt wird. Mit der Isolationspolitik auf Imrali wird versucht, die Ideen Rêber Apos und die von ihm entwickelte demokratisch-sozialistische Linie, die auf der Freiheit der Frau und einer demokratisch-ökologischen Gesellschaft basiert, zu isolieren. Doch trotz der Isolation haben sich seine Überlegungen zu einer Ideologie und politischen Linie entwickelt, die überall auf der Welt immer mehr an Einfluss gewinnt.“
Gedenken an Gefallene
Vor allem die Guerilla habe sich mit aller Kraft an dieser Offensive beteiligt. „Durch ihren selbstlosen Widerstand gegen die vielfältigen und schweren Angriffe dieses genozidalen und kolonialistischen Feindes hat die Guerilla all jenen großen Mut verliehen, die gegen den AKP/MHP-Faschismus kämpfen. Dieser greift Nordkurdistan und die Medya-Verteidigungsgebiete an, um seine Existenz zu sichern und Hindernisse vor einem Genozid am kurdischen Volk aus dem Weg zu räumen. Der historische und selbstlose Widerstand der Guerilla gegen diese Angriffe hat die politischen Ziele des türkischen Faschismus zum Scheitern gebracht und dadurch den denkbar größten Beitrag zu unserer Offensive ‚Zeit für Freiheit‘ geleistet. Die Guerilla leistet mit dem Bewusstsein Widerstand, dass diese faschistische Regierung der bloßen Existenz des kurdischen Volkes und allen Formen von Freiheit und Demokratie feindlich gegenübersteht. Voller Respekt gedenken wir all der Kämpferinnen und Kämpfer, die in diesem Widerstand ihr Leben ließen.
Sturz des Regimes wird kurdische Frage lösen
Unsere Offensive hat im Verlauf des vergangenen Jahres die AKP/MHP-Regierung erschüttert, geschwächt und an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Doch wurde ihr Ruin noch nicht gänzlich erreicht. Die Isolation auf Imrali wurde abgeschwächt und ihres Nutzens und ihrer Grundlage beraubt. Für die Freiheit Rêber Apos wurden damit wichtige Entwicklungen herbeigeführt. Doch ganz aus dem Weg geräumt wurde die Isolation nicht. Die Haltung und der Kampf des Volkes gegen die Besatzung sind durch unsere Offensive noch deutlicher geworden. Doch auch die Besatzung und damit einhergehende Angriffe gehen weiter. Deshalb stellen auch im zweiten Jahr die Zerschlagung des AKP/MHP-Faschismus, die physische Freiheit von Rêber Apo und die Beendigung der Besatzung in allen Teilen Kurdistans die grundlegenden Ziele unserer Kampagne dar. Der Sturz der türkischen Regierung wird nicht nur zur Demokratisierung der Türkei und zur Lösung der kurdischen Frage führen, sondern auch die Demokratisierung des Mittleren Ostens ermöglichen. In diesem Sinne ist es die historische Chance und Aufgabe des kurdischen Volkes und aller demokratische Kräfte, sich an diesem Kampf mit allen Möglichkeiten zu beteiligen.
In der Lage ein alternatives demokratisches System aufzubauen
Nur die Kurd:innen und die mit ihnen verbündeten Völker und demokratischen Kräfte sind durch ihren Kampf auf Grundlage der Linie Rêber Apos dazu in der Lage, die Probleme in Kurdistan, der Türkei und dem Mittleren Osten zu lösen, die derzeit unlösbar erscheinen und zu einer ausweglosen Situation geführt haben. Und nur sie sind dazu in der Lage, ein alternatives demokratisches System aufzubauen. Wir rufen daher das gesamte kurdische Volk in allen vier Teilen Kurdistans und im Ausland, all unsere befreundeten Völker und alle demokratischen Kräfte dazu auf, unter der Führung der Frauen und der Jugend im zweiten Jahr von ‚Zeit für Freiheit‘ ihre Kräfte intensiver zu bündeln, auf dieser Grundlage ihren Kampf zu verstärken und durch die Zerschlagung des faschistischen AKP/MHP-Regimes Rêber Apo zu befreien und ein freies Kurdistan, eine demokratische Türkei und einen demokratischen Mittleren Osten zu erschaffen.“