KCD-Verfahren: Fünf Verhaftungen in Amed

Ein Gericht in Amed hat im Rahmen des KCD-Verfahrens Untersuchungshaft gegen fünf „Terrorbeschuldigte“ angeordnet. Unter den Betroffenen befinden sich der Arzt Şeyhmus Gökalp, Ehrenvorstandsmitglied der Ärztevereinigung, und der Anwalt Haknas Sadak.

In Amed (türk. Diyarbakir) sind fünf Personen verhaftet worden, denen im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen den zivilgesellschaftlichen Dachverband „Demokratischer Gesellschaftskongress“ (kurd. Kongreya Civaka Demokratîk, KCD) Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Das Gericht erließ Haftbefehl gegen den Rechtsanwalt Haknas Sadak, den Ko-Vorsitzenden der Zweigstelle des per Notstandsdekret verbotenen Vereins zur Hilfe von Flüchtlingen (Göç-Der), Yılmaz Kan, den Arzt Dr. Şeyhmus Gökalp, der Ehrenvorstandsmitglied der Ärztevereinigung TTB ist, den HDP-Aktivisten Diyaddin Noyan sowie İrfan Kanğal. Weitere vierzig Personen wurden gegen Meldeauflagen auf freien Fuß gesetzt. Unter ihnen befindet sich auch die Journalistin und Redakteurin der feministischen Frauennachrichtenagentur JinNews, Roza Metina.

Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen den KCD waren am Freitag bei Polizeioperationen in Amed, Istanbul, Izmir und Semsûr (Adiyaman) 72 Personen festgenommen worden. Auf der Fahndungsliste stehen insgesamt 101 Personen, bei denen es sich größtenteils um Vertreter*innen zivilgesellschaftlicher Organisationen handelt, darunter zahlreiche Jurist*innen und Vorstandsmitglieder des Menschenrechtsvereins IHD. Von 24 festgenommenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sind 21 am Freitagabend wieder freigelassen worden.

Hintergrund: Was will die Regierung vom KCD?

Der Demokratische Gesellschaftskongress fungiert als Dachverband politischer Parteien, zivilgesellschaftlicher Organisationen, religiöser Gemeinden sowie Frauen- und Jugendorganisationen. Er versteht sich als gesellschaftlicher Gegenentwurf zu staatlichen Strukturen, der – gestützt auf Räte- und Basisdemokratie – Konzepte zur Selbstorganisierung der Bevölkerung und Alternativen der kommunalen Selbstverwaltung erarbeitet. Der KCD besteht aus etwa 1000 Delegierten, von denen 60 Prozent durch die Bevölkerung direkt gewählt und 40 Prozent aus zivilgesellschaftlichen Organisationen benannt werden, und ist in Kommissionen gegliedert. Sowohl innerhalb des Dachverbands wie auch in den Stadtteilräten und Stadträten gibt es keine Frauenquote, sondern eine Geschlechterquote. Das bedeutet, dass der Anteil von Frauen beziehungsweise Männern 40 Prozent nicht unterschreiten darf.

Von Öcalan für demokratische Gesellschaftsorganisierung vorgeschlagen

Bereits im Jahr 2005 von Abdullah Öcalan als Projekt für die demokratische Organisierung der Gesellschaft vorgeschlagen, wurden zunächst große Diskussionsveranstaltungen durchgeführt, bis im Folgejahr die erste Vollversammlung organisiert wurde. Am 14. Juli 2011 fand in Amed ein Kongress mit über 800 Teilnehmenden aller ethnischen, politischen und religiösen Strukturen in Kurdistan statt. An die gemeinsame Erklärung der Versammlung anschließend wurde die Demokratische Autonomie ausgerufen. In dem veröffentlichten Modellentwurf werden acht Dimensionen aufgeführt: die politische, die juristische, die der Selbstverteidigung, die kulturelle, die soziale, die wirtschaftliche, die ökologische und die diplomatische. Die Satzung richtet sich nicht nach den Gesetzen der Türkei, sondern nimmt die demokratische Teilhabe der Bevölkerung als Grundlage.

Langjährige Zusammenarbeit der Regierung mit KCD beim Lösungsprozess

Obwohl der KCD als höchstes Gremium der Demokratischen Autonomie unmittelbar nach seinem Gründungskongress kriminalisiert und mit Ermittlungsverfahren überzogen wurde, arbeitete die türkische Regierung zwischen 2005 und 2014 intensiv mit dem Dachverband zusammen, um gemeinsam den damals möglichen Friedensprozess zu verhandeln. Der KCD wurde von der AKP sogar gebeten, an einer neuen Verfassung für die Türkei mitzuarbeiten. Der damalige Ko-Vorsitzende Hatip Dicle gehörte zudem zur sogenannten „Imrali-Delegation“, die im Rahmen des Lösungsprozesses eine Vermittlerrolle zwischen Abdullah Öcalan und der türkischen Regierung eingenommen hatte. Auch nachdem der damalige Ministerpräsident und heutige Staatschef Recep Tayyip Erdoğan im Sommer 2015 die Friedensverhandlungen einseitig abbrach, wurde der KCD nicht verboten. Aktuell sieht die türkische Führung den KCD als sogenannten Ableger der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).