Angesichts der am 17. April gestarteten türkischen Großoffensive auf die Medya-Verteidigungsgebiete in Südkurdistan ruft Murat Karayılan im Namen des Exekutivrats der PKK alle Kurdinnen und Kurden zum Widerstand auf. Er erklärt im ANF-Interview, der Krieg befinde sich noch am Anfang: „Der Weg für die Existenz unseres Volkes, seine Zukunft und seine Freiheit führt hier hindurch. Wir werden jedes Opfer bringen, egal was es sein mag. Wir glauben an uns und werden den Feind besiegen.“ Karayılan appelliert an alle Kurd:innen: „Diese Phase ist eine Ausnahmesituation. Alle Kurdinnen und Kurden sollten Risiken auf sich nehmen und tun, was nötig ist.“
Seit dem 17. April führt der türkische Staat einen umfassenden Angriff auf die Medya-Verteidigungsgebiete durch. Was ist das Ziel dieses Angriffs?
Zunächst ist anzumerken, dass dieser Angriff kein gewöhnlicher Angriff ist. Seit 2016 handelt der türkische Staat nach einem neuen Konzept, basierend auf einer bestimmten Strategie. Das Ziel dieser Strategie besteht darin, die Türkei dürfe, um den Freiheitskampf in Kurdistan zu stoppen, nicht schrumpfen, sondern müsse expandieren. In diesem Zusammenhang zielte der Staat darauf ab, die Gebiete in den Grenzen von Misak-i Milli [Osmanischer Nationalpakt, geht weit über die heutige Türkei hinaus] im militärischen, politischen, wirtschaftlichen Sinne unter seine Kontrolle zu bringen. Gleichzeitig sollen Irak und Syrien nicht direkt besetzt, sondern unter eine Art Schirmherrschaft gebracht werden. Auf diese Weise soll ein neoosmanisches Programm umgesetzt und die Türkei zum größten Staat der Region gemacht werden. Das ist der Kern des Konzepts. Auf dieser Grundlage bekämpft der türkische Staat uns seit langem. Er greift das kurdische Volk nicht nur auf militärischer, sondern auch auf politischer, sozialer und kultureller Ebene an. Gegen Rêber Apo [Abdullah Öcalan] wurde ein Folterregime installiert, das es in dieser Form nirgends auf der Welt gibt. Der türkische Staat hat einen permanenten Ausnahmezustand etabliert, um uns zu vernichten.
Bekanntlich zielte der türkische Staat 2021 darauf ab, die Gebiete, in denen sich die Guerilla in Südkurdistan befindet, die Medya-Verteidigungsgebiete, zu besetzen. Also wurde Gare überraschend, noch während Schnee lag, angegriffen. Wie bekannt ist, erlitt die türkische Armee dort eine Niederlage. Dann gab es umfangreiche Angriffe auf Zap, Avaşîn und Metîna. Die Gebiete sollten besetzt werden, um von dort aus nach Gare und Qendîl vordringen. Das sollte binnen drei Monaten geschehen, aber dieser Plan ist nicht aufgegangen. Es war eine Niederlage für die türkische Armee. In einigen Gebieten sind zwar ein paar Gipfel eingenommen worden, aber die Guerilla leistete großen Widerstand und die türkische Armee ist ein weiteres Mal geschlagen worden.
„Sie können die Niederlage von 2021 nicht verdauen“
Wir wussten, dass der türkische Staat das nicht so leicht verdauen würde. Das faschistische AKP/MHP-Regime muss seine Strategie umsetzen, das hatte es sich zur zentralen Aufgabe gemacht. Aber es gelang dem Regime nicht und daher geht es dem Zusammenbruch entgegen. Jeden Tag wird es schwächer. Die Regierung hat nun noch ein Jahr vor sich und ihr Bestehen an den Erfolg ihrer Strategie gebunden. Deshalb hat sie einen noch umfassenderen Angriff gestartet.
Natürlich wussten wir Bescheid. Wir beobachten den Feind immer. Neue Kräfte wurden ausgebildet, Soldaten trainiert und die Regionalmächte wurden diplomatisch und politisch vorbereitet. Außerdem wurde für internationale Unterstützung gesorgt, damit sich niemand dem entgegenstellt. Kurz gesagt, der türkische Staat hat heimliche Vorbereitungen in einem breiten Rahmen getroffen, sowohl diplomatisch als auch militärisch. In diesem Rahmen haben die Angriffe vom 17. April begonnen.
„Keine Operation, sondern großer Krieg“
Es wäre richtiger zu sagen, dass der Angriff am 14. April begann. Denn vor dem 17. April fanden drei Tage lang Luftangriffe statt. In der Militärliteratur wird dies als „Aufweichen“ bezeichnet. Dazu wurden die Luftangriffe durchgeführt. Dann, in der Nacht vom 17. auf den 18. April, griffen sie aus dem Süden und Norden vom Boden aus an. Mit Luftlandeoperationen wurde ein umfassender Invasionsangriff gestartet. Es handelt sich nicht um eine Operation, sondern um einen großen Krieg. Kein Staat bekämpft einen anderen so leicht. Selbst in der Ukraine glaube ich nicht, dass es solche Fronten gibt, dass es die Entwicklung eines solchen permanenten Krieges geben kann. Es ist ein großer Krieg. Der türkische Staat hat seine Technik und chemische Waffen schon früher eingesetzt, aber momentan sehen wir, dass er den Schwerpunkt noch stärker auf die Technik legt. Man kann sehen, dass gleichzeitig Hubschrauber, Kampfjets, Aufklärungsflugzeuge fliegen, während Bodenangriffe stattfinden und die Haubitzen von den Grenzfestungen aus feuern. Kurz gesagt, es wird auf ein permanentes Bombardement und eine absolute Besatzung abgezielt.
Das Interview mit Murat Karayılan wurde am zweiten Tag der Invasion im Zap aufgezeichnet
„Es wird noch heftiger werden“
Aber auch die Gebiete, die gerade angegriffen werden, sind nicht irgendwelche. Zap und Avaşîn sind Schauplätze des historischen Widerstands. Unser Volk und alle sollten wissen, dass der Krieg noch schlimmer werden wird. Die Armee greift praktisch unbegrenzt auf Technik zurück und will auf diese Weise Ergebnisse erzielen. Aber unsere Freundinnen und Freunde haben genug Erfahrung. Vor allem im vergangenen Jahr wurden wichtige Erfahrungen dabei gemacht, den Feind aus unterirdischen Stellungen und im Gelände anzugreifen und sich selbst zu schützen. Dieser Krieg wird historisches Ausmaß haben.
Wir befinden uns am Anfang. Der Krieg läuft jetzt zwei Tage, der dritte Tag beginnt. Wir haben den Freundinnen und Freunden geschrieben und ihnen gratuliert. Die ersten Tage sind in solchen Prozessen sehr wichtig. Die Freundinnen und Freunde waren in diesen ersten Tagen bereits erfolgreich, dafür haben wir ihnen gratuliert. Natürlich führt der Feind einen Spezialkrieg. Also behauptet er, er habe so und so viele Orte eingenommen, und es sei nur ein Hauptmann gestorben. Aber das entspricht nicht der Realität. Der Feind legt in diesem Krieg offensichtlich das größte Gewicht auf Technologie und Propaganda. Er will die Öffentlichkeit täuschen, indem er die Wahrheit verbirgt und die Wahrnehmung in der türkischen Gesellschaft manipuliert. Für das faschistische Regime ist es ein wichtiger Krieg. Es geht ums Überleben. Wenn Erdoğan und Bahçeli diesen Krieg verlieren, werden sie nicht nur verlieren, sondern auch im Gefängnis landen. Sie sind in Korruption und so viele Verbrechen verwickelt, dass sie nicht von der Strafverfolgung verschont bleiben werden. Deshalb haben sie alle Ressourcen der Türkei mobilisiert. Sie haben Risiken auf sich genommen und alles innen- und außenpolitisch getan, um Erfolg zu haben. Das tun sie auch weiterhin.
„Ein Krieg von strategischer Bedeutung für das kurdische Volk“
Dieser Krieg ist nicht nur ein Krieg zwischen der PKK und dem türkischen Staat. So etwas zu behaupten, ist ein großer Fehler. Dieser Krieg wird auf der Grundlage einer Strategie geführt. Es ist wahr, dass das erste Ziel dieser Strategie die PKK ist, aber die PKK ist nicht das einzige Ziel. Es gibt andere Ziele. Es geht darum, alle Errungenschaften des kurdischen Volks zu vernichten. Danach wird das AKP/MHP-Regime in der Lage sein, mehr Einfluss auf das arabische Volk auszuüben und es unter Kontrolle zu bekommen. Dadurch wird die Region von der Türkei beherrscht werden. Der türkische Staat wird nicht nur die Berge Kurdistans, sondern auch Hewlêr und Bagdad unter seinen Einfluss nehmen. Ja, die PKK ist sicher das erste Ziel, aber es geht eben um alle Errungenschaften des kurdischen Volkes. Deshalb hat der Krieg für das kurdische Volk eine strategische Bedeutung. Es geht für das kurdische Volk um Sein oder Nichtsein.
„Es geht um Leben und Tod“
Das Vermögen der Türkei ist im Krieg verbraucht worden. Das meiste Einkommen fließt in diesen Krieg. Warum hungert die Bevölkerung der Türkei heute? Die Türkei ist ein reiches Land, aber das gesamte Einkommen wurde heimlich und offen in den Krieg umgeleitet. Jetzt wird man den Herrschenden sagen: „Ihr habt so viel Geld für den Krieg ausgegeben und konntet dennoch nicht gewinnen.“ Man wird Ermittlungsverfahren einleiten. Deswegen müssen die Faschisten Erdoğan und Bahçeli, um ihre Herrschaft fortzusetzen und die Hegemonie des Faschismus in Kurdistan zu stärken, uns gegenüber erfolgreich sein. Das ist für sie sehr wichtig. Für uns ist es noch wichtiger. Es handelt sich um eine Angelegenheit von Leben und Tod. Es ist wichtig für unser Volk, für das arabische Volk, für die Menschen in der Region. Die Türkei verfolgt neoosmanische Träume und hört auf niemanden. Das ist kein geheimer Plan. Jeden Tag wird ganz offen über Kerkûk gesagt: „Das war eigentlich uns, aber sie haben es uns genommen.“ Der türkische Staat hat solche Absichten, was würden sonst die Soldaten in Başîqa machen? Warum werden so viele Vorbereitungen in Bezug auf Kerkûk getroffen? Es ist klar, dass, wenn diese Strategie Bestand hat, der kurdische Status vernichtet wird. Weil es der PDK gefällt, wird sie als „kurdische Leitung“ bezeichnet. Was leitet sie denn? Es werden die Begriffe „Kurdische Leitung des Nordiraks“ oder „Ministerpräsident der Kurden im Nordirak“ verwendet. Der türkische Staat erkennt Kurden weder im Inland noch im Ausland an. Er erkennt Kurdistan in keinster Weise an. Das ist die Wahrheit. Der türkische Staat hat sich auf der Grundlage dieses Konzepts organisiert und führt den Krieg auf dieser Basis.
Unser Volk sollte wissen, wir betrachten diese Phase als Ausnahmesituation. Es ist die Zeit der Mobilisierung. Dementsprechend müssen alle das tun, was ihnen möglich ist. Wir befinden uns in einer sehr wichtigen und kritischen Phase. Sie ist extrem heikel. Wir müssen diese Angriffswelle des Feindes brechen. Wenn das gelingt, wird eine neue Ära in Kurdistan, der Türkei und der Region beginnen, es wird sich eine Lösung entwickeln, Freiheit und Demokratie werden sich entwickeln. In diesem Sinne ist dieser Widerstand ein Widerstand für Demokratie und Freiheit, es ist der Widerstand des kurdischen Volkes für seine Existenz, es ist der Widerstand des kurdischen Volkes für die Freiheit, es ist der Widerstand der Völker der Region für Demokratie.
Was ist die Aufgabe der PDK bei diesen Angriffen? Wie stark ist die Beteiligung der PDK am Krieg?
Das ist ein wichtiger Punkt. Bereits im vergangenen Jahr unterstützte die PDK die Strategie der Türkei. Sie haben zusammengearbeitet. In welcher Form fand diese Zusammenarbeit statt? Die PDK umzingelte die Guerillagebiete und verhängte ein Embargo. Auf der anderen Seite übermittelte sie der Türkei Geheimdienstinformationen. Die PDK arbeitete mit dem Geheimdienst zusammen, darüber hinaus legte sie der Guerilla Hinterhalte. In Xelîfan hat sie zwei Mal die Guerilla angegriffen. Dabei sind Kämpferinnen und Kämpfer gefallen. Das war die Art der Kollaboration im vergangenen Jahr. Offensichtlich war die Türkei damit nicht zufrieden, also wurden Gespräche mit PDK-Vertretern auf höchster Ebene geführt. Es scheint, als ob die PDK in diesem Jahr bei den jüngsten Angriffen einen Schritt weiter gegangen ist.
„Eine gefährliche Situation für die PDK“
Wir sagen das nicht, um die PDK zu diskreditieren. Die PDK-Verantwortlichen sagen es zwar nicht offen, aber so ist die Realität. Das bestätigt der türkische Staat nach jedem Treffen mit ihnen. Beispielsweise gab es ein Gespräch mit Hulusi Akar [Verteidigungsminister der Türkei] in München. Im Anschluss erklärte Akar, man sei sich in allen Fragen und beim Thema PKK einig geworden, es bestehe eine Partnerschaft. Das gleiche hat auch Erdoğan mehrfach gesagt. Kurz vor dem letzten Gespräch in Istanbul haben die Luftangriffe begonnen, danach ging der Bodenangriff los. Das ist alles kein Geheimnis. Wir wollen nicht, dass die PDK eine gegen uns gerichtete und kurdenfeindliche Beziehung eingeht. Ich weiß nicht, wie das enden wird. Bisher sind sie noch nicht gegen die Guerilla ins Gefecht gezogen, aber seit gestern werden Kräfte zusammengezogen, es gibt Truppentransporte in Gebiete wie Dêrelûk und Şîladizê. Wir wissen nicht, ob damit eine neue Etappe beginnen wird, darüber haben wir keine Informationen. Die Situation ist natürlich gefährlich. Wir haben wirklich viele Initiativen ergriffen, damit es nicht zu einem direkten Gefecht kommt und nicht „Kurden gegen Kurden“ Krieg führen. Dafür habe ich mich persönlich sehr eingesetzt, und das hat unsere gesamte Leitung getan. Wir wollten es immer verhindern und das wollen wir auch jetzt.
„Kurden gegen Kurden“ ist ein Projekt des türkischen Staats
Als es 2017 bei einem Angriff in Şengal zu Gefallenen kam, standen wir unter Druck, einen Gegenangriff durchzuführen. Unsere Leitung hat das gestoppt. Wenn es nach den dortigen Freundinnen und Freunden gegangen wäre, hätten sie einen umfassenden Gegenangriff gestartet. Im Herbst 2020 wurden PDK-Truppen nach Zêbarî verlegt. Auf den dortigen Gipfeln waren Einheiten von uns. Es war absehbar, dass es zu einem Gefecht kommen wird, sie haben auch hier und dort das Feuer eröffnet, aber wir haben unsere Kräfte von dort abgezogen. Es ist auch öffentlich bekannt, dass im letzten Jahr am 5. Juni Truppen in Kriegsabsicht in die Metîna-Berge geschickt wurden. Es kam zu einem Kontakt und einem kurzen Gefecht. Sie haben ihre Truppen nicht auf diesen Gipfeln stationiert und wir haben unsere eigenen Kräfte abgezogen. Und warum? Damit es keinen Krieg gibt, in dem Kurden gegen Kurden kämpfen. Davon würde niemand profitieren, niemand wird gewinnen. Es ist ein Projekt des türkischen Staats.
Der türkische Staat will diesen Krieg in einen innerkurdischen Krieg umwandeln und damit sein Projekt erfolgreich umsetzen. Wir wollen das nicht. Es gibt jedoch Grenzen. Deshalb muss unser Volk sich mit seinen Politikerinnen und Politikern, Intellektuellen und Kunstschaffenden dieser Verantwortung stellen. So geht es nicht weiter. Wir sind opferbereit und fürchten niemanden. Wir wollen nicht, dass ein Krieg unter Kurden entsteht. So ist die Lage.
Haben Sie Beziehungen zur PDK? Wenn ja, auf welchem Niveau?
Im letzten Herbst hat der türkische Staat durch unseren großen Widerstand eine Niederlage in Avaşîn erlitten. Die Türkei ist kein kleiner Staat. Sie verfügt über Waffentechnologie und setzt Chemiewaffen ein, aber sie hatte trotzdem keinen Erfolg. Ich habe offen gestanden gehofft, dass Kek Mesûd [Barzanî] seine Meinung ändert. Deshalb habe ich ihm einen Brief geschrieben. Er hat geantwortet, dafür danke ich ihm. Seine Antwort enthielt jedoch keine Lösung. Für uns ist eine Lösung wichtig, und die kam nicht darin vor.
Aus heutiger Sicht betrachtet haben sie [die PDK] in ihrer Zusammenarbeit mit dem türkischen Staat einen weiteren Schritt nach vorne gemacht. Beispielsweise haben sie erlaubt, dass die Truppen des türkischen Staats, die auf südkurdischem Boden stationiert sind, ihre Standorte verlassen und unsere Kräfte angreifen. Weil der türkische Staat am ersten Tag keine Truppen aus der Luft absetzen konnte, sind Einheiten aus seinem Stützpunkt Sirê bei Şîladizê in Bewegung gesetzt worden. Gleichermaßen hat es Truppentransporte mit Hubschraubern aus Bamernê gegeben. Das zeigt, dass die Zusammenarbeit vorangeschritten ist. Es findet mit Genehmigung der PDK statt. Früher haben die in Südkurdistan stationierten Kräfte Informationen für ihren Staat gesammelt, aber es handelte sich nicht um operationelle Kräfte, die aktiv intervenieren. Ich glaube, es gab ein Abkommen darüber, dass diese Kräfte sich nicht ohne Genehmigung bewegen. Da sie sich jetzt in Bewegung gesetzt haben, gibt es offenbar eine solche Genehmigung. Dieses Thema ist für uns wichtig. Wenn die Guerilla sowohl im Süden als auch im Norden belagert wird, entsteht dadurch eine günstige Gelegenheit für den türkischen Staat. Das Ausrücken der Truppen aus dem Stützpunkt Sirê im Süden macht es wahrscheinlicher, dass er bei seinem Angriff Ergebnisse erzielt. Auf diese Weise soll die Guerilla von allen Seiten eingekesselt werden. Wir hätten nicht gedacht, dass so etwas möglich ist. Es ist jedoch die in der Praxis erfolgte Antwort.
Niemand wird die Türkei wieder zum Abzug bewegen können
Wir sagen, dass der türkische Staat eine antikurdische Strategie verfolgt. Die PDK darf das nicht unterstützen und nicht mit dieser Strategie zusammenarbeiten. Welche Interessen sie damit verfolgt, wissen wir nicht. Die Gefahr für die kurdische Zukunft wird damit größer. Der türkische Staat will sich an strategischen Stellen in Kurdistan festsetzen. Wenn er irgendwo eindringt, geht er nicht wieder, das wird in seinen Medien offen ausgesprochen. Er gibt Millionen für den Wegebau aus, niemand wird ihn wieder zum Abzug bewegen können. Warum also verhält sich die PDK so? Es wird vielleicht behauptet, dass der türkische Staat wegen der PKK kommt. Ich sage dazu: Unterstützt ihn nicht, dann werden wir sehen, ob er kommen kann.
Auch im vergangenen Jahr gab es eine solche Debatte. Wir haben gesagt, dass der Feind die Linie Zap, Metîna und Avaşîn nicht besetzen kann. In der Praxis haben wir uns daran gehalten. Das ist keine billige Propaganda, ich habe die Realität vor Augen. Wir können uns gegen diesen Feind durchsetzen. Kurz gesagt muss die PDK damit aufhören, sich hinter diese rassistische Strategie der Türkei zu stellen. Die Strategie des türkischen Staats richtet sich gegen alle Kurdinnen und Kurden.
Die PDK sägt an dem Ast, auf dem sie sitzt
Die PKK ist für die Föderation Südkurdistan eine Garantie. Ohne die PKK würde der türkische Staat nichts darauf geben. Hätte es die PKK nicht gegeben, würde die Republik Türkei keine Gespräche mit kurdischen Vertretern führen, das hat sie nie getan. Jetzt gibt es die PKK und sie ist eine Gefahr für sie. Aus Angst vor der PKK redet sie mit allen. Das muss man sich vor Augen führen. Wenn die PDK weiter Unterstützung leistet und die PKK dadurch geschwächt wird, werden wir sehen, ob die PDK noch in irgendeiner Weise berücksichtigt wird. Wir wissen genau, dass das nicht der Fall sein wird. Wir sind alle an der Reihe, und weil die PKK für den türkischen Staat gefährlich ist, steht sie ganz vorne. Die PKK soll zerschlagen werden, danach kommen alle anderen an die Reihe. Der türkische Staat ist gegen einen kurdischen Status. Vor zwei Monaten hat Hulusi Akar offen im Parlament gesagt, dass es weder in der Türkei noch außerhalb einen Ort namens Kurdistan gibt. Zu diesem Zweck führt der türkische Staat Krieg und hat eine entsprechende Strategie entwickelt.
Es gibt doch in der Türkei diesen Witz von Hodscha Nasreddin, der den Ast absägt, auf dem er sitzt, und auf den Boden fällt. Die PDK ist in derselben Situation. Sie will den Lebensbaum fällen und das wird auch ihr schaden. Das ist die Wahrheit. Wir wollen, dass die PDK aus dieser Situation herauskommt. Welche Initiativen dafür notwendig sind, weiß ich nicht. Başûr und Rojava müssen erkennen, welche Gefahren auf sie warten. Auch die kurdischen Politikerinnen und Politiker müssen die Gefahr sehen und sich dazu verhalten.
Wie beurteilen Sie die Haltung der Bevölkerung in Südkurdistan?
Das Volk im Süden hat einen hohen Preis bezahlt; es hat Anfal durchlebt [Unter dem Namen „Anfal“ das irakische Baath-Regime zwischen 1986 und 1989 in acht Phasen genozidale Maßnahmen in Südkurdistan durchgeführt, 182.000 Menschen starben]. Erst kürzlich jährte sich der Jahrestag. Unzählige Massaker und Genozide sind an diesem Volk verübt worden. Es ist ein patriotisches Volk und blickt auf zahlreiche Opfer zurück. In dieser Hinsicht empfinden wir großen Respekt vor der Bevölkerung Südkurdistans. Beispielgebend ist die Operation im Zap 2008. Damals wollte der türkische Staat von Bamernê und Amêdî aus vorrücken. Doch die dortige Bevölkerung stellte sich den Panzern entgegen und ließ nicht zu, dass die Guerilla umzingelt wird. Die Menschen im Süden waren also an jenem Sieg im Zap beteiligt. Was geschah damals? Der türkische Staat wurde besiegt. Es war die Zeit, als Beziehungen mit Südkurdistan bis dahin eine rote Linie darstellten. Sie [der türkische Staat] wurden gezwungen, diese Linie rückgängig zu machen. Ein Jahr danach wurden Beziehungen aufgenommen. Ohne den Sieg im Zap 2008 wären diese Beziehungen möglicherweise gar nicht zustande gekommen. Noch einmal war es die Bevölkerung von Şîladizê, die heldenhaft aufmarschierte und aus Protest gegenüber dem türkischen Staat seine Basis stürmte und niederbrannte. Sie tat dies mit Mut und dem Geist des Serhildan. Gerade in der gegenwärtigen Phase ist es wesentlich, dass das Volk Südkurdistans angesichts der türkischen Besatzung konsequent und aus eigenem Willen heraus aufsteht. Jetzt ist der Moment einer solchen Situation gegen die Türkei.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Geisteshaltung des Volkes positiv ist. Soweit wir erkennen können, stellen sich alle gegen den Besatzungsangriff der Türkei – nur eben die PDK nicht. Doch die politische Architektur in Südkurdistan wird nicht nur von der PDK repräsentiert. Und soweit wir es beurteilen können, sind alle anderen Kräfte gegen die derzeitige Situation. Alles ist offensichtlich, nichts bleibt im Verborgenen; für das kurdische Volk ergeben sich keine Interessen. Der türkische Staat wandelt auf der Grundlage des Turanismus. Der chauvinistische und nationalistische Flügel ist besonders stark. Wer ist Bahçeli? Er ist der Feind des kurdischen Volkes. Hulusi [Akar], der diesen Krieg eins zu eins führt, zeichnet sich durch ein einziges Merkmal aus: Feindseligkeit gegenüber dem kurdischen Volk! Es erscheint absolut unbegreiflich, wie es möglich sein kann, mit solchen Leuten Beziehungen einzugehen. Ich persönlich kann es schwer nachvollziehen. Wie kann es passieren, dass Kurden zu Kollaborateuren werden? Der türkische Staat hat in seiner Geschichte jeden vernichtet, der mit ihm paktiert hat. Nehmen wir uns Dersim als Beispiel. Es waren nicht alle Aschirets, die [beim Widerstand gegen den Völkermord 1937-1938] zur Waffe gegriffen haben. Lediglich fünf Stammeskonföderationen haben gekämpft. Alle anderen hatten es sich in der Kollaboration mit dem Staat bequem gemacht. Doch als der Widerstand gebrochen war, wurde ganz Dersim einem Völkermord unterworfen. Gleiches gilt auch für die Serhed-Region. Das ist Methode bei diesem Staat, seine Vergangenheit zeugt von einer genozidalen Geschichte. Der Mensch sollte sich nicht auf den Irrweg begeben und lieber nicht mit ihnen [dem türkischen Staat] verkehren. Vor allem sollte man nicht in falschen Dingen gegeneinander antreten. Wir sind nicht gegen Beziehungen der Regierung in Südkurdistan oder der PDK mit der Türkei und wir waren es auch nicht. Wogegen waren wir? Gegen eigennützige Interessen zum Nachteil der Kurdinnen und Kurden. Hier wird eine Operation gegen das kurdische Volk geführt. Sie [die PDK] bezeichnet es als Operation. In Wahrheit ist es ein Krieg, an dem sich [die PDK] beteiligt.
Ich denke, dass die Bevölkerung Südkurdistans sich dessen bewusst ist. Deshalb sage ich es erneut: bleibt uns verbunden. Zeigt euch bei jeder Gelegenheit und in allen möglichen Formen solidarisch. Sowohl bei der Bevölkerung in Behdînan als auch in Soran haben sich die patriotischen Werte tief in das Selbstverständnis eingegraben. Wir selbst sind Zeuge, wir kennen das Volk. Ich bin seit Jahren in Behdînan und war zuvor jahrelang in Qendîl. Ich kenne das Volk sehr gut. Seine Wahrheit ist aufrichtig und absolut. Wir sind überzeugt davon, dass es ohne Ausnahme gegen die gegenwärtige Situation ist.
Wir wollen zwei Dinge
Der PDK nahestehende Medien sprechen es immer wieder an; „Bewohner fliehen aus ihren Dörfern“ und „Dorfbewohner leiden“. Das ist richtig, wir sind uns dieser Tatsache bewusst. Bisher gibt es mehr als dreißig Tote. Es sind unsere Gefallene. Doch man sollte sich auch ins Bewusstsein rufen: Nur im Zap sind die Dörfer Rêkan und Nêrwe evakuiert worden. Die Dörfer in Sinunê sind ebenso wenig wieder aufgebaut worden wie im Umland von Dihok. In jeder Ortschaft gibt es gerade einmal ein Haus, wenn überhaupt. Die Antwort auf die Frage des Warums liegt in der Hinterfragung der eigenen Politik. Der Krieg ist nicht der einzige Grund, weshalb Bewohner:innen ihre Dörfer nicht aufbauen. Krieg ist eine Ursache, das stimmt. Aber es gibt ein allgemeines Problem. Ein anderer ist, dass der türkische Staat angreift. Gegenüber diesem gemeinsamen Feind müssen wir eine gleichgesinnte Haltung einnehmen. Dann wird es möglich sein, sich zu widersetzen. Dann werden äußere und internationale Mächte eine Reaktion zeigen. Denn solange eine souveräne kurdische Kraft diese Angriffe billigt, erscheinen diese barbarischen Akte als Gewohnheitssache. Mit Blick darauf sind wir zufrieden mit der Haltung des Volkes. Wir haben Hoffnung. Wie ich bereits formulierte, sollte sich unsere Gesellschaft in der Verantwortung sehen. Diese Phase darf sich nicht in einen innerkurdischen Krieg transformieren. Alle müssen sich dagegen zur Wehr setzen. Insbesondere die Peschmerga, die in dieser Hinsicht auf mühsame Anstrengungen zurückblicken kann, und die Gefolgsleute der PDK sollten den Lauf der Zeit erkennen. Ich habe einen Aufruf an sie, und ich habe Hoffnung. Jeder sollte sein Umfeld bewerten und eine Haltung einnehmen. Denn es geht in eine düstere Richtung. Was wollen wir? Es sind zwei Dinge:
-Der Krieg soll sich nicht zu einem Konflikt von Kurden gegen Kurden entwickeln.
-Die PDK soll die antikurdische Zusammenarbeit mit dem türkischen Staat beenden. Sie soll diese Politik aufgeben.
Dies sind unsere Wünsche. Und dies sollten auch die Ideale aller patriotischen Kurd:innen sein. Das ist alles, was ich in diesem Zusammenhang zu sagen habe.
Wir wollen die Werte dieses Volkes verteidigen
Sie haben von Ihren Erwartungen an die Bevölkerung Südkurdistans gesprochen. Was erwarten Sie sich allgemein von der Öffentlichkeit in Kurdistan sowie von den Freundinnen und Freunden des kurdischen Volkes?
Wir führen einen legitimen Kampf. Seit Jahren sind wir im Zap. Nun tritt die türkische Besatzung in Erscheinung, um sich hier dauerhaft niederzulassen. Auf diese Weise versucht sie sich als vorherrschende Kraft zu etablieren. Und genau dagegen leisten wir Widerstand. Es ist kein gewöhnlicher Kampf. Wir geben unser Leben. Jede Minute explodieren Bomben. Es gibt Luft- und Bodenangriffe. Wir sind im Krieg mit diesem Feind. Jeder Mensch mit ein wenig Gewissen sollte uns seine Unterstützung zuteil kommen lassen. Der Feind besitzt Panzer und Kanonen, Hubschrauber, Aufklärungsflugzeuge, alles Mögliche an Technik und Waffen, mit denen er uns angreift. Er ist mit zehntausenden von Soldaten aufgefahren, die gegenseitige Truppenstärke bewegt sich nicht auf gleicher Höhe. Er greift uns an und wir wollen uns verteidigen. Es geht aber nicht nur um Selbstverteidigung; Wir wollen die Werte dieses Volkes schützen.
Die Angriffe gegen uns sind nicht nur auf den Zap beschränkt. Der größte Angriff richtet sich derzeit gegen unseren Vorsitzenden auf Imrali. Seit 23 Jahren unterliegt er der Folter. Zehntausend Freundinnen und Freunde sind in den Kerkern, einige von ihnen verloren dort ihr Leben. Wir erleiden große Unterdrückung, unser Volk erleidet große Unterdrückung. Gegen diesen Feind wehren wir uns. Wir sagen zu Recht, dass die Solidarität uns gelten soll, nicht dem Feind. Sind wir auf persönlichen Gewinn bedacht? Wir kämpfen weder für Geld noch für andere materielle Besitztümer. Ein ganzes Leben habe ich gelebt, doch außer meiner Waffe habe ich nichts in meinem persönlichen Besitz. Rêber Apo ist 73 Jahre alt, doch etwas Persönliches besitzt er nicht. Schauen wir auf die jungen kurdischen Frauen und Männer hier, die ihre Universitäten verlassen, um sich dem Widerstand im Zap anzuschließen. Ist das nicht eine Quelle des Stolzes für die Menschheit? Denn es zeugt von Moral und Werten. Man sollte Unterstützung leisten. Und wenn dies nicht möglich ist, sollte man wenigstens nicht dem Feind helfen. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass wir berechtigterweise Erwartungen haben. Das ist die Antwort auf Ihre Frage.
Wir opfern uns für den Süden
Für wen und für was kämpfen wir? Wir kämpfen für dieses Volk und seine Zukunft. Dafür geben wir jeden Tag Gefallene. Wenn es nicht um die große Sache gehen würde, den Kampf um die Existenz und Befreiung unseres Volkes, den Kampf um Freiheit und Demokratie der Region; dann würden wir unsere Koffer packen und losziehen. Aber unser Leitgedanke in der gegenwärtigen Situation lautet: einen starken Willen gegenüber dem Feind zeigen und kämpfen. Selbst wenn wir unser Leben geben, werden wir uns nicht beugen. Wir dürfen das Feld nicht räumen, ansonsten wird unser heiliges Land besetzt. Wir geben unser Leben für Südkurdistan. Allen muss klar sein, dass Südkurdistan der größten Gefahr ausgesetzt wird, sollte der Feind bei seiner Offensive erfolgreich sein.
Wenn schon keine Unterstützung, dann zumindest Objektivität
Ich lade nochmals alle ein, sich mit der Frage zu beschäftigen, warum die kurdische Jugend, junge Frauen und Männer, in diesen Bergen Widerstand leisten. In wessen Interesse sind sie im Widerstand? Für wen treten sie ein? Sie kämpfen für das Volk, die Demokratie und die Freiheit. Was sonst könnte die Antwort sein? Der Mensch muss einen hundertprozentigen Glauben haben, sonst könnte er keine 24 Minuten – geschweige denn 24 Stunden – [in den Bergen] standhalten. Bitte sehr, sollen sie doch kommen und es versuchen. Der Kurojahro liegt direkt gegenüber städtischem Raum. Es ist einfach, sich einen Überblick über das dortige Leben zu verschaffen. Auch darüber, wie es in Şikefta Birîndara ist. Es ist zuallererst eine Gewissensfrage: Es herrscht ein ungleicher Krieg. Während die eine Seite lediglich mit ihren Gewehren und Bomben kämpft, greift die andere Seite auf eine sehr breite Palette an Technologie und Flugzeugen zurück. Diese Seite benutzt alle Arten von Waffen und Giften. Unterstützung sollte jenen widerfahren, die mit Gewehren und Bomben kämpfen. Wenn der Beistand schon verweigert wird, sollte man wenigstens objektiv sein. Wir wollen, dass die Kräfte der PDK neutral sind. Sie sollen nicht Partei ergreifen, aber unsere Handlungen zumindest mal beobachten. Es ist nicht akzeptabel, dass sie hier und dort unseren Weg versperren. Wir sind ja nicht vom Himmel gefallen, sondern seit Jahren hier. Es gab Vereinbarungen zwischen uns, die 1982 und 1995 getroffen wurden. Wir haben unser Brot geteilt, uns gegenseitig besucht, so viel ist passiert. Nun steht uns der Feind gegenüber. Da sollte doch mal geschaut werden, was wir tun.
Wir werden diesen Feind bezwingen
Wir jedenfalls glauben an uns. Wir werden diesen Feind bezwingen. Auf unsere eigene Art und Weise und mit unserem Intellekt und dem Glauben an die Ideologie von Rêber Apo werden wir Widerstand leisten und gewinnen! Die Leistung, die wir im vergangenen Jahr durch unsere Taktik und Vertiefung hervorgebracht haben, ist das Abzeichen unseres Sieges. Wir können gewinnen. Der Feind mag noch so viele Waffen, Technik und Soldaten haben. Wir haben Vertrauen in uns selbst. Und wir wollen kämpfen. Wir wollen den Zap nicht verlassen. Wir wollen den Feind besiegen. Das ist unser Anspruch! Wir sind keine Kinder. Diese Sache, die Politik, beschäftigt uns seit Jahren. Wir sind nicht unwissend, haben tonnenweise Bücher gelesen. Niemand hat den Verstand verloren. Wir wissen, dass hier der Weg der Existenz unseres Volkes, der Weg seiner Zukunft, der Weg der Freiheit unseres Volkes verläuft. Es ist gleich, was der Preis dafür kosten mag – wir sind bereit, ihn zu bezahlen. Wenn es nötig ist, werden wir unser Leben geben. Mit dieser Liebe und diesem Glauben tragen wir diesen Krieg aus. Denn wir haben Recht.
Nein zum innerkurdischen Krieg
An diejenigen, die das Gewissen dieses Volkes repräsentieren; Wir appellieren an Kunstschaffende, Intellektuelle und echte Politiker:innen, an alle Menschen in Kurdistan: unterstützt uns. Lass den Krieg nicht zu einem innerkurdischen Konflikt werden, stoppt ihn. Wir befinden uns in einer historischen Phase, wir glauben an uns und wir sagen, dass wir diesen Kampf gewinnen werden.
Mit eisernem Willen und großen Mut kämpfen wir als kurdische Frauen und Männer in diesen Bergen gegen den barbarischen Feind. Gerade eben haben wir eine Botschaft der Gratulation versandt. In diesen zwei Tagen haben die Freundinnen und Freunde bereits ein Heldengedicht geschrieben. Es ist keine einfache Sache, es ist etwas Neues in Kurdistan. Sowohl die Wege zum Ziel als auch die Willenshaltung und der Glaube sind neu in dieser Kriegsführung. Es gab sich Opfernde. Dieses Land hat sich Opfernde, also wird es gewinnen. Keine Macht, kein Panzer oder keine Kanone kann diesen Willen brechen. Deshalb sagen wir; Die Intellektuellen dieses Landes, die Kunstschaffenden, die Politiker:innen und alle Patriot:innen dieses Landes! Wir wissen, dass sie jeden Tag in Europa auf den Straßen sind, ich grüße sie. Unser Volk ist in allen Teilen Kurdistans in Bewegung, es ist auf einer Suche. Ich grüße sie alle. Aber wir sollten wissen, dass dies eine außergewöhnliche Zeit ist und jeder tun sollte, was in seiner Macht steht. Ich sage nicht, dass sie einer spezifischen Seite gegenüber rebellieren sollen. Ich sage: steht auf und bewegt euch, damit der Kurde nicht auf den Kurden schießt. Stärkt euch gegenseitig. Jetzt, in dieser Zeit, muss unser Volk die richtige Haltung annehmen. Nur so kann es einen fatalen Ausgang verhindern. Kurdische Intellektuelle und Kunstschaffende sollten sich an die Arbeit machen, präsent sein und die Initiative ergreifen. Sie sollten verhindern, dass falsche Situationen entstehen. Das ist unser Aufruf an alle. Niemand sollte angesichts dieser historischen Phase schweigen; Jeder soll für sich selbst Verantwortung übernehmen, entsprechend seinen lokalen Bedingungen, und an uns glauben. Denn wir halten unser Versprechen. Wir können vielleicht nicht alles tun, aber es gibt Dinge, die wir tun können. Und wir sind in dieser Frage absolut entschlossen. Wir werden dem Feind die notwendige Antwort geben.
Irak wird für Angriffe von Türkei ermutigt
Der aktuellen Nachrichtenlage zufolge kommt es derzeit zu Angriffen der irakischen Armee auf die Sicherheitskräfte in Şengal – es soll schwere Auseinandersetzungen geben. Wie ist diese Situation zu bewerten? Aus welchem Grund greift der Irak in der derzeitigen Situation in Şengal an?
Wir verfolgen die Geschehnisse auch nur über die Medien. Hin und wieder gibt es Zeiten, in denen es nicht möglich ist, die Presse aufmerksam zu verfolgen. Aber in dieser Angelegenheit konnten wir uns ein Bild von der Situation machen. Es ist schon erstaunlich, dass sich der irakische Staat in Şengal wie die Fußtruppe der Türkei aufführt. Das ezidische Volk hat bisher 74 genozidale Verfolgungswellen durchlebt. Dennoch wurde es seinem Schicksal überlassen. [Beim letzten Genozid durch den IS am 3. August 2014] waren sogar irakische Soldaten vor Ort, doch auch sie ließen die Ezid:innen im Stich. Nun, da der Glaube dieser Menschen an die irakischen Kräfte geschwächt ist, sie ihre eigenen Sicherheitsstrukturen aufbauen wollen, werden sie zur Zielscheibe gemacht. Dies stößt auf Unverständnis. Es ist offensichtlich, dass all dies mit Unterstützung des türkischen Staates geschieht.
Nehmen wir den Mauerbau [zwischen Şengal und Rojava]. Gegen wen wird sie errichtet? Wo verläuft sie? Es ist kaum zu übersehen, dass der irakische Staat in diesem Zusammenhang ein falsches Verhalten an den Tag legt. Vor allem seit der Amtszeit von Ministerpräsident Mustafa al-Kadhimi ist die irakische Regierung inkompetent, was die Repräsentierung der irakischen Nation, des arabischen Volkes angeht. Vor al-Kadhimi lautete die offizielle Ansage des Iraks an den türkischen Staat, dass Başîqa geräumt werden muss, nur um ein Beispiel zu nennen. Der türkische Staat hat diese Forderung ignoriert. Statt die Basis zu räumen, wurde die Truppenzahl verstärkt. Sie wissen es selbst, der türkische Staat hat [2020] zwei irakische Kommandeure getötet. Das Fahrzeug unserer Kräfte bewegte sich weiter vorne, der gezielte Beschuss richtete sich aber gegen den Wagen der irakischen Armee. Und was unternahm al-Kadhimi gegen die Türkei? Er nahm Haltung gegenüber Erdoğan an und stand stramm wie ein Soldat. Es ist offensichtlich, dass durch ihn der Wille des irakischen Volkes nicht vertreten wird. Der Präsident und auch Moqtada al-Sadr zeigten Reaktion. Hinsichtlich der Repräsentation der Bevölkerung sind das wichtige Details, die durchaus positiv zu bewerten sind. Aber warum gibt der Premier keine Erklärung ab? Muss er das nicht in seiner Position? Es ist schon immer wieder verblüffend. Auch jetzt, wo die Ezid:innen ins Visier genommen werden und sich Militäroperationen gegenübersehen. Warum? Bei solch einem Handeln kann wohl kaum von Einheit gesprochen werden.
Es braucht gesunden Menschenverstand
Wir sind stets auf der Seite des ezidischen Volkes. Die PKK mag nicht vor Ort sein, aber unsere Unterstützung gilt den Ezidinnen und Eziden, uns so wird es immer sein. Sie haben das Recht, eigene Sicherheitsstrukturen aufzubauen und sich zu verteidigen. Der Staat sollte sich damit einverstanden erklären. Schließlich ist Selbstbestimmung ein legitimes Recht. Ich appelliere an die Vernunft des Irak: löst die bestehenden Probleme im Dialog. Es darf nicht passieren, dass ausgerechnet die Armee, die sich beim Auftauchen des IS in Luft auflöste, jetzt, nachdem sich die Ezid:innen aus den Fängen des IS befreit haben, mit einer Operation gegen dieses Volk vorgeht. Ich kann nur hoffen, dass sich der gesunde Menschenverstand durchsetzen wird und bestehende Probleme im Dialog beseitigt werden, damit Ruhe in Şengal einkehren kann. Das ist es, was in Zeiten wie diesen am nötigsten ist. Das ist meine Hoffnung und Erwartung. Die dortigen Widerstandseinheiten YBŞ und die Kräfte des Asayîşa Êzîdxanê sind legitim und wir unterstützen sie. Aber zu behaupten, sie alle würden von der PKK gelenkt, ist eine Lüge des türkischen Staates. Das sollte auch niemand glauben. Eine realistische Herangehensweise sollte im Vordergrund stehen. Wir hoffen, dass dieses Problem im Dialog gelöst wird.
Möchten Sie noch etwas anmerken?
Die Tage, die wir gerade erleben, sind die schwersten in der Geschichte unseres Kampfes. Es ist eine wichtige Phase. In welcher Hinsicht? Der Krieg zwischen uns und der türkischen Besatzung hat seinen Höhepunkt erreicht. Natürlich wollen sie uns schlagen, und wir wollen sie schlagen.
Die Jugend muss ihrer Rolle gerecht werden
Alle patriotischen Menschen, alle Kurdinnen und Kurden sollten in dieser Zeit einer Rolle einnehmen. Sie müssen ihren patriotischen Pflichten gerecht werden. Insbesondere die Jugend und freiheitliche Frauen in Südkurdistan sollten dieser Phase nicht schweigend begegnen. Unser Volk muss seine Stimme gegenüber der faschistischen und mörderischen Politik des türkischen Staates erheben. Für kurdische Jugendliche in der Türkei, in den türkischen Metropolen, ist der Moment günstig für Aktionen. Sie haben Eigeninitiative. Sie sollen nicht sagen; es gibt keine Waffen. Die gibt es. Sie müssen sie nur finden. Ein Feuerzeug etwa kann auch eine Waffe sein. Die Möglichkeiten sind unendlich. Daher sollte jeder unbedingt aktiv werden. Unsere Menschen in den Kerkern werden ermordet, jeder Tag vergeht mit Folter durch Wachpersonal. Sie foltern die Jugend. Bei dieser Gelegenheit gedenke ich allen Gefallenen der Gefängniswiderstände. Ich neige mein Haupt vor ihnen und dem Gedenken an sie. Wir müssen uns gegen die Unterdrückung erheben. Wir dürfen angesichts dieses Unrechts nicht schweigen. Denn wenn wir stumm bleiben, werden wir zu einem Teil der Unterdrückung. Deshalb müssen wir uns erheben. Es gilt, sich der Ungerechtigkeit zu widersetzen. Daher lautet mein Appell gerade an die kurdische Jugend, in dieser besonderen Phase in Aktion zu sein. Werdet an euren eigenen Orten aktiv oder kommt in die Reihen der Guerilla. Das ist unser Aufruf. Es ist eine historische Zeit angebrochen, in der die kurdische Jugend ihrer Rolle gerecht werden muss. Kommt in die Berge.
Es ist die Zeit, Risiken einzugehen
Die Guerilla spielt heute eine historische und strategische Rolle. Außer der Guerilla gibt es keine Kraft, die in der Lage ist, sich diesem Feind entgegenzustellen. [Der Feind] will den Völkermord an den Kurdinnen und Kurden vollziehen. Daher sollte sich jeder selbst mobilisieren und organisieren, und nicht auf besondere Anweisungen oder Kader warten. In jedem Stadtteil können sich Menschen organisieren und zu einer Kraft, einem Komitee, Willen, Aktionsstärke werden. Partizipationsmacht, Partizipative Kräfte sind das Schlagwort.
Zu guter Letzt sei gesagt: Hier findet ein großer Widerstand statt. Noch einmal grüße ich von ganzem Herzen meine Freundinnen und Freunde, die sich in diesem Krieg, in diesem Feuer wie Löwen bewegen. Gewiss bin auch ich Teil dieser Sache, gehöre zu den Verantwortlichen. Doch es sind diese Weggefährt:innen, kurdische Frauen und Männer, die mit dem Geist der Opferbereitschaft in die Gestalt von Egîd [Mahsum Korkmaz, Guerillakommandant der ersten Stunde, der 1984 den ersten Schuss der PKK abgab] übergehen. Ihre Hingabe ist kaum in Worte zu fassen. Sie gleicht einem Juwel. Mit dieser Basis ist es unser Anspruch, in jedem Fall siegreich zu sein. Der Moment ist existenziell, wir nehmen den Stein in die Hand. Es sind Risiken, die wir eingehen. Doch es ist die Zeit, in der jeder den Mut aufbringen muss, aufs Ganze zu gehen. Das gilt für mich ebenso wie für alle Kader, alle Kämpferinnen und Kämpfer, alle Kommandierenden und Patriot:innen. Aber es gilt auch für jede Kurdin und für jeden Kurden. Um 2022 zu einem großen Jahr zu machen, muss jeder die notwendigen Opfer bringen.
Wir haben in diesem Jahr das 50. Newroz [seit dem ersten Moment der kurdischen Befreiungsbewegung] begangen. Ein großer Geist offenbarte sich. Als Fortsetzung dessen wollen wir 2022 mit der Seele des Newroz-Feuers und dem Herzen des Zap-Widerstands zum Jahr des großen Marsches werden lassen. Es sollte das Jahr des Freiheitsmarsches sein. Dies sollte die angegebene Richtung für alle sein. So lautet mein Aufruf. Seid von tiefstem Herzen gegrüßt.