HPG-Kommandant: Ein türkischer Einmarsch wird nicht einfach sein

Der HPG-Kommandant Zerdeşt Navdar hat im ANF-Gespräch das türkische Besatzungskonzept in Südkurdistan und die Aktionen der Guerilla bewertet.

Zerdeşt Navdar, ein Kommandant der Volksverteidigungskräfte HPG (Hêzên Parastina Gel) in der südkurdischen Xakurkê-Region, hat im Gespräch mit ANF die auf eine dauerhafte Besatzung abzielenden Angriffe der türkischen Armee bewertet und sich zu den Aktionen der Guerilla geäußert. Das türkische Besatzungskonzept erstrecke sich vom nordsyrischen Efrîn bis nach Bradost. Regeln, die im Krieg gelten, werden dabei vom türkischen Militär in jeder Hinsicht ignoriert, so der Kommandant.

Nach der Niederlage das Konzept der Besatzung

Vor den jüngsten Besatzungsangriffen habe die AKP-Regierung immer wieder versucht, die Friedensbestrebungen der kurdischen Freiheitsbewegung zu sabotieren. „Für die Lösung der kurdischen Frage verfolgen wir als Bewegung friedenspolitische Ziele und fordern den Dialog. Insbesondere von der AKP-Regierung unter Federführung von Erdoğan wurden unsere aufrichtigen Bestrebungen jedoch stets untergraben. Zuletzt hat unser Vorsitzender Abdullah Öcalan Perspektiven für eine Lösung entwickelt. Nach den Parlamentswahlen am 7. Juni 2015 wurde für die AKP-Regierung jedoch deutlich, dass sie verloren hat. Aus diesem Grund wurde ein weiteres Mal auf das Konzept der Besatzung zurückgegriffen“, betont Navdar. Für die faschistische Mentalität, von der diese invasiven Angriffe ausgehen, seien Werte wie Demokratie und Freiheit ein Fremdwort, unterstreicht der HPG-Kommandant. Das AKP-Regime verbreite Angst und Schrecken, um die Bevölkerung einzuschüchtern. Die neue Phase des Krieges sei bereits eingeleitet, so Navdar.

Invasionsabsichten reichen von Xakurkê bis nach Qendîl

„Um einen neuen Kriegsprozess einzuleiten, hat die Regierung in der Gesellschaft ein Bewusstsein für eine Gefahrensituation geschaffen und die PKK als Bedrohung für die Türkei erscheinen lassen. Der türkische Staat konzentriert sich bei den Invasionsangriffen auf ein breites Gebiet, angefangen von den Medya-Verteidigungsgebieten über Nordkurdistan bis nach Efrîn und schließlich Südkurdistan, um die Annexion dieser Gebiete zu erwirken. Efrîn hat rein gar nichts mit der Türkei zu tun, dennoch führten sie einen Angriffskrieg gegen die Stadt und halten sie nun besetzt. Jetzt konzentriert sich der türkische Staat auf die Besatzung der Bradost-Region. Hierfür wurde ein Konzept ausgearbeitet, das sich von Xakurkê bis zur Qendîl-Region ausstreckt. Die bisherigen Angriffe fanden mit dieser Zielvorgabe statt, trafen jedoch auf den großartigen Widerstand und Aktionen der Guerilla“.

Sie setzen mehr auf ihre Waffentechnologie als auf ihre Soldaten

Das türkische Militär setze gegen die Kräfte der Guerilla jede Art von Waffentechnologie ein, um Erfolge für sich zu erzielen, so Navdar. Auf seine Truppen vertraue der Staat dabei nicht. Lediglich auf die Technik von Waffen würde vertraut. Die Guerilla habe dieses Vertrauen in seinen Grundfesten zerstört, sagt der HPG-Kommandant.

„Die türkische Armee hat einfach nicht berücksichtigt, dass selbst hochentwickelter Waffentechnologie mit menschlicher Intelligenz Einhalt geboten werden kann. Außer ihrer Technik besitzen sie nichts, sie verfügen nicht über einen gewissen militärischen Geist. Die Guerilla hingegen ist eine ideenreiche, kreative Kraft. Auch wenn sich die Waffentechnologie immer weiterentwickelt, glauben wir an die Kraft des Menschen. Gegen diese sich immer wieder erneuernde Waffentechnik entwickelt die Guerilla auch stets neue Taktikten und gewinnt dadurch mehr und mehr an Professionalität. Als der Feind in die Region Xakurkê einfiel, sah er sich einer neuen Taktik gegenüber. Mit kraftvollen Aktionen, sei es am Lêlîkan, Evdalkofî oder Elî Dirêj, hat die Guerilla die Besatzungspläne durchkreuzt und ging sehr effektiv gegen die türkische Armee vor. Auf diesen Hügeln sind Hunderte Soldaten ums Leben gekommen. Vor allem die Aktion auf dem Gipfel Elî Dirêj hat nochmal verdeutlicht, dass das grenzenlose Vertrauen der AKP-Regierung auf ihre Waffentechnologie zunichtegemacht wurde. Trotz der Masse an Rüstungsgerät gelang es unseren Genossen, bis in ihre Stellungen einzudringen und den Feind in seinen eigenen Unterständen zu treffen. Dass unsere Kämpferinnen und Kämpfer bei diesen Aktionen ohne Verluste in ihren Reihen zahlreiche Waffen der Besatzer beschlagnahmen konnten, zeugt von der Kreativität der Guerillataktik“.

Qendîl ist für den türkischen Staat lediglich ein Traum

Allein am Lêlîkan seien bei Aktionen der Guerilla mehrere Hundert türkische Soldaten getötet worden, betont Navdar. Die türkische Regierung bekenne sich jedoch nicht zu ihren Verlusten und übergehe diese mit Stillschweigen. „Die Öffentlichkeit wird über die getöteten Soldaten nicht in Kenntnis gesetzt. Stattdessen wird mit einer Lügenpolitik eine andere Wahrnehmung geschaffen. Qendîl ist und bleibt ein Traum. Um nach Qendîl zu kommen, muss der türkische Staat alles auf eine Karte setzen“.  

Es geht nicht um die PKK, sondern um das gesamte kurdische Volk

In Xakurkê sei die Guerilla auf jedem noch so kleinen Hügel präsent und für jede Aktivität organisiert und vorbereitet, berichtet Navdar. „Wenn die türkische Armee hier also einrücken will, sollte sie auch den Preis berücksichtigen, den sie bezahlen wird. Die Annahme, dass diese Angriffe auf die Präsenz der PKK abzielen, ist nicht richtig. Das Konzept zur Besatzung von Rojava und Südkurdistan ist ein umfassendes Projekt und betrifft das gesamte kurdische Volk“.

Türkische Fahnen in Südkurdistan

Von der Bevölkerung Südkurdistan erwartet der HPG-Kommandant Zerdeşt Navdar, ein Bewusstsein für die Absichten und Ziele des türkischen Staates zu entwickeln. „Wenn die Türken ein Gebiet einmal besetzt haben, werden sie es auch nicht wieder verlassen. In Südkurdistan wehen vielerorts türkische Fahnen. Für die Regionalregierung müsste dies eigentlich eine große Schande sein. Jede Person muss Stellung dagegen beziehen und sich gegen die Invasion zur Wehr setzen“, fordert Navdar.

Weder wird der Einmarsch einfach sein, noch der Abzug

Abschließend betont der langjährige Guerillakommandant: „Als die Freiheitsguerilla Kurdistans sind wir stets bereit, gegen Angriffe zu reagieren und werden in allen Gebieten, die von einer Besatzung bedroht ist kämpfen, um unsere Bevölkerung zu schützen. Sowohl die ansässige Bevölkerung als auch die gesamte Öffentlichkeit sollte wissen, dass wir unsere Länder dem Feind nicht ohne Weiteres übergeben. Ganz im Gegenteil; wir sind bereit und entschlossen, den Preis für die Verteidigung Kurdistans zu zahlen und den Feind aus unseren Ländern zu drängen. Weder wird es für den Feind einfach sein, hier einzumarschieren, noch wird es einfach sein, abzuziehen“.