HPG gedenken Gare-Gefallenen

Die Guerillakämpfer:innen Norşîn Efrîn, Zîlan Efrîn, Sîdar Serhed und Levent Qamişlo sind heute vor einem Jahr in der südkurdischen Region Gare ums Leben gekommen.

Die Guerillakämpfer:innen Norşîn Efrîn, Zîlan Efrîn, Sîdar Serhed und Levent Qamişlo sind vor einem Jahr in der Region Gare in Südkurdistan gefallen. Das teilte das Pressezentrum der Volksverteidigungskräfte (HPG) heute in Behdînan mit. Norşîn Efrîn war Mitglied der Gebietskommandantur von Gare und seit 22 Jahren bei der Guerilla. Die HPG würdigen die Kommandantin als vehemente Verteidigerin der von der PAJK vertretenen Identität der freien Frau und erklären: „Ihre Liebe zum Volk, ihre Verbundenheit mit ihrem Land und ihre aufrichtige Militanz sind unvergesslich.“ Sîdar Serhed war in der Pressearbeit tätig und hat mit großem Einsatz zu ihrer Weiterentwicklung beigetragen. Zîlan Efrîn und Levent Qamişlo stammten aus Rojava und waren führende Militante der kurdischen Freiheitsbewegung.

„Wir gedenken unserer Weggefährt:innen Norşîn, Sîdar, Zîlan und Levent zum Jahrestag ihres Todes als Gefallene mit Respekt und Dankbarkeit und sprechen ihren wertvollen Familien und dem gesamten patriotischen Volk Kurdistans unser Beileid aus“, erklären die HPG.

                          

Codename: Norşîn Efrîn
Vor- und Nachname: Ferihan İsmail
Geburtsort: Efrîn
Namen von Mutter und Vater: Kudret – Emin
Todestag und -ort: 8. August 2022 / Gare

 

Codename: Sîdar Serhed
Vor- und Nachname: Celal Birdal
Geburtsort: Agirî
Namen von Mutter und Vater: Güzel – Hüseyin
Todestag und -ort: 8. August 2022 / Gare

 

Codename: Zîlan Efrîn
Vor- und Nachname: Ceylan Abdullah
Geburtsort: Efrîn
Namen von Mutter und Vater: Fatin – Ahmed
Todestag und -ort: 8. August 2022 / Gare

 

Codename: Levent Qamişlo
Vor- und Nachname: Ahmed Silêman
Geburtsort: Qamişlo
Namen von Mutter und Vater: Ranîa – Yasir
Todestag und -ort: 8. August 2022 / Gare


Norşîn Efrîn


Norşîn Efrîn ist in Efrîn-Raco geboren und mit der Widerstandskultur der kurdischen Freiheitsbewegung aufgewachsen. Ihre Familie gehört zum Stamm Malbata Nebû und steht der Bewegung seit Anfang der 1980er Jahre nahe. Mit der vor einem Jahr bei einem türkischen Drohnenangriff in Rojava getöteten YPJ-Kommandantin Jiyan Tolhildan war sie verwandt. Norşîn lernte als Kind Kader der PKK kennen und wollte wie sie leben und kämpfen. Ihre Kindheitsträume spielten sich in den Bergen Kurdistans ab. Als Jugendliche wollte sie sich mehrmals der Guerilla anschließen, wurde jedoch abgewiesen, weil sie noch zu jung war. Stattdessen arbeitete sie in der Bevölkerung und fuhr von Dorf zu Dorf, um die Menschen über die Befreiungsbewegung und ihre Ziele aufzuklären. Ihr großer Bruder und mehrere nahe Verwandte und Bekannte gingen zur Guerilla, einige von ihnen kamen im Kampf ums Leben, andere in Gefangenschaft. Dadurch wurde Norşîns emotionale Verbindung mit der Guerilla noch stärker. Ihre kurdische Identität war ihr bewusst, und als junge Frau entwickelte sie aufgrund der von Abdullah Öcalan vorgelegten Analysen auch ein Bewusstsein über die traditionelle Rolle, die Frauen vom System und der Gesellschaft auferlegt wird. Durch ihre Arbeit entwickelte sie sich weiter. Sie ging auf die Menschen in der Bevölkerung zu und vermittelte ihnen die Lebenskultur, die sie von der PKK gelernt hatte. Gleichzeitig lernte sie auch von den Menschen etwas über ihr eigenes Volk. Sie war beliebt und genoss großen Respekt in der Bevölkerung.


Die Verschleppung von Abdullah Öcalan durch einen internationalen Geheimdienstcoup am 15. Februar 1999 in die Türkei stellte eine Wendepunkt in Norşîn Efrîns Leben dar. Nach zwei Jahren in der Volksarbeit erfüllte sie ihren Kindheitstraum und ging im Jahr 2000 in die Berge. In dieser Zeit gab es von innen und außen massive Versuche, die Freiheitsbewegung zu liquidieren. Norşîn ließ sich davon nicht beirren und verteidigte weiter entschlossen die Werte der apoistischen Bewegung.


Die 22 Jahre ihres Guerillalebens zeugen von einem legendären Widerstand, sie kämpfte unter anderem in Metîna, Gare, Xinêrê, Qendîl, Zap, Avaşîn, Zagros und Botan. 2004 schloss sie sich den Hêzên Taybet an, einer Spezialeinheit innerhalb der Guerilla, die besondere Opferbereitschaft und ideologischen Tiefgang voraussetzt. Ab 2008 war sie für sechs Jahre in Botan und übernahm Verantwortung als Kommandantin. Danach gab sie ihre Erfahrungen an junge Mitkämpfer:innen in den Medya-Verteidigungsgebieten weiter. „Bildung bedeutet, einen neuen Schritt zu setzen. Es bedeutet, mit sich selbst zu kämpfen und sich innerhalb des Kampfes zu entwickeln. Für uns ist das so notwendig wie Wasser und Brot“, sagte sie einmal. Sie bildete Hunderte Kämpfer:innen aus und nahm selbst an Lehrgängen in der PKK-Schule und der Şehîd-Bêrîtan-Akademie teil. Auch bei sehr kritischen Aufgaben wurde sie dem Vertrauen der PKK gerecht. Mit ihrer energischen und fröhlichen Persönlichkeit, ihrem bescheidenen Umgang mit ihren Genossinnen und Genossen und ihrer Militanz im Kampf wurde sie zu einem Vorbild. Sie vertrat die Auffassung, dass eine gute Kommandantin zunächst eine gute Kämpferin sein muss. Mit dieser Einstellung war sie eine der Revolutionärinnen, durch die die Identität führender kurdischer Frauen zum Vorschein kam. Zuletzt war sie für die Verbände Freier Frauen (YJA Star) Mitglied der Kommandantur von Gare, wo sie am 8. August 2022 bei einem türkischen Angriff ums Leben kam.

Sîdar Serhed


Sîdar Serhed ist in Bazîd in der nordkurdischen Provinz Agirî geboren und mit der Widerstandskultur der Serhed-Region aufgewachsen. Seine Familie musste für den Lebensunterhalt hart arbeiten, dieser Umstand prägte Sîdars Persönlichkeit. Als Kind hörte er schmerzvolle Geschichten über Massaker an seinem Volk in der Vergangenheit, später erlebte er selbst unmenschliche Angriffe des türkischen Staates. Während seines Studiums in Konya wurde ihm die kolonialistische Mentalität des Staates den Kurd:innen gegenüber noch stärker bewusst. Er beschäftigte sich mit den Zielen der PKK und den Gedanken von Abdullah Öcalan und entschied sich für den bewaffneten Kampf. Ausschlaggebend für diese Entscheidung waren das Massaker von Roboskî am 28. Dezember 2011, bei dem 34 Zivilisten durch einen Luftangriff der türkischen Armee getötet wurden, sowie die Angriffe auf die Revolution von Rojava. 2013 schloss er sich der Guerilla an, um an vorderster Front für die Existenz und Freiheit seines Volkes zu kämpfen.

Weil er in einem intakten Umfeld in Kurdistan aufgewachsen war, fiel ihm die Eingewöhnung in das Leben der PKK in den Bergen nicht schwer. Er bekam eine Grundausbildung und gab den Menschen in seiner Umgebung mit seiner Fröhlichkeit und Begeisterung Kraft. Gleichzeitig hatte er ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl und achtete auf alle Einzelheiten im Leben. Um sich von negativen Eigenschaften zu befreien, befand er sich in einem ständigen Kampf mit sich selbst. Nach Aufenthalten in Gare und Xakurke kam er als inzwischen gereifter Kämpfer in den Zap und nahm am Widerstand gegen die Angriffe der türkischen Armee teil. Dabei übernahm er auch Aufgaben auf Kommandoebene. Nach einer erfolgreichen Praxis in verschiedenen Gebieten wechselte er in die Medienarbeit und wurde ein Militanter in der Tradition der freien Presse. Um den Kampf der Freiheitsguerilla Kurdistans weltweit bekannt zu machen, erlernte er mit großem Enthusiasmus die notwendigen Fähigkeiten und war unermüdlich mit seiner Kamera im Einsatz. Er dokumentierte das Guerillaleben und den Krieg mit Texten und Aufnahmen und widerlegte damit die türkische Staatspropaganda. Seine Arbeit war ein atemloser Kampf gegen die Besatzer, die ein Imperium der Angst erschaffen und die Hoffnung auf ein freies Leben zerstören wollen.

Zîlan Efrîn


Zîlan Efrîn ist als Tochter kurdischer Eltern in Efrîn geboren und mit der von der PKK erschaffenen Widerstandstradition aufgewachsen. Sie erlebte die von Frauen angeführte Revolution von Rojava mit und beteiligte sich an der Arbeit im Dienste der Bevölkerung. Ihre Richtlinie dabei war die von Abdullah Öcalan vorgelegte Frauenbefreiungsideologie. Als der türkische Staat am 20. Januar 2018 Efrîn angriff, nahm Zîlan eine Waffe und ging an die Front, um die durch die Revolution erschaffenen Werte zu verteidigen. Sie kämpfte selbstlos gegen die Invasionstruppen und lernte den Feind aus unmittelbarer Nähe kennen. Nach der Besatzung von Efrîn ging sie zur Guerilla in die Berge. In den freien Bergen hatte sie als Frau die Möglichkeit, zu ihrem eigenen Wesen zu finden. In ihrem weiteren Kampfleben folgte sie der Linie freier Frauen. Ihr Ziel war es, die apoistische Militanz in ihrer Persönlichkeit zu verankern. Am Guerillaleben nahm sie mit jugendlicher Energie und großer Entschlossenheit teil. Sie war mutig und fleißig und wollte immer ganz vorne und in den schwierigsten Gebieten sein. Ihre Kriegserfahrung teilte sie mit ihren Mitkämpfer:innen, gleichzeitig lernte sie die Erfordernisse des Guerillakampfes in den Bergen. So entwickelte sie sich zu einer kompetenten Militanten der YJA Star, der großes Vertrauen entgegengebracht wurde. Sie wurde geliebt und respektiert und kämpfte zuletzt in Gare.

Levent Qamişlo


Levent Qamişlo ist als Sohn patriotischer Eltern in Qamişlo geboren. Von der PKK hatte er bereits als Kind gehört, aber erst mit der Revolution von Rojava hatte er die Gelegenheit, die Inhalte und Ziele der apoistischen Bewegung näher kennenzulernen. Nach der Unterdrückung durch das Baath-Regime erlebte er die Angriffe islamistischer Gruppierungen und den dagegen geleisteten Widerstand. Angesichts der Befreiungsoffensiven gegen den IS und der vielen Gefallenen entschied er sich 2017 für den bewaffneten Kampf und ging in die Berge zur Guerilla.


Die Berge waren Neuland für ihn und die Anpassung an das Guerillaleben verlief nicht ohne Schwierigkeiten. Es war vor allem seine Verbundenheit mit den Gefallenen, die ihm dabei half, diese Schwierigkeiten zu überwinden. Er machte innerhalb kurzer Zeit einen Entwicklungssprung und wurde zu einem fähigen Kämpfer. In der Ausbildung setzte er sich mit seiner eigenen Persönlichkeit und der PKK-Ideologie auseinander und fiel durch seine Intelligenz und sein technisches Interesse auf. Er kam in eine Technik-Einheit in Gare und arbeitete drei Jahre lang im Aufbau der technischen Infrastruktur in der Region. Dabei war er ständig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten. Seine disziplinierte Arbeitsweise galt unter seinen Genossinnen und Genossen als vorbildlich. Dass der türkische Staat die Errungenschaften seines Volkes überall brutal angriff und sowohl Menschen aus der Bevölkerung als auch seine Mitkämpfer:innen dabei ums Leben kamen, hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf ihn. Um sie zu rächen, wollte er ins heiße Kriegsgebiet gehen. Er ließ sich im Gebrauch schwerer Waffen und in der Anwendung von Sabotagetaktiken ausbilden und entwickelte sich ideologisch weiter. Ein besonderes Augenmerk legte er auf die Spezialkriegspolitik des türkischen Staates, seine Erkenntnisse übermittelte er an seine Mitkämpfer:innen. Er glaubte mit seinem ganzen Dasein daran, dass kein feindlicher Angriff den Sieg seines Volkes aufhalten kann.