HPG gedenken Avaşîn-Gefallener

Die Guerillakämpfer Serxwebûn Sêrt, Şerker Botan und Xemgîn Amûdê sind 2020 bei einem Angriff des türkischen Staates in der Avaşîn-Region ums Leben gekommen. Die HPG würdigen sie als selbstlose Militante des kurdischen Befreiungskampfes.

Bei feindlichem Angriff gefallen

Die Guerillakämpfer Serxwebûn Sêrt, Şerker Botan und Xemgîn Amûdê sind im Juni 2020 bei einem Angriff des türkischen Staates in der Avaşîn-Region in Südkurdistan gefallen. Die Volksverteidigungskräfte (HPG) haben heute in Behdînan einen Nachruf veröffentlicht, in dem sie die Kämpfer als opferbereite Militante des kurdischen Volkes würdigen und ihrer mit Respekt und Dankbarkeit gedenken.

                              

Codename: Serxwebûn Sêrt

Vor- und Nachname: Irfan Ayhan

Geburtsort: Sêrt

Namen von Mutter und Vater: Gülistan – Fikri

Todestag und -ort: 7. Juni 2020 / Avaşîn

 

 

Codename: Şerker Botan

Vor- und Nachname: Baxtiyar Abdullah

Geburtsort: Silêmanî

Namen von Mutter und Vater: Kafiya – Abdullah

Todestag und -ort: 7. Juni 2020 / Avaşîn

 

 

Codename: Xemgîn Amûdê

Vor- und Nachname: Mahir Xerîb

Geburtsort: Amûdê

Namen von Mutter und Vater: Aliya – Mahmud

Todestag und -ort: 7. Juni 2020 / Avaşîn

 

Serxwebûn Sêrt

Serxwebûn Sêrt wurde in Xisxêr (tr. Pervari) in Nordkurdistan geboren. Seine dem kurdischen Befreiungskampf nahestehenden Eltern gehörten zu den vielen Opfern der sogenannten Aufstandsbekämpfung in Kurdistan und gerieten immer wieder in die Repressionsmaschine des türkischen Staates. Dies führte dazu, dass die Familie ihre Heimat verließ und an die Südküste nach Mersin zog. Auf Serxwebûn Sêrt wirkte diese erzwungene Vertreibung als Katalysator, sich in den Widerstand gegen die identitätszerstörenden Maßnahmen des türkischen Staates am kurdischen Volk einzubringen. Als junger Heranwachsender wurde er aktiv in der kurdischen Jugendbewegung, bei der er sich noch näher mit der kriegsbedingten Realität in Kurdistan auseinandersetzte. 2011 wurde er aufgrund dieser Aktivitäten vorübergehend festgenommen. Nur zwei Jahre nach dieser Erfahrung fasste er den Entschluss, in die Berge zu gehen. Der Guerilla schloss er sich in Amed (Diyarbakır) an, wo er aber wegen des Rückzugs der PKK nur für kurze Zeit blieb.

Im Zuge des Dialogprozesses zwischen PKK-Begründer Abdullah Öcalan und dem türkischen Staat hatte der seit 1999 in der Türkei inhaftierte Vordenker der kurdischen Bewegung im März 2013 einen historischen Waffenstillstand verkündet, der den Weg freimachen sollte zu einer demokratischen Lösung der kurdischen Frage. Für die erste Phase dieses Prozesses war der Abzug aller Kämpferinnen und Kämpfer aus dem türkischen Staatsgebiet in die Medya-Verteidigungsgebiete in Südkurdistan und die Freilassung aller Kriegsgefangenen vorgesehen. Im Gegenzug forderte die kurdische Seite unter anderem die Einstellung von Militäroperationen und das Ende des Staudammbaus, der Umwelt und Lebensraum zerstört und während der Anwesenheit der Guerilla und im Rahmen der bewaffneten Auseinandersetzungen nicht möglich war, sowie die Freilassung der KCK-Gefangenen und erste Schritte hin zu einer neuen Verfassung.


Der Rückzug der Guerilla begann im Mai 2013, doch im September wurde die Initiative wieder abgebrochen. Die PKK gab als Grund an, dass der türkische Staat die Chance auf eine friedliche Lösung nicht nutze und stattdessen auf Krieg beharre. Serxwebûn Sêrt gehörte zu jenen Gruppen, die sich als erstes in die Medya-Verteidigungsgebiete zurückgezogen hatten. Das erste Jahr dort verbrachte er im Zap, 2014 ging er nach Kobanê und beteiligte sich am Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Etwa drei Jahre hielt er sich in Rojava auf, wo er sich an diversen Offensiven zur Befreiung der vom IS besetzten Gebiete beteiligte. 2017 war er zurück in den Bergen und ging zunächst an die Mahsum-Korkmaz-Akademie, wo er sein militärisches und ideologisches Wissen vertiefte. An diese Phase anschließend kämpfte er in Avaşîn gegen die türkischen Besatzer.

Şerker Botan

Şerker Botan stammte aus dem südkurdischen Silêmanî. Auch seine Familie war geprägt von „Kurdayetî“ – was so viel wie kurdisches Nationalbewusstsein bedeutet. Der Begriff steht im weitesten Sinne dafür, dass Kurdistan auf eine lange Besiedlungsgeschichte zurückblickt, Kurdinnen und Kurden eine Nation sind und sie deshalb das Recht auf politische Selbstbestimmung haben. Kurdayetî wird vor allem im südlichen Kurdistan verwendet, insbesondere seit der September-Revolution von 1961. Mit der „Anfal-Operation“ des irakischen Baath-Regimes erreichte dieser Begriff im Süden eine andere Dimension.

„Anfal“ war eines der größten Menschheitsverbrechen nach dem Zweiten Weltkrieg. Unter diesem Namen ließ Saddam Hussein zwischen 1986 und 1989 in acht Phasen genozidale Maßnahmen an der kurdischen Bevölkerung und den aramäischen, assyrischen und chaldäischen Minderheiten durchführen. Anfal bedeutet „Beute“ und bezieht sich auf die achte Sure des Koran, welche eine strategische Kriegshandlung gegen Ungläubige beschreibt. 1988 erreichte die Operation ihren Höhepunkt. Innerhalb von nur sechs Monaten wurden unter dem Vorwand der „Aufstandsbekämpfung” etwa 182.000 Menschen getötet, mehrere Millionen verletzt, vertrieben und in Konzentrationslagern dem qualvollen Tod durch Hunger und mangelnde Pflege überlassen.


Şerker Botan und seine Familie wurden Zeugen dieses Genozids. Er selbst wuchs unter dem Eindruck dieser Erfahrung auf, die das kurdische Volk hatte machen müssen. Dadurch entwickelte er den Wunsch, Kurdistan von den Besatzern zu befreien. Zur PKK ging er, weil er beeindruckt davon war, dass Abdullah Öcalan die soziale Freiheit zur Grundlage aller Freiheiten machte. „Der sowohl kurdische als auch universelle Charakter unserer Bewegung bewegten Hevalê Şerker zutiefst”, schreiben die HPG in ihrem Nachruf. Der Guerilla schloss er sich im Jahr 2016 in Qendîl an. Als der türkische Staat im nachfolgenden Jahr die Besatzungsangriffe im Süden nochmals intensivierte, ließ er sich auf eigenen Wunsch hin an eine jener Fronten versetzen, wo der Krieg am heftigsten wütete: nach Avaşîn.

Xemgîn Amûdê

Xemgîn Amûdê wurde im westkurdischen Amûdê geboren. Sein patriotisches und von der kurdischen Kultur geprägtes Elternhaus war die Basis seiner Politisierung. Deshalb war die PKK ihm bereits als Kind ein Begriff – auch, weil sich viele Familienangehörige dem bewaffneten Befreiungskampf angeschlossen hatten. Mit dem Aufkommen der Rojava-Revolution 2012 wurde er aktiv in den Strukturen der Jugendbewegung, die in Nordsyrien als Motor des sozialen und kulturellen Wandels gilt. Etwa zwei Jahre lang engagierte er sich bei der Jugendbewegung, bevor er sich 2014 den bewaffneten Verteidigungskräften von Rojava anschloss und am Kampf gegen den Terror des IS und anderen dschihadistischen Gruppierungen beteiligte. Bis 2016 kämpfte in mehreren Befreiungsoffensiven der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), danach ging er zur Guerilla in die Berge. Sein erstes Einsatzgebiet war die Gare-Region, zuletzt kämpfte er in Avaşîn.


Die HPG beschreiben Serxwebûn Sêrt, Şerker Botan und Xemgîn Amûdê als drei freiheitsliebende Menschen, die sich wie Mosaiksteine in die Berge Kurdistans einfügten und für die Befreiung des kurdischen Volkes Akzente setzten. „Sie sind die Saat der nationalen Einheit, die mit großer Mühe und hohen Opfern geschaffen wurde, und Verfechter der Linie gegen Sklaventum und Kollaboration. Wir versprechen, dass wir dem Weg unserer Genossen Serxwebûn, Şerker und Xemgîn folgen werden und den Befreiungskampf zum Sieg führen werden.“