Gespräch über Massengräber: „Wir müssen uns der Wahrheit stellen“

Bei einer Diskussion über die Praxis des Verschwindenlassens rief die ÖHD-Sektion in Amed zur Aufarbeitung staatlicher Gewalt auf. Massengräber wie Newala Qesaba seien Mahnmale verdrängter Geschichte und Prüfsteine jeder echten Friedensperspektive.

Mahnmale verdrängter Geschichte

In einer gut besuchten Veranstaltung in Amed (tr. Diyarbakır) hat die Vereinigung freiheitlicher Jurist:innen (ÖHD) über das Thema Massengräber und das Verschwindenlassen von Personen diskutiert. Im Zentrum stand die Forderung nach gesellschaftlicher Auseinandersetzung mit diesen Verbrechen sowie nach juristischer Aufarbeitung. Es wurde deutlich, dass dies für viele Menschen in der Region keine abstrakte Forderung ist, sondern ein Teil ihres Alltags, ihrer Geschichte und ihrer Würde.

Anlass der Veranstaltung war die Vorführung des Dokumentarfilms „Benim Adım Newala Qesaba“ („Mein Name ist Newala Qesaba“) der Anwältin und Filmemacherin Pelda Vesek Sandalcı. Der Film thematisiert eines der bekanntesten Massengräber des türkischen Krieges gegen die kurdische Bevölkerung. Im Anschluss fand eine Podiumsdiskussion mit Jurist:innen, Aktivist:innen und Vertreter:innen zivilgesellschaftlicher Organisationen statt.

Massengräber als Prüfstein für Friedensprozesse

In seiner Rede betonte der Anwalt Cihan Aydın, dass Massengräber und das Schicksal der „Verschwundenen“ zentrale Fragen jeder ernsthaften Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gewalt darstellen. „Das sind Themen, die in Friedensprozessen eine große Rolle spielen sollten. Leider werden sie politisch oft nur periodisch behandelt“, sagte Aydın.

Er verwies auf das neue politische Klima nach dem Friedensappell von Abdullah Öcalan vom 27. Februar und rief dazu auf, sich auf eine mögliche Phase der Aufarbeitung vorzubereiten: „Wenn der Friedensprozess voranschreitet, stehen uns große Aufgaben bevor – insbesondere bei der Aufklärung extralegaler Hinrichtungen und der Dokumentation von Massengräbern.“

„Staatliche Gewalt war systematisch – und muss benannt werden“

Der Rechtsanwalt Muharrem Şahin schilderte eigene Erlebnisse und Recherchen zu Fällen staatlicher Gewalt in den kurdischen Regionen, bei denen zahlreiche Anwält:innen, Politiker:innen und Journalist:innen getötet wurden. „Es war ein System – organisiert durch den Militärgeheimdienst JITEM, die Polizei und paramilitärische Strukturen mit Verbindungen zur ultranationalistischen MHP“, so Şahin.

Besonders kritisierte er das Schweigen und die Verdrängung innerhalb der Gesellschaft. „Das Bombardieren von Grabstätten etwa ist ein Phänomen, das wir aus dieser Region kennen. Es ist keine entfernte Geschichte, es ist unsere Realität“, sagte er.

Mit Blick auf die historische Dimension erklärte Şahin: „Bereits bei der Gründung der Republik kamen tausende Menschen ums Leben. Seitdem wurden hunderttausende weitere Menschen getötet. Diese Zahlen sollten uns zu mehr Empathie und Handlungsbereitschaft verpflichten.“

„Hoffnung auf Gerechtigkeit und Aufarbeitung“

Zum Abschluss sprach Filmemacherin Pelda Vesek Sandalcı über ihre Motivation für das Filmprojekt: „Ich hoffe, dass Gerechtigkeit geschieht – und dass die Wahrheit ans Licht kommt.“