Gericht verhängt Ausreiseverbot gegen Ahmet Türk

Ein Gericht in Ankara hat gegen den 78-jährigen Ahmet Türk ein Ausreiseverbot verhängt. Gegen das politische Urgestein wird im Zusammenhang mit den Kobanê-Protesten vom Herbst 2014 ermittelt.

Das Amtsgericht Ankara hat gegen den kurdischen Politiker Ahmet Türk ein Ausreiseverbot verhängt. Bis die Ermittlungen gegen ihn abgeschlossen sind, darf der 78-Jährige das Land nicht verlassen. Türk stuft die Maßnahme und das gesamte Verfahren als politisch motiviert ein.

Ahmet Türk, das politische Urgestein Kurdistans, war am Montagvormittag im Rahmen der „Kobanê-Ermittlungen“ von der Staatsanwaltschaft vorgeladen worden. Der vom türkischen Innenministerium im August 2019 abgesetzte Bürgermeister der Provinzhauptstadt Mêrdîn (türk. Mardin) begab sich daraufhin in Begleitung der HDP-Abgeordneten Pero Dündar und seines Rechtsbeistands in das Justizgebäude in Mêrdîn und nahm über eine Videoschaltung an einer staatsanwaltschaftlichen Anhörung in Ankara teil.

Befragt wurde Türk zu Beiträgen der HDP-Zentrale in den sozialen Medien sowie Mitteilungen des HDP-Exekutivrats zwischen dem 6. und 8. Oktober 2014, seinen Äußerungen bei einer Pressekonferenz wenige Wochen zuvor und einer Delegationsreise nach Kobanê. Die sogenannten „Kobanê-Ermittlungen“ beziehen sich auf die Proteste in der Türkei im Herbst 2014 während des IS-Angriffs auf die Stadt in Nordsyrien. Im Rahmen dieses Verfahrens sind Anfang Oktober siebzehn Politikerinnen und Politiker, allesamt hochrangige Vertreter*innen der Demokratischen Partei der Völker (HDP), die vor sechs Jahren Mitglied im Exekutivrat waren, verhaftet worden. Ihnen wird die versuchte Zerstörung der Einheit und Integrität des Staates, Mord und Körperverletzung in mehreren Fällen, Plünderung, Anstachelung zur Gewalt und Freiheitsberaubung vorgorfen.

Delegationsreise mit Wissen von türkischen Behörden

Bei der Vernehmung wies Türk die Anschuldigungen gegen ihn zurück und erinnerte das Gericht daran, dass er im Jahr 2014 ebenfalls Bürgermeister von Mêrdîn war, aber kein Mitglied des HDP-Exekutivrates. Vor diesem Hintergrund sei er an den Aufrufen der Partei nicht beteiligt gewesen. „Sicherlich habe ich damals auch Äußerungen getätigt, schließlich spielte sich in Kobanê ein menschliches Drama ab. Es handelte sich im Allgemeinen um Aufrufe zur Unterstützung der rund 15.000 Geflüchteten aus Kobanê, die in Mêrdîn Schutz suchten”, sagte Türk. Seine Worte hätten sich an die Solidarität der Bevölkerung gerichtet, gemeinsam mit dem Gouverneur der Provinz Mêrdîn habe er Aktionen organisiert, um die Bedürftigen zu versorgen. Die Delegationsreise nach Kobanê sei nach Abflammen der Kämpfe mit Genehmigung des Gouverneurs von Riha (Urfa) und des Landratamtes in Pirsûs (Suruç) erfolgt.

Befragung zu Aufenthalten in Südkurdistan

Auch wurde Ahmet Türk zu seinen Aufenthalten in Südkurdistan befragt. Offenbar versucht die Generalstaatsanwaltschaft von Ankara, die Reisen des Politikers in die Autonomieregion als Kontakte zur KCK auszulegen. Türk gab zum Grund seiner letzten Fahrt nach Südkurdistan an, den geschwächten Celal Talabanî besucht zu haben. Der 2017 gestorbene kurdische Politiker und ehemalige Präsident des Irak hatte 2012 einen Schlaganfall erlitten, sein Amt hielt er aber formal bis 2014 inne.

Wer ist Ahmet Türk?

Ahmet Türk wurde 1942 in Dêrika Çiyayê Mazî (Derik) geboren. Er ist bekannt für seinen unermüdlichen Einsatz für Demokratie und Frieden und spricht sich seit Jahren für einen dauerhaften Frieden sowie die Einheit des kurdischen und türkischen Volkes aus. 1973 zog er das erste Mal als Abgeordneter in das türkische Parlament ein. Sein Studium an der Wirtschaftshochschule in Ankara brach er im letzten Semester ab. Nach dem Militärputsch von 1980 wurde er verhaftet und verbrachte 22 Monate im berüchtigten Gefängnis von Amed (Diyarbakır).

1991 gelangte Türk mit der HEP in einem Wahlbündnis mit der SHP ins Parlament. 1993 nahm der heute 78-Jährige an der Pressekonferenz im Libanon teil, auf der Abdullah Öcalan die Verlängerung einer Waffenruhe verkündete. 1994 wurde er mit anderen kurdischen Abgeordneten wie Leyla Zana, Hatip Dicle oder Orhan Doğan verhaftet und war erneut 22 Monate im Gefängnis. In den folgenden Jahren bekleidete Türk wichtige Positionen in der HADEP, DEHAP und DTK. 2007 und 2011 wurde er erneut als Abgeordneter ins Parlament gewählt. Bei den Kommunalwahlen 2014 wurde er Oberbürgermeister von Mêrdîn, im November 2016 verlor er dieses Amt auf Betreiben der türkischen Regierung und wurde verhaftet. Zuletzt wurde Ahmet Türk am 31. März 2019 zum Oberbürgermeister von Mêrdîn gewählt. Am 19. August wurde er erneut des Amtes enthoben und durch einen Zwangsverwalter ersetzt.