Wie der von den HPG gefangengenommene MIT-Agent Aydın Günel erklärt, haben 2017 zwischen dem ehemaligen PKK-Kader Nizamettin Taş und dem türkischen Geheimdienst Gespräche in Südkurdistan stattgefunden. Bei diesen Gesprächen soll es um die Gründung einer Partei als Alternative zur PKK gegangen sein.
Aydın Günel ist einer der hochrangigen MIT-Funktionäre, die im August 2017 in einer spektakulären Operation von der kurdischen Guerilla gefangen genommen worden sind. In Gefangenschaft hat er sich unter anderem zu Gesprächen zwischen dem türkischen Geheimdienst und Nizamettin Taş, der sich 2004 von der PKK getrennt hat, geäußert. Nach seinen Aussagen haben zwei Gespräche in dem südkurdischen Distrikt Selahedîn (Salahaddin) in der Zentrale des PDK-Geheimdienstes Parastin stattgefunden. Taş soll dabei ein Projekt zur Gründung einer Partei als Alternative zur kurdischen Befreiungsbewegung in Nordkurdistan unterbreitet haben, das vom MIT angenommen wurde.
Der MIT-Agent Aydın Günel teilte dazu mit: „Nizamettin Taş, der mit Codenamen Botan heißt, ließ uns über den PDK-Geheimdienst Parastin ausrichten, dass er ein Gespräch wünsche. Der Parastin trug das Anliegen dem Konsulat in Erbil vor, das es wiederum an den MIT weiterleitete. Daraufhin bin ich im März 2017 mit Mehmet Levent, dem operativen Abteilungsleiter des MIT, nach Erbil gekommen. Im Parastin-Gebäude in Selehattin haben wir uns mit Nizamettin Taş getroffen. An dem Gespräch haben außerdem Salih Barzani als Leiter der für die PKK zuständigen Abteilung des Parastin, Selçuk Şenel als Vertreter des MIT in Erbil und ein Dolmetscher teilgenommen.“
Um den Einfluss der PKK zu verringern
Günel sagte weiter aus, dass Nizamettin Taş in dem Gespräch seine Meinung über die Entwicklungen in der Region kundgetan und anschließend Unterstützung für die Gründung einer Partei als Alternative zur PKK in der Türkei und Nordkurdistan eingefordert hat. Taş soll gesagt haben, dass er sich 2004 von der PKK getrennt und gemeinsam mit Osman Öcalan und Hıdır Sarıkaya die Organisation PWD gegründet hat, die ihr Ziel jedoch nicht erreicht habe. Er befinde sich seit 13 Jahren untätig unter der Kontrolle der PDK und verschwende seine Zeit. Die legal in der Türkei zu gründende Partei solle das Ziel verfolgen, den Einfluss der PKK zu verringern. Zu diesem Zweck hätten seit längerer Zeit von der PDK initiierte Gespräche mit den Parteien Hak-Par und PAK stattgefunden, außerdem gebe es große Stämme und Dorfschützerfamilien, die dieses Anliegen unterstützten. Auch ein Teil ehemaliger PKK-Kader aus der Gründungszeit der Partei seien an seiner Seite. Das von Taş präsentierte Projekt beinhaltete außerdem konkrete Organisierungsansätze insbesondere an den türkischen Universitäten und über die Medien. Für die Arbeit in der Türkei könnten ausgesuchte Kader zur Verfügung gestellt werden, dafür müssten jedoch zunächst ihre „juristischen Probleme“ gelöst werden und dafür müsse der MIT sorgen.
Taş erklärte außerdem gegenüber den MIT-Funktionären, dass er von der PDK finanziell unterstützt werde.
Bei dem Gespräch im März 2017 wies Taş auf gewisse Unstimmigkeiten zum Thema Parteigründung unter seinen Mitstreitern hin, eine Satzung sei jedoch bereits angefertigt worden.
Nach Aussage des MIT-Agenten Günel kehrte er mit seinem Kollegen nach Ankara zurück und erstattete Bericht über das Gespräch. Im dem Bericht wurde festgehalten, dass sich das von Taş vorgelegte Projekt noch in der Anfangsphase befinde und die Arbeit weiter verfolgt werden müsse. Günel war der Meinung, dass die von Taş angekündigte Liste mit den Namen der Personen, die der MIT für die Arbeit in der Türkei protegieren sollte, abgewartet werden müsse und der Kontakt zu Taş aufrecht erhalten werden solle.
300.000 Euro als Unterstützung angedacht
Im Juni 2017 fand ein zweites Treffen statt. Auch dieses Gespräch, das diesmal von Yusuf Serkan Paksoy, dem Leiter der MIT-Abteilung Koordination geführt wurde, kam durch die Vermittlung des PDK-Geheimdienstes zustande. Nach Angaben von Günel erklärte Paksoy nach seiner Rückkehr nach Ankara, Nizamettin Taş habe nichts Neues berichtet. Die Parteisatzung sei fertig und nach dem Ramadan könne der Zulassungsantrag gestellt werden.
Angaben zum weiteren Verlauf kann Aydın Günel nicht machen, da er mit weiteren MIT-Funktionären im August 2017 von den HPG festgesetzt wurde. Es ist davon auszugehen, dass das Projekt Parteigründung damit im Sande verlaufen ist.
Nach Günels Angaben ist es jedoch eine Daueraufgabe des MIT, in Nordkurdistan Alternativen zur PKK aufzubauen. Aus diesem Grund wurde 2011 der PSK-Gründer Kemal Burkay nach dreißig Jahren im Exil in die Türkei zurückgeholt, aber auch dieser Versuch verlief erfolglos.
Erhan Pekçetin, ein weiterer MIT-Funktionär, der mit Günel zusammen im vergangenen Jahr gefangengenommen wurde, erklärte zu der von Taş unterbreiteten Parteigründung, der MIT habe eine finanzielle Unterstützung in Höhe von 300.000 Dollar angedacht.
Wie kam es zu der Gefangennahme der MIT-Agenten?
Die MIT-Funktionäre Aydın Günel und Erhan Pekçetin waren im August 2017 nach Südkurdistan gereist, um Anschlagspläne auf führende PKK-Mitglieder zu koordinieren. In der Nähe von Silêmanî wurden sie von einer HPG-Einheit festgesetzt. Die Aufnahmen der spektakulären Operation wurden hinterher veröffentlicht.
Die beiden MIT-Agenten lieferten unter anderem detaillierte Informationen zu dem tödlichen Attentat auf die drei kurdischen Revolutionärinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez am 9. Januar 2013 in Paris. Nach ihren Aussagen wurden die Morde von der MIT-Zentrale organisiert.