Dîrok Cûdî: Der Weg zur Freiheit führt durch Kurdistan

Seit vor fast 100 Jahren das französische Mandatsgebiet Syrien vom Osmanischen Reich abgeteilt wurde, sind Qamişlo und Nisêbîn getrennt. Dîrok Cûdî wuchs auf der einen Seite der Grenze auf, ihre Schwester auf der anderen. Heute sind beide bei der Guerilla

Der kurdische Befreiungskampf kann auf über 40 Jahre Geschichte zurückblicken – und auf Zehntausende Mitstreiter*innen, die voller Hingabe an ihrem Glauben für den Widerstand festhielten und ihr Leben für den Kampf ließen. Ihre Nachkommen streben ihnen mit derselben Leidenschaft nach und folgen ihren Spuren. Heute gibt es zahlreiche Kämpferinnen und Kämpfer, die ihren Schwestern, Brüdern, Müttern und Vätern folgten und ihren Platz in den Reihen des Befreiungskampfes eingenommen haben. Menschen aus demselben familiären Umfeld treffen aufeinander und kämpfen Schulter an Schulter an einer Front gegen den Feind. Dîrok Cûdî ist eine von ihnen. Die YJA-Star-Kämpferin, die sich vor drei Jahren dem Widerstand anschloss, traf sich dort mit ihrer Schwester.

Nach langer Zeit begann wieder eine Reise in die Berge Kurdistans. In den ersten Wintertagen befindet sich die Natur hier nahezu im Postkarten-Modus. Während sich die schneebedeckten Gipfel im dichten Nebel aneinanderreihen, opfert sich das bunte Herbstlaub dem Kreislauf der Natur. Voller Sehnsucht lassen wir die schmalen Wege und steilen Hänge hinter uns. Überall gibt es Erinnerungen, die zurückgelassen wurden. Wir folgen den tapferen Kindern der Berge Kurdistans und lauschen aufmerksam ihren Worten.

Eine Schwester aus Qamişlo, die andere aus Nisêbîn

Dîrok Cûdîs Schwester schloss sich 2015 in Mêrdîn (Mardin, Nordkurdistan) der Guerilla an. Sie tat es ihr gleich, allerdings aus dem nordsyrischen Qamişlo*. Die Kämpferin weist auf ihre Familie hin, die vom Kolonialismus in Kurdistan zerissen wurde: „Qamişlo und Nisêbîn sind Städte, in denen Mitglieder ein und derselben Familie leben. Auch in unserer Familie ist das der Fall. Als meine ältere Schwester noch klein war, nahm sie mein Onkel bei sich in Nisêbîn auf. Die Grenzen die durch Kurdistan gezogen wurden, hinderten uns daran, einander zu sehen. Unsere Sehnsucht wurde immer größer. In seiner eigenen Heimat getrennt von einander zu sein, ist sehr schmerzvoll”, erinnert sich Dîrok Cûdî.

Schwester durchbricht Grenzen

Die Schwester aus Nisêbîn durchbrach die Grenzen und schloss sich vor drei Jahren der PKK an. Als Dîrok Cûdî erfuhr, dass ihre Schwester nun bei der Guerilla ist, sei sie sehr stolz gewesen. „Ich wollte ihr folgen, um sie endlich zu sehen. Mein Entschluss lief zwar darauf hinaus, es klappte aber nicht. Deshalb dachte ich zunächst dort, wo ich lebte, etwas für mein Volk zu tun. Deshalb schloss ich mich den YPJ an. Rund zwei Jahre stand ich als YPJ-Kämpferin im Dienst der Revolution von Rojava.  2017 nutzte ich dann die erste Gelegenheit, die sich mir bot und ging zur Guerilla.”

Ein Gefühl, das schwer in Worte zu fassen ist

Mittlerweile ist Dîrok Cûdî seit fast einem Jahr Kämpferin der Frauenguerilla YJA-Star. Sie versucht in Worte zu fassen, was es für ein Gefühl ist, mit einem Teil der eigenen Familie an der gleichen Front zu kämpfen: „So wie die Berge Kurdistans besonders sind, ist auch die Freundschaft ihrer Kämpfer*innen besonders. Ich sah einen großen Willen und tiefe Verbundenheit zueinander. Wie bei mir haben sich in diesem Jahr viele Freund*innen angeschlossen, deren Familienmitglieder bereits hier sind. Es gibt welche, die mit ihren Müttern oder Vätern kämpfen, andere leisten gemeinsam mit ihren Brüdern und Schwestern Widerstand. Dies ist ein Gefühl, das schwer in Worte zu fassen ist. Aber es ist das, was ich in diesem Moment empfinde.“

Schwierige und anspruchsvolle Phase

Kurdistan und das kurdische Volk durchleben eine schwierige und anspruchsvolle Phase, sagt Dîrok Cûdî. „Auf der einen Seite erschweren sich die Isolationsbedingungen des Vorsitzenden Abdullah Öcalan. Gleichzeitig finden Tag für Tag faschistische Angriffe auf unsere Bevölkerung und unser Land statt. Unsere Menschen werden getötet, unsere Berge in Brand gesetzt. In einer Zeit wie dieser zu schweigen und nichts zu tun, darf nicht sein. Dem totalen Faschismus muss mit einem Massenanschluss an die Guerilla entgegengewirkt werden. Der Weg zur Freiheit führt durch Kurdistan.“

Wir setzen unseren Weg fort, auf dem wir uns mit anderen Guerillakämpfer*innen treffen werden.


*Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde Anfang der 1920er-Jahre das französische Mandatsgebiet des heutigen Syrien vom Osmanischen Reich abgeteilt. Die türkische Grenze verläuft in diesem Bereich entlang der Bahnlinie. Damit wurden Qamişlo und Nisêbîn (Nusaybin) getrennt. Die Entfernung vom Stadtzentrum Qamişlos bis zum offiziellen Grenzübergang beträgt etwa einen Kilometer, auf der anderen Seite liegt unmittelbar die Stadt Nisêbîn.