Die Sehnsucht nach der Hochweide

Aufgrund des vom Staat verhängten Hochweidenverbots musste Familie Duran das Hirtenleben aufgeben. „Uns blieb nichts anderes übrig. Wir wurden gefoltert, weil wir angeblich die PKK ernähren“, sagt Hazal Duran.

Aufgrund des Betretungsverbots der Hochweiden in Nordkurdistan sind Hunderte Familien gezwungen, ihr Hirtenleben aufzugeben. Auch die Familie von Hazal Duran gehört dazu. Im ANF-Interview erzählt die Sechzigjährige, wie sie dieses Leben vermisst. Von den über tausend Schafen und Ziegen, die sie einst hatten, sind nur noch fünfzig übrig. Außerdem haben sie noch zwei Kühe. Hazal hat in ihren sechzig Lebensjahren vierzig Sommer auf der Alm erlebt. Fünf ihrer acht Kinder hat sie dort auf die Welt gebracht.

Über ihr Hirtenleben erzählt Hazal Duran: „Mit den Vorbereitungen haben wir begonnen, sobald der Frühling einsetzte. Kinder und Alte, Frauen und Männer, alle haben ihre Sachen zusammengepackt und sich auf den Weg gemacht. In der Hochweidensaison haben wir Hunderte Kilometer zurückgelegt. Wenn wir einmal begonnen hatten, haben wir vor lauter Arbeit gar nicht mitgekriegt, wie weit wir laufen und wie die Zeit vergeht. Unsere Zelte haben wir an den schönsten Stellen auf den Hochweiden von Colemêrg aufgebaut.“

Mit mehreren Familien gemeinsam leben und arbeiten

Auf der Alm seien immer vier bis fünf Familien zusammengekommen, die sich gemeinsam um die Tiere gekümmert und auch alle anderen Arbeiten mit vereinten Kräften erledigt hätten, sagt Hazal. Täglich wurden ungefähr hundert Liter Milch gemolken und fünfzig Kilo Käse produziert. Ein Teil wurde für den Eigenverbrauch reserviert, der Rest wurde verkauft. „Wir nennen den Käse hier Sirik. Der Name kommt von der Pflanze, die wir dem Käse beifügen. Die Kräuter werden frisch gepflückt und geben dem Käse einen unvergesslichen Geschmack.“

Keine Krankheiten auf der Hochweide

Früher seien sowohl die Menschen als auch die Tiere kaum krank gewesen, meint Hazal: „Die Luft war so sauber auf der Alm und es gab eine Vielzahl gesunder Kräuter. Wir aßen getrocknete Früchte mit Milch. Damals haben wir nicht einmal Grippe bekommen. Dann sind uns die Hochweiden verboten worden und wir mussten ganzjährig im Tal leben. Hier unten gibt es im Sommer nur vertrocknete Kräuter. Es herrscht eine trockene Hitze, deshalb bleiben die Tiere ständig im Schatten und bewegen sich nicht. Als wir sie nicht mehr auf die Weiden führen konnten, wurde es zu schwierig, so viele Tiere zu halten. Wir haben dann langsam damit begonnen, sie zu verkaufen.“

„Ihr ernährt die PKK“

Das Betretungsverbot sei mit jedem Jahr strenger geworden, erinnert sich Hazal. Die türkischen Soldaten hätten behauptet, die Familie unterstütze die PKK und versorge sie mit Lebensmitteln. Alle Männer wurden mitgenommen und gefoltert. Im Tal sei es inzwischen schwierig, überhaupt einen Hirten für die Schafe und Ziegen zu finden. „Ich habe einige meiner Kinder auf der Alm zur Welt gebracht, aber weil ich sie dort nicht mehr aufziehen konnte, konnte ich sie auch nicht für diesen Beruf begeistern. Jetzt können sie sich nicht einmal um die wenigen Tiere kümmern, die wir noch haben. Sie sind zu bequem“, beschwert sich Hazal.

Sehnsucht nach alten Zeiten

Ihr Mann Beşir Duran (70) ergänzt: „Wir verdienen nichts mehr an den paar Tieren, die wir noch haben. Wir halten sie nur noch aus Sehnsucht nach der alten Zeit. Außerdem mögen wir natürlich den selbstgemachten Käse und Joghurt lieber als gekauften. Wir geben auch unseren Nachbarn davon. Manche geben uns Geld dafür, andere schließen uns in ihre Gebete ein, das reicht auch.“