Von den beiden aufeinander folgenden schweren Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet am 6. Februar wurde das Leben von rund 13,5 Millionen Menschen in elf Provinzen der Türkei beeinträchtigt. Offiziellen Angaben zufolge verloren in der Türkei 50.783 Menschen ihr Leben und 5.649.317 Gebäude wurden beschädigt. Aus dem Landkreis Markaz (tr. Pazarcık), dem Epizentrum des ersten Erdbebens der Stärke 7,7, gab es lange Zeit keine Nachrichten. Als die ersten Teams die Kreisstadt erreichten, bot sich ihnen ein grauenhaftes Bild. Sechzig Prozent der Stadt waren zerstört. Die Such- und Rettungsmaßnahmen wurden am 11. Februar eingestellt. Markaz hat eine überwiegend alevitisch-kurdische Bevölkerung.
Die Wahlkoordination der Grünen Linkspartei (Yeşil Sol Parti, YSP), die anstelle der von einem Verbot bedrohten HDP bei den Parlamentswahlen am 14. Mai antritt, hat gegenüber ANF die aktuelle Lage in Markaz bewertet: Die Menschen im Erdbebengebiet seien wütend auf die Regierung und die staatlichen Institutionen wegen ihres späten Eingreifens. Der Hauptgrund für das katastrophale Bild sei die profitorientierte und menschenverachtende Politik der Regierung, so die Wahlkoordination. Markaz sei eines der letzten Siedlungsgebiete gewesen, die von offiziellen Stellen erreicht wurden, die Hilfsmaßnahmen seien von Freiwilligenteams, Nichtregierungsorganisationen und politischen Parteien organisiert und vom Staat behindert worden.
Veranstaltung der YSP am 30. März in Markaz
„Auch die Menschen in der Diaspora zeigten enorme materielle und moralische Solidarität. Während die Solidaritätsplattform wuchs, beschlagnahmte die Bezirksregierung die in Hasankoca gesammelten Hilfsgüter. Es wurde mitgeteilt, dass Hilfsgüter nur von der Katastrophenschutzbehörde AFAD verteilt würden. Nach dieser Intervention kursierten Gerüchte, dass in den Städten Treuhänder eingesetzt werden sollten. Dieser Belagerungszustand, der unserem Volk inmitten der Zerstörung auferlegt wurde, darf nicht vergessen werden. Die Menschen in Pazarcık sind wütend auf alle Institutionen der Regierung, und diese Wut wird sich an den Wahlurnen widerspiegeln", so die YSP-Wahlkoordination
Demografische Veränderung zugunsten der Regierung
Unter Hinweis darauf, dass viele Menschen aufgrund der Zerstörung ihrer Häuser nach dem Erdbeben zu ihren Verwandten außerhalb der Stadt und im Ausland abgewandert sind, erklärt die Koordination der YSP, dass die seit Jahren betriebene Entvölkerungspolitik der Regierung in Gebieten mit einer dichten alevitischen Bevölkerung mit den Zerstörungen des Erdbebens an Dynamik gewonnen hat:
„Der Staat wollte schon vorher eine demografische Veränderung in Pazarcık. Er greift hier auf die Methode der Entvölkerung zurück. Es handelt sich um einen Ort, der im Laufe der Jahre eine starke Abwanderung sowohl in die Stadt als auch ins Ausland erlebt hat. Aus den kurdisch-alevitischen Dörfern von Pazarcık sind viele Menschen aufgrund von Existenzschwierigkeiten, Unterdrückung und fehlenden Dienstleistungen ausgewandert. Nach dem Erdbeben wird die verbliebene junge Bevölkerung ermutigt, die Stadt zu verlassen. Pazarcık wird in ein großes Altersheim verwandelt. Andererseits nimmt die Bevölkerung in sunnitisch-türkischen Dörfern zu, weil die hier lebenden Menschen mit der vom Staat geleisteten Unterstützung zum Bleiben ermutigt werden. Die demografische Struktur wird zugunsten der Regierung verändert.“
Das Erdbebengebiet ist entscheidend für den Wahlausgang
Die Wahlkoordination der YSP betont, dass die Ankündigung des türkischen Wahlausschusses YSK, den 17. März als Frist für die Wohnsitzanmeldung von Wahlberechtigten festzulegen, darauf abzielt, den Ausgang der Wahlen zugunsten der AKP zu beeinflussen. Die Reaktion aus dem Erdbebengebiet sei von maßgeblicher Bedeutung, da sie über das Schicksal der Regierung entscheiden werde:
„Der AKP-Regierung bleiben nur die Veränderung gesetzlicher Vorschriften und Wahlbetrug. In entvölkerten Gebieten tauchen angeblich Wahlberechtigte auf. Das Ziel ist es, gefälschte Stimmen zu nutzen. Gleichzeitig wird die Region von der Opposition gesäubert und die Regierung betreibt Wahlpropaganda mit Hilfspaketen des Roten Halbmonds. Sie versucht, die Notlage der Menschen auszunutzen. Die Bevölkerung ist sich jedoch über alles im Klaren und wird ihre Reaktion an der Wahlurne zeigen. Die Region ist ein Katastrophengebiet, so dass wir nicht mit dem üblichen Enthusiasmus Wahlkampfveranstaltungen durchführen können. Wir sind mit unseren Wahlkampfbussen jeden Tag im Einsatz, aber die Musik drehen wir nur auf, wenn die Menschen es verlangen, denn es wird getrauert. Wir setzen unsere Arbeit mit öffentlichen Versammlungen und Besuchen fort und werden unser Bestes tun, damit die Menschen hier wählen können. Am Wahltag werden unsere Fahrzeuge in den Dörfern und im Zentrum unterwegs sein. Pazarcık hat den Vorteil, dass sich im Zentrum Zeltlager befinden. Wir werden alles tun, um der AKP-Herrschaft ein Ende zu setzen."