Sieben Jahre Ausnahmezustand in Colemêrg
In der nordkurdischen Provinz Colemêrg wurde der 2016 verhängte Ausnahmezustand nie aufgehoben. Der Menschenrechtler Musa Bor sagt: „Aufgrund der Verbote ist die ganze Bevölkerung isoliert.“
In der nordkurdischen Provinz Colemêrg wurde der 2016 verhängte Ausnahmezustand nie aufgehoben. Der Menschenrechtler Musa Bor sagt: „Aufgrund der Verbote ist die ganze Bevölkerung isoliert.“
Der am 15. Juli 2016 unter dem Vorwand eines gescheiterten Putschversuchs für die ganze Türkei und Nordkurdistan ausgerufene Ausnahmezustand ist für die Provinz Colemêrg (tr. Hakkari) nie aufgehoben worden. In den vergangenen Jahren haben in der ohnehin schwer von Krieg und Staatsterror betroffenen Region Fälle von Gewalt, Misshandlungen und Menschenrechtsverletzungen massiv zugenommen. Doch nicht nur ein Blick in die Statistiken der Menschenrechtsvereine macht die Lage deutlich. Wer Colemêrg erreichen möchte, wird alle zehn Kilometer vom Militär oder der Polizei gestoppt. Über Reisenden schwebt immer das Damoklesschwert, zum Ziel von Übergriffen oder gar an den Kontrollpunkten willkürlich festgenommen zu werden. Die Weiden um Colemêrg sind militärische Sperrgebiete. Dies trifft die arme, vorwiegend von der Landwirtschaft lebende Bevölkerung der Region besonders schwer. Gleichzeitig wird seit sieben Jahren ein Versammlungsverbot alle 15 Tage verlängert. Das Verbot gilt nicht für nationalistische und faschistische Märsche, die vom Regime orchestriert werden, aber für jede Äußerung demokratischen Bewusstseins und kurdischer Identität. Abgesehen von der AKP und der MHP muss jede politische Partei oder zivilgesellschaftliche Organisation beim Gouverneur um Erlaubnis bitten, um eine Veranstaltung durchführen zu können. Das verhindert de facto fast jede politische oder kulturelle Aktivität im öffentlichen Raum.
Musa Bor, Ko-Vorsitzender des Menschenrechtsvereins IHD in Colemêrg | Foto: ma
Doch die Rechtsverletzungen beschränken sich nicht nur darauf. In den vergangenen sieben Jahren wurden 15 Personen von Panzerfahrzeugen überfahren oder von Militär bzw. Polizei erschossen. Übergriffe wie Hausdurchsuchungen, Gewalt im Gewahrsam, die Verbote, einige Täler zu betreten und Lebensmittelembargos sind zum Alltag geworden.
Der Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD in Colemêrg, Musa Bor, bewertete die Lage und die Menschenrechtsverletzungen in Colemêrg gegenüber der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA). Bor berichtete, dass die Stadt Colemêrg die Liste der Orte mit den meisten Menschenrechtsverletzungen anführe, und erklärte weiter: „Die Ausrufung des Ausnahmezustands ist gleichbedeutend mit der Aussetzung der Menschenrechte. Seit 2016 befinden sich die Menschen in der Stadt in einer Art offenem Gefängnis, in dem alle 15 Tage oder jeden Monat ein weiteres Verbot verhängt wird. Zivilgesellschaftliche Organisationen haben Schwierigkeiten, ihre Meinung zu äußern. Darüber hinaus sind die Menschen in den Dörfern, die auf die Almen wollen, von Verboten in den Sondersicherheitszonen betroffen. Diese Verbote dienen nicht dem Schutz der Menschenrechte, sondern treten die Menschenrechte mit Füßen.“
„Folter und Quälerei sind alltäglich geworden“
Bor wies darauf hin, dass viele Menschen, vor allem auch Hirten, im Zusammenhang mit dem Betretungsverbot der Almen Opfer von Gewalt wurden, und dass ähnliche Gewalt auch bei Hausdurchsuchungen vorkomme. Er sagte: „Folter ist in dieser Stadt zur Routine geworden. Es gibt einige Regeln für das Bestehen des Staates, aber diese werden von den Ordnungskräften missbraucht. Türen werden eingeschlagen, Kinder und Jugendliche müssen sich auf den Boden legen. Familienmitglieder sind Gewalt ausgesetzt. Kleine Kinder müssen diese Misshandlungen erleben. Das ist nicht in Ordnung.“
„Die Menschen werden isoliert“
Bor erklärte: „Der Gouverneur der vorangegangenen Periode hat alle 15 Tage eine neue Verbotsentscheidung verhängt. Der neue Gouverneur hingegen verbietet einfach jede Aktion oder Veranstaltung. Die Aktionen und Aktivitäten von Vereinigungen, die den eigenen Anhängern und dem System nahe stehen, werden nicht verboten. Verfassungsmäßige Garantieren werden so je nach Person willkürlich ausgelegt.“
Bor bezeichnete die Situation als „Isolation“ und fügte hinzu: „Wir sagen in jeder Erklärung und überall, dass wir gegen Isolation sind. Aber diese Isolation hat ein solches Ausmaß angenommen, dass sie bis in die Häuser unseres Volkes vorgedrungen ist. Das können wir nicht hinnehmen. Jeder Mensch bekommt die Isolation zu spüren. Zivilgesellschaftliche Organisationen und die Gesellschaft werden unter dem Vorwand der Sicherheit isoliert. In Colemêrg sehen und erleben wir das am deutlichsten. Aufgrund der verhängten Verbote ist heute die gesamte Bevölkerung von Colemêrg isoliert.“