Bozgeyik berichtet aus Markaz: „Der Staat ist praktisch nicht existent“

Der KESK-Vorsitzende Mehmet Bozgeyik berichtet aus Markaz, dass immer noch Menschen unter den Trümmern liegen und kurdische und alevitische Dörfer bei der Verteilung von Hilfsgütern benachteiligt werden.

Nach wie vor wird aus der Erdbebenregion in der Türkei berichtet, dass der Staat kaum Hilfe leistet bei der Bergung der Verschütteten und der Versorgung der Überlebenden. Mehmet Bozgeyik ist Ko-Vorsitzender des Dachverbands von Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes in der Türkei (KESK) und hält sich seit Mittwoch im Erdbebengebiet in der Provinz Gurgum (tr. Maraş) auf. Er berichtet über die Lage im Kreis Markaz (Pazarcik): „Es liegen immer noch Menschen unter den Trümmern. Es wurden keine Maßnahmen ergriffen. Offenbar wird darauf gewartet, dass das nächste Gebäude einstürzt. Fast 80 Stunden sind vergangen und die Familien warten auf ein Wunder. Auch in Hatay, Malatya [ku. Meletî] und Adiyaman [Semsûr] können wir feststellen, dass der Staat und die Katastrophenschutzbehörde AFAD nicht ausreichend eingegriffen haben und zu spät dran waren."

Bozgeyik bestätigt die Berichte, dass die zivile Selbsthilfe vom Staat behindert wird. Von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Gewerkschaften, Berufsverbänden und politischen Parteien entsandte Teams seien vor Ort auf Hindernisse gestoßen. Er selbst sei seit dem 8. Februar vor Ort tätig.

Diskriminierung bei der Verteilung von Hilfsgütern

Weiter erklärte Bozgeyik: „Von nun an müssen sehr intensive Maßnahmen ergriffen werden, vor allem in den Bereichen Gesundheit, Ernährung, Unterkunft und Hygiene. Wir haben festgestellt, dass auch der Rote Halbmond (Kizilay) nicht anwesend ist. Es gibt kein einziges Zelt und keine Suppenküche des Roten Halbmonds. Das gilt zumindest für Islahiye, Nurdaği, Narli und Pazarcik. Nur die Kommunen haben Suppenküchen eingerichtet, und es gibt Hilfe in den alevitischen Gemeindehäusern und von Gewerkschaften.

Kurz gesagt, es ist eine sehr massive Katastrophe. Mein Beileid an unser Volk. Ich kann sagen, dass wir wieder mit einer diskriminierenden Politik des Staates konfrontiert sind. Insbesondere in Narli, wo viele Dörfer zerstört wurden, erfuhren wir von den Menschen, dass die Zelte auf diskriminierende Weise verteilt wurden. Vor allem alevitische und kurdische Dörfer erhielten vom Staat nicht genügend Zelte und lebensnotwendige Güter. Wir sind mit der Situation konfrontiert, dass wir diese Versorgung aus eigenen Mitteln gewährleisten müssen.

Statt Ausnahmezustand Ausrufung als Katastrophengebiet

Diese Mängel müssen so schnell wie möglich beseitigt werden. Wie Sie wissen, wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Eigentlich sollte die Region zum Katastrophengebiet erklärt werden und nicht zum Ausnahmezustandsgebiet. Der Staat hat begonnen, den Ausnahmezustand in böser Absicht zu nutzen. Es wurden Verbote für soziale Medien verhängt und Einschränkungen auferlegt. Die Medien stehen unter Druck. Diese Repression muss aufhören und der Ausnahmezustand muss aufgehoben werden. Wir sprechen in der Verfassung von einem Sozialstaat, von einem demokratischen Staat. Es wird von gleichberechtigter Staatsbürgerschaft gesprochen. Das besagt, dass der Staat keinen Unterschied zwischen seinen Bürgerinnen und Bürgern macht. Wir haben jedoch gesehen, dass der Staat zusammengebrochen ist. Mit anderen Worten: Der Staat ist praktisch nicht existent. Wir sehen das in der Praxis. Die Hilfe wird zumeist von den Kommunen, der Öffentlichkeit und freiwilligen Teams geleistet.“

Aufnahmen aus Markaz, 9. Februar 2023