Hilferufe aus Elbistan: „Holt unsere Toten aus den Trümmern!“

Die Such- und Rettungsarbeiten in dem am schwersten vom Erdbeben betroffenen nordkurdischen Landkreis Elbistan gehen langsam voran. Die Menschen übernachten im Freien und klagen: „Wir wollen Zelte, aber der Staat gibt uns nicht mal einen Stofffetzen.“

Die Such- und Rettungsmaßnahmen im Bezirk Elbistan in der nordkurdischen Provinz Gurgum (tr. Maraş) kommen nur sehr langsam voran. Es sind viel zu wenig Kräfte aktiv, die Menschen haben weder Zelte noch sonst irgendeine Versorgung. In der Stadt harren die Menschen vor den Trümmern aus und warten auf Nachrichten von ihren Angehörigen. Viele habe die Hoffnung verloren. Sie fordern, dass wenigstens die Toten endlich aus den Trümmern geholt werden sollen. Die Menschen leben seit Montag bei durchschnittlich minus 15 Grad im Freien. Sie haben bisher weder Container noch Zelte erhalten. Daher versuchen die Einwohner:innen der Kleinstadt, sich an Feuern vor dem Erfrieren zu retten. Die Nachrichtenagentur Mezopotamya besuchte die Stadt und sprach mit den Menschen über ihr Leid.


Wir erfrieren!“

Meral Döner war selbst verschüttet. Sie konnte ihre Kinder aus den Trümmern ihres eingestürzten Hauses retten. Sie ist wütend und sagt: „Ist es denn etwas unmögliches, wenn wir wenigstens einen Fetzen Stoff verlangen?“ Sie berichtet, dass sie seit Montag mit ihren Kindern im Freien ums Überleben kämpft, und fährt fort: „Wir befinden uns in einer schrecklichen Situation. Weder AFAD [staatlicher Katastrophenschutz] noch der Rote Halbmond sind bisher gekommen. Wir haben weder Zelte noch Medikamente erhalten. Wir erfrieren. Der Staat will uns nicht sehen und schweigt. Die hier lebenden Frauen sind in einer furchtbaren Situation. Mein Kind hat Fieber, aber ich kann keine Medikamente auftreiben. Mein Haus wurde zerstört, ich habe meine vier Kinder unter großen Schwierigkeiten aus den Trümmern geholt, und jetzt kann ich nirgendwo hin. Es gibt nicht einmal ein Zelt oder ein Stückchen Stoff, damit wir darin schlafen können. Freiwillige von überall her schicken Lebensmittel, aber das reicht nicht aus. Wir wollen ein Zelt oder wenigstens ein Stück Stoff. Was sollen wir tun, wenn der Staat uns nicht einmal das anbietet?“

Unter den Trümmern befinden sich Menschen“

Neriman Yüksek, die ebenfalls unter der Ruine ihres Hauses verschüttet war, fordert, dass wenigstens endlich die Toten aus den Trümmern geholt werden sollen, und sagt: „Wir befinden uns in einer sehr schwierigen Situation. Wir wollen keine Lebensmittel, wir wollen, dass sich jemand um uns kümmert. Unsere Familienmitglieder liegen immer noch unter den Trümmern, sie liegen dort und wir warten hilflos. Unter den Trümmern befinden sich Menschen, aber das interessiert niemanden. Man sagt uns, dass aus dem Gebäude keine Geräusche mehr kommen, und dann interessiert man sich nicht mehr. Wir befinden uns in einer sehr schwierigen Situation, hört uns an. Wir wollen, dass unsere Angehörigen aus den Trümmern geholt werden, und das ist keine große Bitte. Ich rufe auf: Holt unsere Toten da raus. Im Fernsehen stellt man sich hin und klagt, dass geplündert werde, aber die Menschen sind am Ende und durstig. Es sind nur Freiwillige hier, der Staat ist nicht da. Gestern kam ein Krankenwagen, ich fragte, woher er kommt, und sie sagten, es handele sich um ein freiwilliges Team. Wir haben den Staat noch gar nicht gesehen.“

Der Staat soll wenigstens einmal an die Opfer denken“

Mehmet Şeker spricht von Diskriminierung der Menschen in Elbistan und sagt: „Mein Haus ist mir über dem Kopf zusammengebrochen, aber es kümmert sich niemand um uns. Wir sind von morgens bis abends draußen, also 24 Stunden am Tag, und wir wärmen uns am Feuer. Wir sind unter den Trümmern hervorgekommen, wir sind noch nicht tot, aber wir werden hier vor Kälte sterben. Hilfe kommt von überall her, aber sie ist nicht ausreichend. Wenn es Recht und Gesetz gibt, müssen unsere Bedürfnisse nach Schutz erfüllt werden. Wir leiden, genug ist genug! Man hat alle großen Einheiten an andere Orte geschickt und uns dem Tod überlassen. Es gibt so viele eingestürzte Gebäude, aber es kommen keine Such- und Rettungseinheiten, um die Menschen herauszuholen. Was ist unser Verbrechen? Wir befinden uns in einer miserablen Situation, man muss endlich unser Leid beenden. Der Staat muss sich jetzt um die Opfer kümmern. Der Staat soll wenigstens einmal an uns Opfer denken.“

Wir brauchen Zelte, damit wir nicht erfrieren“

Ali Yılmaz, der sich seit dem Tag des Erdbebens im Freien aufhält, sagt: „Jeder sieht, was wir in Elbistan durchmachen. Wir sind eine zehnköpfige Familie und übernachten im Freien. Wir haben keine Möglichkeit, irgendwohin zu gehen. Keiner fragt nach unserer Lage. Unser Viertel wurde zerstört, wir haben unsere Häuser verloren, aber niemand fragt nach unserer Situation. Wir sind Opfer und man sollte uns helfen.“ Eine Frau namens Neriman Karcı sagt: „Wir sind am Ende, wir sind alle krank. Niemand hilft uns und wir haben keine Unterkunft. Wir wollen ein Zelt, um nicht zu sterben, aber das gibt man uns auch nicht.“

Menschen sterben und niemand unternimmt etwas“

Boran Varlık wurde bei Rettungsarbeiten verletzt. Er sagt: „Die Gebäude stürzten bei dem Erdbeben ein, wir riefen nach Rettungsteams, aber es kam niemand. Während wir versuchten, jemanden aus den Trümmern zu retten, wurden wir darunter eingeklemmt. Es brannte unter den Trümmern, wir riefen die Feuerwehr, aber es kam niemand. Wir haben mit einem verschütteten Kind gesprochen, das drei Tage lang unter den Trümmern lag, aber weil niemand kam, starb es. Heute haben wir seine Leiche geborgen. Menschen sterben, aber niemand unternimmt etwas. Seit zwei Tagen werden Leichenteile gefunden, doch niemand weiß, wem sie gehören. Wir warten voller Angst, unsere einzige Bitte ist, dass man diese Menschen aus den Trümmern holt. Es gibt keine Zelte, keinen Staat, keine Erklärung.“