Analyse: Erdoğan ist militärisch und politisch am Ende

Das militärische und politische Scheitern des türkischen Staats in Kurdistan bringt das Regime in Ankara ins Kippen. Während seine Diplomatie auf Hochtouren läuft, versucht es, sein demoralisiertes Militär zusammenzuhalten.

Analyse

Das türkische Militär ist psychisch am Ende. Wenn Individuen psychische Probleme haben, so können sie, wenn diese nicht behandelt werden, sich selbst oder ihrem Umfeld Schaden zufügen. Wenn so etwas aber das Militär allgemein betrifft, dann ist die Situation weitaus dramatischer. Die türkische Armee bricht immer weiter in sich zusammen.

Misstrauen und undiszipliniertes Verhalten, insbesondere im Verhältnis zwischen den psychologisch immer stärker von den Kriegsbedingungen beeinträchtigten Soldaten und dem Führungsstab, zersetzen die Armee Schritt für Schritt. So bricht auch der Kampfeswille der Armee in sich zusammen. Wenn man aber über keine Soldaten verfügt, die psychisch in der Lage sind zu kämpfen, ist es auch dann nicht möglich zu gewinnen, wenn man alle Technologie der Welt hat. Obwohl technologische Überlegenheit als das Entscheidende betrachtet wird, um Kriege zu gewinnen, ist es in Wirklichkeit der Wille, den man im Kampf zeigt. In diesem Sinne handelt es sich beim Kampf der Guerilla um einen Krieg des Willens, der in dieser Hinsicht ohnegleichen ist.

Im Laufe seiner Geschichte hat es sich der türkische Staat immer zum Hauptziel gemacht, die andere Seite zu beherrschen und durch seine Angriffe ein Gefühl der Überlegenheit zu erzeugen. Das ist die Grundtaktik aller Kolonialmächte. Der permanente Raub der Rechte der unterworfenen Gesellschaften und die totale Ausbeutung sind das Merkmal der Kolonialmächte schlechthin. Somit wird das Militär in einen permanenten Krieg hineingezogen, der real nicht nur den Betroffenen, sondern auch der eigenen Armee große Lasten aufbürdet.

Wenn die Armee wie in Kurdistan permanent von der anderen Seite zurückgeschlagen und attackiert wird, dann bedeutet das nicht nur massive Verluste, sondern auch Demoralisierung. Denn die Guerilla hat die Armee zu ihrer Verteidigung vollständig eingekreist. Die Soldaten können keinen Schritt tun, ohne dass sie dabei von der Guerilla beobachtet werden. Die Guerilla bereitet sich aufgrund der gewonnenen Erfahrungen immer besser auf den nächsten feindlichen Angriff vor.

Das Erdoğan-Regime steht vor dem Zusammenbruch

Der türkische Staat kennt in seinen Besatzungsambitionen keine Grenzen. Seit mehr als 40 Jahren verfolgt er eine Politik des Völkermords und eines permanenten Angriffs auf das kurdische Volk. Doch er steckt derzeit in der oben beschriebenen Situation. Das Erdogan-Regime, das sich auf seine Aufrüstung, Entwicklung und technische Ausrüstung verlässt und alle Unterstützung der NATO gegen die kurdische Freiheitsbewegung erhält, hat seine Armee selbst in die Sackgasse manövriert. Seit 2015 konzentrieren sich die Angriffe des Regimes verstärkt auf die Medya-Verteidigungsgebiete. Das wurde im sogenannten Niederwerfungsplan strategisch festgelegt. Aber die Umsetzung dieses Plans zur Auslöschung der Guerilla führt langfristig zum Zusammenbruch der Kampffähigkeit der Armee. In den letzten drei Jahren des totalen Angriffskriegs auf die Medya-Verteidigungsgebiete hat die türkische Armee nicht mehr auszugleichende Verluste erlitten.

Der Plan des Regimes, die Guerillagebiete dauerhaft zu besetzen, hat die Soldaten in eine furchtbare Situation gebracht. Sie werden in einem Gebiet, das sie nicht kennen und vollständig unter der Kontrolle der Guerilla steht, ihrem Schicksal überlassen. Das wird bei Betrachtung der Entwicklungen der vergangenen drei Jahre in der Zap-Region mehr als deutlich. In diesen drei Jahren wurden allein im Zap Hunderte von türkischen Soldaten getötet und ebenso viele verwundet. Abgesehen davon haben die meisten der überlebenden Soldaten depressiv und schwer traumatisiert das Schlachtfeld verlassen müssen. Sie konnten das, was sie erlebt haben, nicht verarbeiten. Meines Erachtens ist es angemessen, den Begriff „aus dem Krieg ausgeschieden“ für diejenigen zu verwenden, die den Kriegsbedingungen nicht gewachsen sind und nicht mehr kämpfen können. Die Armee muss selbst gegen diese „ausgeschiedenen“ Soldaten kämpfen.

Gebrochene Soldaten morden nach ihrer Rückkehr

Das Erdogan-Regime versucht, Vertrauen unter den Soldaten zu schaffen und seine demoralisierte Armee am Leben zu erhalten, indem es alle Kommandanten der Streitkräfte nacheinander an die Grenze schickt. Aber es merkt nicht, dass es selbst am Rande des Zusammenbruchs steht. Der Widerstand der Guerilla in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 und in den ersten beiden Monaten des Jahres 2024 stellt eine neue Stufe in Bezug auf Form und Taktik dar und hatte eine verheerende Wirkung auf die türkische Armee. Die Guerilla besiegte die Armee sowohl physisch als auch psychologisch mit revolutionären Operationen, die unter schwierigsten Bedingungen durchgeführt wurden. Obwohl das Regime es zu verbergen versucht, sind viele Krankenhäuser ‒ und nicht nur Militärkrankenhäuser ‒ heute voll von Soldaten, die aus dem Krieg kommen und sich in psychologischer Behandlung befinden. Und diese psychisch gebrochenen Soldaten verursachen massiven Schaden in der Gesellschaft. Sie ermorden ihre Angehörigen oder begehen Selbstmord. All das wird geheim gehalten, aber es ist die Realität des Krieges. Und obwohl die Niederlage der Armee verschleiert werden soll, dokumentiert die Guerilla ihre Aktionen und bringt sie der Öffentlichkeit zur Kenntnis.

Der letzte Schritt der PDK

Während das Erdoğan-Regime die Wahrheit vor der Öffentlichkeit zu verbergen sucht, denkt es nicht an das Ansehen oder das Wohl der Armee. Im Gegenteil, es versucht ganz bewusst, sein eigenes Leben zu verlängern, indem es die Armee ständig weiter gegen die Guerilla ins Feld jagt. Erdoğan gelingt dies mühelos, solange die Öffentlichkeit eingeschüchtert und der Faschismus in den Köpfen der Gesellschaft verankert ist. Aus irgendeinem Grund richtet niemand die Grundfrage an Erdoğan und seine Komplizen.

Um diese Situation besser zu verstehen, sollten wir kurz die Bedingungen und die psychische Situation definieren, welche die Invasionstruppen in den Guerillagebieten erleben: Zunächst befindet sich der türkische Besatzungssoldat in einer Situation, die er nicht kennt, die ihm nur auf der Landkarte gezeigt wurde und in die er nach intensiven Bombardements wie ein Gegenstand hineingeworfen wurde. Demgegenüber steht eine Guerilla, die aufopferungsvoll kämpft, um die Existenz des eigenen Volkes zu verteidigen. Sie kennt jeden Ort dort wie ihre Westentasche und weiß genau, wie sie sich positionieren muss. Man kann ohne Zweifel sagen, dass die Guerilla mit dem Land verschmolzen ist. Das heißt, die türkische Armee befindet sich von Anfang an im Nachteil.

Der zweite Punkt ist, dass der Soldat, der dort ankommt, fest an einem Ort positioniert ist. Er wartet in der ihm zugewiesenen Position, ohne zu wissen, was mit ihm passieren wird, was ihn erwartet, wann und wie die Guerilla ihn angreifen wird. Diese Situation setzt die Soldaten von Anfang an unter großen psychischen Druck. Bei der Guerilla gibt es dieses Problem nicht. Denn die Guerilla ist eine dynamische und mobile Kraft, die taktische Manövrierfähigkeit auf subtile Art und Weise anwenden kann. Das macht die Verluste der türkischen Besatzungsarmee noch größer. Der dritte Punkt ist, dass der türkische Soldat mit Gewalt dorthin gebracht wird, er hat keine Wahl oder auch keine mit der Guerilla vergleichbare Loyalität und Überzeugung. Er muss tun, was seine Vorgesetzten ihm befehlen. Ich hoffe, alle wissen, dass man versucht, die türkische Armee in dieser Hinsicht mit Lügenpropaganda zu glorifizieren. Anders als behauptet, haben wir vor Ort nicht gesehen, wie sich diese Soldaten gegenseitig geschützt und für ihr Vaterland gekämpft haben. Wir haben vielmehr aus erster Hand gesehen, wie die eigenen Soldaten verbrannt wurden, wie die Armee ihre Toten in schwarzen Säcken von den Klippen geworfen hat und wie Leichen der eigenen Soldaten in die Luft gesprengt wurden, nur damit sie nicht in die Hände der Guerilla fallen.

In den letzten Monaten, insbesondere nach den revolutionären Operationen der Guerilla in der westlichen Zap-Region und in Xakurke im Januar und Februar, ist die Stimmung in der türkischen Armee vollständig gekippt. An Newroz stellte die Guerilla ihr neues Luftverteidigungssystem vor, mit dem sie systematisch die modernsten türkischen Killerdrohnen vom Himmel holt. Damit wurde einmal mehr klar, dass das Regime in einer Sackgasse steckt, aus der es nicht mehr herauskommt. Daher hat es sich in den vergangenen zwei Monaten in höchster Intensität diplomatisch bemüht, weitere Unterstützung für eine Operation gegen die Freiheitsbewegung zu erhalten. Die PDK macht gegen das kurdische Volk gemeinsame Sache mit den Invasionstruppen. Ihre Truppen werden nun von der türkischen Armee in die Guerillagebiete entsandt. Dieser Schritt bedeutet das Ende der PDK.

Neue Operationen werden unumkehrbare Situation herstellen

Darüber hinaus will der türkische Staat den irakischen Staat mit großem Druck und Erpressung in den Krieg hineinziehen. Auf diese Weise will das Regime in Ankara die Blockade überwinden und die Besatzung rechtlich absichern. Auch wenn nicht ganz klar ist, wozu genau der irakische Staat Ja oder Nein sagt, sollte die Regierung in Bagdad wissen, dass die größte Bedrohung für ihr Überleben der türkische Staat selbst ist. Während das faschistische Erdoğan-Regime auf der einen Seite diese intensive Diplomatie betreibt, versucht es auf der anderen Seite, seine demoralisierten Soldaten, die keinen Willen und keine Kraft zum Kämpfen haben, wieder aufzubauen. Vor allem im letzten Monat haben der Generalstabschef und der Verteidigungsminister zusammen mit allen Kommandeuren der Streitkräfte einer nach dem anderen die Militäreinheiten an der Grenze besucht. Auf diese Weise wird versucht, das Bild einer starken Armee zu schaffen und die Unterstützung der Öffentlichkeit für diesen Krieg mit Lügen durch Spezialkriegsmethoden aufrechtzuerhalten. Aber die Kasernen und Gebiete, die sie besuchen, haben sich in Soldatenfriedhöfe verwandelt.

Hunderte von Soldaten wurden an diesen Orten verscharrt. Keines dieser Gräber wurde der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Kasernen und Brigadekommandos in Çelê (tr. Çukurca), Şirnex (Şırnak), Şemzînan (Şemdinli) und anderen Teilen der Region gleichen Sammellagern, in die Tote, Verwundete und Kampfunfähige gebracht werden. Natürlich werden all diese Fakten vor der Öffentlichkeit verborgen. Und auch bei der neuen Operation, die im Moment vorbereitet wird, wird sich das Ergebnis nicht ändern. Die türkische Armee wird durch ihre eigene Hand noch schwerer getroffen werden. Daran sollte niemand einen Zweifel haben. Solange das türkische Volk diesen Krieg unterstützt, wird Erdoğan die gesamte Gesellschaft mit ins Verderben reißen. Besonders die herrschenden Medien spielen in diesem schmutzigen Krieg eine große Rolle. Sie täuschen die Gesellschaft mit Lügen, um die Menschen davon abzuhalten, die Fakten zu hinterfragen. Die Medien führen einen massiven Spezialkrieg, um die im Faschismus ertränkte Gesellschaft dazu zu bringen, die neue Operation, über die seit Tagen gesprochen wird, zu unterstützen. Die neue Operation, von der es heißt, man werde sie mit einer neuen, bisher nicht dagewesenen Methode durchführen, wird die Türkei noch tiefer in diesem Sumpf versinken lassen. So tief, dass eine Wiederkehr nicht mehr möglich sein wird.

Von nun an wird der Krieg nicht mehr derselbe sein

Alle Angehörigen der Soldaten sollten wissen, dass sie von Erdoğan und seinem schmutzigen Regime Rechenschaft für die Leichen ihrer Kinder verlangen sollten. Ihre Söhne werden vor ihnen versteckt und ihre Todesursache wird verschleiert. Die Freiheitsguerilla Kurdistans hat in diesem Krieg ihre Brillanz bewiesen. Sie hat sich mit ihren Methoden als erfolgreich gegen die Technik gezeigt, auf die die türkische Armee so stolz war, und hat der türkischen Armee einen historischen Schlag versetzt. Von nun an wird der Krieg nicht mehr derselbe sein. Die Guerilla hat alle möglichen Vorbereitungen getroffen, um den Kampf unter allen Bedingungen mit höchster Intensität fortzusetzen und den Sieg zu erringen. Es erwartet wohl niemand, dass die Guerilla untätig bleibt, während sich die türkische Armee vorbereitet. Die Guerilla hat der türkischen Armee sowohl aus ihren unterirdischen Stellungen heraus als auch im Gelände und in der Luft historische Schläge versetzt, und sie hat die Kraft und Fähigkeit, ihr noch größere Wunden zuzufügen als bisher. Von nun an sollte sich das kurdische Volk auf den Sieg konzentrieren und sich an den Worten von Rêber Apo (Abdullah Öcalan) orientieren: „Natürlich sind wir in einer starken Position.“ Alle sollten wissen, dass die Freiheitsguerilla Kurdistans dem Feind und seiner Armee auf allen Ebenen die notwendige historische Antwort geben wird.