Allein in Amed 30.000 neue Arbeitslose

Die HDP-Politikerin Şaziye Köse berichtet über die ökonomische Situation in Amed vor dem Hintergrund der Pandemie und spricht von 30.000 neuen Arbeitslosen und über 1100 Läden, die pleite gegangen sind.

Die Corona-Pandemie wirkt als Katalysator für die ökonomische Krise in der Türkei und Nordkurdistan. Insbesondere die zweite Welle traf die Menschen schwer. Während der Quarantänezeit legten fast alle Länder der Welt Pakete zur Unterstützung der geschlossenen Geschäfte auf, im Gegensatz zur Türkei, wo die Ladenbesitzer in Kredite getrieben wurden und die Regierung nicht davor zurückschreckte, bei der Bevölkerung „Spenden“ für die Pandemie zu sammeln. Dies verschärfte die Krise und ließ die Zahl der Arbeitslosen in die Höhe schnellen. Die Demokratische Partei der Völker (HDP) versucht, durch sogenannte „Treffen für Arbeit und Brot“ die Menschen in den Regionen zu erreichen und mit ihnen gemeinsam Lösungsstrategien zu entwickeln. Eine der Teilnehmerinnen an solchen Versammlungen in Amed (tr. Diyarbakır) ist die auf Arbeit und Soziales spezialisierte HDP-Politikerin Şaziye Köse. Im ANF-Gespräch beschreibt Köse die Situation.

Viel schlimmer als bekannt“

Köse sagt, dass die Wirtschaftskrise zwar schon lange zur Sprache gebracht werde, das Bild, das sich durch die Versammlungen abzeichne, aber noch wesentlich drastischer sei: „Wir haben von Anfang an gesagt, dass die Wirtschaftskrise durch die Pandemie ein viel dramatischeres Ausmaß erreicht hat. Mit der Arbeit, die wir in Amed begonnen haben, haben wir uns jedoch mit Menschen getroffen und uns noch konkreter, noch näher, mit den Konsequenzen dieser Krise auseinandergesetzt. Es war sehr wichtig für uns, uns damit konkret zu konfrontieren. Weil wir gesehen haben, dass die Lage noch düsterer ist, als wir angenommen haben. Amed hat aber auch eine Besonderheit in dieser Hinsicht. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt hier im Vergleich zu anderen Städten in der Türkei um das Dreifache höher. Die Arbeitslosigkeit ist allgemein recht hoch, aber in Amed noch höher. Lassen Sie mich Ihnen ein konkretes Beispiel geben: Als wir die Handwerkskammer und Vereinigung der Gewerbetreibenden besuchten, wurde uns folgende Zahl genannt: 30.000 Menschen sind arbeitslos geworden, es wurden Kaffeehäuser, Cafés, Bars und Restaurants geschlossen, in denen vor allem junge Menschen arbeiteten. Über 1100 Läden sind pleite gegangen.“

Hunger wird zum Problem“

Köse fährt fort: „Uns bietet sich ein extremes Bild. Die Bauern können keinen Diesel und Dünger mehr bezahlen und Strom und Wasser sind sehr teuer geworden. Hinzu kommt der Stromkonzern DEDAŞ, der gigantische Stromrechnungen schreibt, welche die Menschen auf den Dörfern gar nicht bezahlen können. Die Menschen sind bankrott, die Felder und Traktoren der Bauern werden gepfändet. Nach diesen Treffen ist das Problem sehr klar: Es heißt Hunger! Wenn man in die Region geht, dann sieht man die Verzweiflung, denn die Menschen hungern. Deshalb brauchen die Menschen jetzt konkrete Lösungen.“

Köse weist darauf hin, dass die Gewerbetreibenden ganz konkrete Forderungen haben: „Es ist vollkommen klar, die Gewerbetreibenden wollen Unterstützung. Denn so wurde es in allen Ländern der Welt gemacht, außer hier. Wir wissen alle, dass hier die Ladenbesitzer unter dem Deckmantel der Unterstützung in Schulden gestürzt worden sind. Diese Schulden steigen täglich. Sie wollen, dass die Regierung ihnen ein Unterstützungspaket schnürt und ihre Schulden einfriert.“

Wir sind nicht hilflos“

Köse betont, dass in Amed neue Beschäftigungsbereiche benötigt werden. „Denn in dieser Zeit gab es eine Kapitalflucht aus Amed und seiner Umgebung. Eine Kapitalflucht führt zum Fehlen von Arbeit. Die Arbeitslosen fragen zuallererst nach Lösungsvorschlägen. Sie wollen konkrete und klare Ratschläge, aber wir müssen auch das sagen: Wir sind nicht hilflos. Ich denke, Arbeitslosigkeit ist ein systemgeneriertes Konzept. Die eigentliche Frage ist doch die Verteilung von Arbeit.“

Lösung im liegt im gemeinsamen Kampf“

Die Politikerin schließt mit den Worten: „Unsere Versammlungen werden weitergehen. Wir haben uns mit Gewerbetreibenden, Beschäftigten, Suspendierten und Menschen aus vielen anderen Bereichen der Gesellschaft getroffen. Mit all diesen Kreisen haben wir beschlossen weiterzumachen, um den Kampf für die konkrete Lösung der Probleme fortzusetzen. Es war mehr als ein Besuch, sondern der Grundstein für den Aufbau gemeinsamer Lösungen. Die Suspendierten zum Beispiel wurden zu lebenden Toten gemacht. Sie können nämlich in keinem Bereich mehr arbeiten. Aber auf den Treffen mit ihnen habe ich gefühlt, dass es keine Hilflosigkeit, keine Resignation oder Angst gibt, im Gegenteil, sie sind entschlossen, den Kampf voranzubringen, und haben entsprechende Vorschläge gemacht. Wir werden im kommenden Prozess unseren Kampf und unsere Perspektive entsprechend entwickeln, um eine Lösung schaffen zu können.“