Abschiebeabkommen: „Bundesregierung bekämpft Menschen, die Schutz suchen“

Wie aus einer parlamentarischen Anfrage der Linkspartei-Abgeordneten Clara Bünger hervorgeht, hat der Großteil der Ausreisepflichtigen aus der Türkei einen Asylantrag gestellt. 5.138 der Betroffenen leben seit über vier Jahren in Deutschland.

Abschiebeabkommen zwischen Deutschland und Türkei

Unter dem Vorwand, vermeintlich „irreguläre Migration“ zu bekämpfen, hat die Bundesregierung ein Abschiebeabkommen mit der Diktatur in Ankara geschlossen. Gleichzeitig wurden durch die rot-grün-gelbe Regierung die Waffenexporte an Ankara angekurbelt. Waffensysteme im Wert von 250 Millionen Euro sollen an die Türkei geliefert werden. Ob diese Waffen Schmiermittel für das Abschiebeabkommen waren, bleibt unklar, allerdings sollen sich ab Oktober die Abschiebezahlen massiv ändern. Die fluchtpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Clara Bünger, befragte die Bundesregierung nach den Personen, die in die Türkei abgeschoben werden sollen. Aus der ANF vorliegenden Antwort der Bundesregierung geht hervor, dass ein Großteil der Betroffenen nach Deutschland geflohen ist und viele von ihnen schon seit über vier Jahren im Land leben.

Mehrheit der Ausreisepflichtigen aus der Türkei sind Schutzsuchende

Während im ersten Halbjahr 2024 441 insgesamt Menschen in die Türkei abgeschoben wurden, sollen nun Abschiebungen von bis zu 500 Personen wöchentlich möglich sein. Das ist das Ergebnis eines in Monaten ausgehandelten schmutzigen Deals mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdoğan. 200 Menschen aus der Türkei stehen bereits oben auf der Abschiebeliste. Dabei argumentierte die Innenministerin Nancy Faeser immer wieder mit der „Bekämpfung irregulärer Migration“. Sie verwendet damit einen Kampfbegriff der Rechten, denn aufgrund des Fehlens regulärer Fluchtwege nach Europa, der Tatsache, dass es keine Möglichkeit gibt, an Botschaften Asyl in Deutschland oder anderen EU-Staaten zu beantragen, gibt es de facto keine „reguläre“ und damit auch keine „irreguläre Migration“.

Wer zuerst von den Abschiebungen betroffen sein soll, sind die „Ausreisepflichtigen“. Laut Ausländerzentralregister befanden sich mit Stichtag, 9. September, 15.561 ausreisepflichtige türkische Staatsangehörige in Deutschland. Der größte Teil von ihnen, nämlich 12.888 Personen, hat einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Lediglich bei 7.551 Personen wurde dieser Asylantrag abgelehnt. Woher diese massive Differenz kommt, ist unbekannt. Sicher ist aber, dass die Ablehnungen vor allem die stärksten vom AKP/MHP-Regime verfolgte Bevölkerungsgruppe, die Kurd:innen, betrifft. So lag 2023 die bereinigte Schutzquote bei Kurd:innen aus Nordkurdistan und der Türkei bei 6,3 Prozent, bei als türkisch registrierten Personen bei 64,6 Prozent. Dies deutet auf eine von einer antikurdischen Bilanz geprägten Entscheidungstendenz im Bundesamt für Flucht und Migration hin. Im Jahr 2024 wurden bisher 24.462 Asylanträge von türkischen Staatsangehörigen gestellt. Die Türkei ist somit das drittgrößte Herkunftsland von Asylsuchenden.

Statt Verfolgung von Kurd:innen anzuerkennen, sollen sie abgeschoben werden“

Bünger kommentierte gegenüber ANF: „Bundesinnenministerin Nancy Faeser begründet den neuen Abschiebedeal mit Erdogan mit der ‚Begrenzung irregulärer Migration‘. Damit verdreht sie die Realität. Denn wie die Zahlen zeigen, haben die meisten der betroffenen Personen Asyl in Deutschland beantragt. Die Bundesregierung bekämpft also keine angebliche irreguläre Migration, sondern Menschen, die Schutz suchen. Statt endlich die Entscheidungen des BAMF anzupassen und die tatsächliche Verfolgung von Kurden und Kurdinnen anzuerkennen, sollen sie schnellstmöglich abgeschoben werden.“

Bundesregierung zerstört Existenzen von Menschen, die schon Jahre hier leben

Auch wenn man die Aufenthaltsdauer der Ausreisepflichtigen betrachtet, so wird klar, dass es sich hier um keine Maßnahme gegen vermeintlich „irreguläre Migration“ handelt, sondern um ein Vorgehen gegen Menschen, die schon seit Jahren hier leben. Rund ein Drittel der ausreisepflichtigen türkischen Staatsangehörigen (5.138 Personen) lebt seit vier oder mehr Jahren in Deutschland. 2.918 weitere Personen sind seit mindestens zwei Jahren hier. Lediglich 3.907 Personen befinden sich seit weniger als einem Jahr in Deutschland. Damit treffen die Abschiebungen absehbar mehrheitlich Personen, die sich über Jahre hinweg ein Leben hier aufgebaut haben und durch die Zwangsmaßnahme daraus herausgerissen werden. Die Abgeordnete erklärte dazu: „Noch dazu trifft dieses neue Abschiebe-Abkommen zahlreiche Menschen, die seit Jahren in Deutschland leben, sich hier eine Existenz aufgebaut haben, arbeiten, Freunde und Familie haben. Nicht nur stärkt die Bundesregierung mit dieser Absprache Erdogans autokratisches Regime, sie zerstört auch Leben.“

Zahlenbasis der Bundesregierung wenig solide

Die Zahlenbasis der Bundesregierung ist wenig valide, da diese sich bei ihren Angaben auf das Ausländerzentralregister beruft. Die Angaben daraus sind kritisch zu betrachten, da beispielsweise eigenständige Ausreisen häufig nicht dokumentiert werden und die Zahlen somit höher wirken als sie es tatsächlich sind. In diesem Fall gilt das besonders, da selbst die Bundesregierung in ihrer Antwort darauf hinweist, dass der Eintrag eines abgelehnten Asylbescheids nicht in Zusammenhang mit der nun bestehenden Ausreisepflicht stehen muss.

Zivilcourage ist gefragt

Bisher möchte die Türkei keine Sammelcharterflüge annehmen. Das bedeutet, die Abschiebungen erfolgen über normale Linienflüge. Daher ist insbesondere die Zivilcourage von Fluggästen gefragt. Immer wieder haben Menschen Abschiebungen verhindert, indem sie sich vor dem Start des Flugzeuges nicht hinsetzten, ihren Protest dem Personal kundtaten und deutlich machten, dass sie Abschiebungen in Diktaturen wie in der Türkei nicht hinnehmen.