OLG Hamburg: Kadri Saka gibt persönliche Erklärung ab

Vor dem OLG Hamburg hat der wegen vermeintlicher PKK-Mitgliedschaft angeklagte Kadri Saka eine Erklärung zu seiner Biografie abgegeben.

129 a/b-Prozess

Am Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) Hamburg wurde vergangene Woche der Prozess gegen Kadri Saka fortgesetzt. Dem 58-jährigen Kurden aus Bremen wird von der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg die Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorgeworfen, strafbar nach den Paragrafen 129a/b StGB.

Der Artikel bezieht sich auf den zwölften und dreizehnten Prozesstag am 7. und 9. Oktober. Dabei konnte Saka, der im vergangenen Januar verhaftet worden war, auch seine schon länger erwartete Erklärung abgeben. Im Mittelpunkt der Verhandlung standen aber auch Fragen des Gerichts, die scheinbar auf die Schaffung von Begründungen für eine Sozialprognose bei Haftprüfungen und im Urteil abzielten.

Zwölfter Prozesstag

Zu Beginn des zwölften Prozesstages wurde von der Anwältin ein vorbereitetes Dokument zur Lebensgeschichte von Kadri Saka in Kurdistan und in der Türkei verlesen.

Kadri Saka wuchs im Dorf Hespist (tr. Yarbaşı) in der Provinz Şirnex (Şırnak) auf. Seine Familie hatte großes Ansehen im Dorf und galt als großzügig. Sein Leben wurde von der erlebten, aber auch erzählten Gewalt in Kurdistan geprägt. Ein Bruder seines Großvaters wurde bereits unter Atatürk enthauptet. Den Militärputsch 1971 erlebte Kadri Saka selbst, war jedoch noch sehr klein, sodass ihm lediglich die Erzählungen in Erinnerung blieben. Sein Vater wurde in ein Nachbardorf verschleppt und auf dem dortigen Revier gefoltert.

1980 kam es zum nächsten Militärputsch, bei dem er nun mit eigenen Augen sah, was er bisher nur aus Erzählungen kannte. Er sah, wie Männer aus dem Dorf von Soldaten geschlagen und in einen Fluss getrieben wurden. Es folgten mehrere Razzien, woraufhin sein Vater und ein Bruder sich in Brunnen verstecken mussten. Nur knapp wurde der Vater aus seinem Versteck befreit. Dieser sagte hinterher, dass er in dem Brunnen keine weitere halbe Stunde überlebt hätte.

Zur Schule ging Kadri Saka nur unregelmäßig. Der Unterricht wurde in türkischer Sprache abgehalten, weshalb er ihm kaum folgen konnte, da er nur Kurmancî sprach. Er entwickelte psychische Ängste, da sein Lehrer ihn regelmäßig für sein häufiges Fehlen schlug.

Als Sakas älterer Bruder in Kontakt mit der Guerilla kam, folgten Repressionen gegen die Familie. Sein Bruder wurde mehrmals verhaftet. Einmal kam das Gerücht auf, dass er tot sei. Als die Familie Nachforschungen anstellte, wurde der Bruder verletzt in einem Leichenschauhaus gefunden. Bald darauf wurde er zu mehreren Jahren Haft verurteilt.

Mit 13 bekam Kadri Saka einen Grundschulabschluss. Als Jugendlicher ging er mit seinen Cousins auf Baustellen in der Westtürkei arbeiten. Dabei hörte er von den „Apoisten“, wie die Menschen um Abdullah Öcalan genannt wurden. Sie versprachen ein freies Kurdistan, Freiheit und Gleichberechtigung für alle Kurdinnen und Kurden. Dies habe nicht nur ihn tief beeindruckt.

Als Saka Anfang zwanzig war, entstanden Kontakte zur Guerilla, da er gefragt wurde, ob er Rucksäcke besorgen könne. Er selbst und viele andere im Dorf sahen sich als Unterstützer:innen, die der Guerilla lokal mit Informationen, Lebensmitteln und weiteren Diensten halfen, was zu weiterer Repression führte. Anfang der 90er beantragten Kadri Saka und sein Bruder erfolgreich Asyl in Deutschland.

„Spontanaussage“ rechtlich nicht verwertbar

Die Richterin kam nach der Biografie des Angeklagten auf einen polizeilichen Vermerk zu sprechen, wonach Saka bei seiner Festnahme am 16. Januar 2024 gesagt haben soll: „Ich arbeite nicht! Ich arbeite für die Partei!“. Der 58-jährige Familienvater erklärte daraufhin den Rahmen der Situation, in dem er dies äußerte: Am besagten Tag wurde Kadri Saka früh am Morgen von der Hausdurchsuchung überrascht. Die Polizist:innen hätten seiner Frau verweigert, sich anzuziehen und sie die gesamte Razzia über bewacht. Außerdem hätten die Beamt:innen ihn und seine Familie durchgängig provokativ behandelt, sodass er schließlich genervt sagte: „Ich arbeite nicht! Ich arbeite für die Partei!“.

Kadri Saka stellte ausdrücklich fest, dass er kein Mitglied der PKK sei. Die Äußerung sei eine Trotzreaktion gewesen. Bereits bei früheren Durchsuchungen habe die Polizei die gesamte Familie beschuldigt, der PKK anzugehören.

Kritik an Richterin

Am folgenden 13. Prozesstag kritisierte die Anwältin das Vorgehen der Richterin in einer Prozesserklärung. Diese dürfte die von ihr zum wiederholten Male vorgehaltene Aussage Kadri Sakas rechtlich nicht mit in den Prozess einfließen lassen. Die „Spontanaussage“ sei in einem Kontext gefallen, in dem der Angeklagte nicht vorher über eine mögliche Selbstbelastung durch seine Aussagen informiert worden wäre. Die Richterin erwiderte, dass die Aussage keine Auswirkungen im Strafprozess haben würde und bewusst weder vom Gericht noch von der Generalstaatsanwaltschaft förmlich in den Prozess eingeführt worden sei.

Eine „Chance“ auf eine Haftentlassung oder eine Irreführung?

Im Verlauf des zwölften Verhandlungstages stellte die Richterin überraschend Fragen, die eine Haftentlassung andeuten könnten. Es ging um mögliche Zukunftspläne und was er machen wolle, wenn er aus der Haft komme. Auch wollte die Richterin wissen, ob Saka es künftig unterlassen würde, Spenden zu sammeln, wenn er rechtlich dazu aufgefordert werde. Kadri Saka bestand impulsiv auf die Freiwilligkeit aller Spenden und fügte entschlossen hinzu:

„Nichts wird mich je von meinem Volk trennen! Ich führe diesen Kampf für meine Kinder und mein Volk! Ich lebe seit 33 Jahren in Bremen. Ich war nie respektlos gegenüber den Gesetzen in Deutschland. Wenn man mir Hindernisse in den Weg stellt, wäre es mir lieber, dass man mich ins Gefängnis steckt bis an das Ende meines Lebens oder mich zur Ausreise auffordert. Meine Heimat ist Bremen. Ich werde nicht aus Bremen fliehen. Ich bedrohe niemanden.“

Die Richterin und die Anwältin stritten darüber, ob die Frage eine „Chance“ für Kadri Saka sein solle oder eine Irreführung darstelle. Am nächsten Prozesstag setzte sich diese Debatte fort.

13. Verhandlungstag: Prozesserklärung „für und von Kadri Saka“

Die Anwältin kritisierte, dass die Fragestellung der Richterin bezüglich des Unterlassens des Sammelns von Spenden im rechtlich unzulässigen Rahmen geschah und somit die Aussage des Angeklagten nicht in den Strafprozess aufgenommen werden dürfe. Die Frage hätte ihn in einen Zwiespalt getrieben, in dem er sich zwischen seinen politischen Aktivitäten und einer möglichen Strafe auf Bewährung ausgesetzt sah. Diese Vorgehensweise hätte Kadri Saka, als nicht taktisch denkenden Menschen ohne vorherige Belehrung über mögliche Konsequenzen seiner Antwort, völlig unvorbereitet getroffen und überfordert. Somit wäre seine Aussage strafrechtlich nicht verwertbar. Die Verteidigerin rügte, dass dies keine „Chance“ auf Bewährung, sondern ein in dieser Form unzulässiger „Vorhalt“ gewesen wäre.

Außerdem bemängelte die Anwältin, dass die Richterin keinen Unterschied gemacht habe zwischen dem legalen Spendensammeln für offiziell eingetragene Vereine und dem möglicherweise illegalen Sammeln von Spenden, die der „heute noch verbotenen“ PKK zugutekämen. Dies habe zusätzlich für eine Irreführung gesorgt. Ebenso würde die Frage, ob er das Spendensammeln unterlassen würde, der Lebensrealität Kadri Sakas nicht gerecht. Sie wäre eine „Alles oder Nichts“-Frage. Die starke Verbundenheit Sakas mit dem kurdischen Volk und seine Treue würden außer Acht gelassen werden. Wenn die Richterin sich bemüht hätte ihn zu verstehen, wäre offensichtlich, dass dies eine unfaire Fragestellung gewesen sei.

Folgende Prozesstage

Den Verhandlungstag am 10. Oktober ließ das Gericht ausfallen. Fortgesetzt wird der Prozess am 29. Oktober um 10:30 Uhr mit einer Erörterung der Telekommunikationsüberwachung. Die weiteren Termine sind:

Dienstag, 29.10.2024 um 10:30 Uhr

Dienstag, 5.11.2024 um 10:30 Uhr

Donnerstag, 7.11.2024 um 13:00 Uhr

Montag, 11.11.2024 um 13:00 Uhr

Freitag, 15.11. um 10:30 Uhr

Dienstag, 19.11. um 10:30 Uhr

Titelfoto: „Tag der Gefangenen“ am 17. März 2024 in Hamburg © ANF