Kadri Saka: „Ich wurde beobachtet, aber nicht gesehen“

Im Prozess gegen Kadri Saka zeigt sich mittlerweile ganz klar, was die Staatsanwaltschaft und der Senat erreichen wollen. Aussagen des Kurden werden nur akzeptiert, wenn sie ihn selbst belasten.

Vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg ist der Prozess gegen Kadri Saka fortgesetzt worden. Dem 58-jährigen Familienvater aus Bremen wird von der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg nach §§129a/b StGB eine mitgliedschaftliche Betätigung für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) von Dezember 2018 bis zu seiner Festnahme im Januar 2024 vorgeworfen. Der Prozess wurde am 15. Juli eröffnet.

Der geplante Prozesstermin vom 23. September ist ausgefallen, da der Zeuge Dudeck vom Landeskriminalamt (LKA) Bremen nicht kommen konnte. Die Befragung soll im Oktober stattfinden.

Letzten Dienstag, dem mittlerweile achten Verhandlungstag, sollten ANF-Artikel und weitere Zeitungsartikel verlesen werden. Der Prozess war an diesem Tag so gut besucht, dass weitere Stühle und eine Bank in den Besucherbereich gebracht werden mussten.

„Kriminalisierung von einfachen Leuten, die sehr einfache Sachen machen“

Nach dem Verlesen des ersten Artikels über die „Jubiläumsfeier der PKK in Bremen“ vom 25.12.2023 fragte die Verteidigung nach der Verbindung von ANF-Berichten sowie Texten von Amnesty International zu dem laufenden Prozess, denn vom Senat werden diese kaum in einen Kontext von Sakas vermeintlichen Tätigkeiten gestellt. Weiter sagte die Verteidigung, dass man aus den verlesenen Artikeln und Berichten erschließen könnte, dass die kurdische Bewegung ein völkerrechtliches Subjekt ist und somit eine Partei eines Bürgerkrieges in der Türkei. Das Framing mit dem Terrorismus-Begriff spiegele nicht die Realität der Bewegung wider, wie auch an den Wahlkämpfen der DEM-Partei zu sehen wäre. Sakas Prozess sei politisch durch die Interessen der Bundesregierung zu erklären, welche „sehr einfache Leute, die sehr einfache Sachen machen, kriminalisiert“.

Im weiteren Verlauf argumentierten der Senat sowie die Staatsanwaltschaft, dass der Prozess nicht durch den fehlenden Kontext über reale politische Geschehen Schwierigkeiten hätte, sondern durch Sakas Verhalten und die fehlende ideologische Einordnung seiner Tätigkeiten. Es wurde von Senat und Staatsanwaltschaft geäußert, dass seine Aussagen unglaubwürdig seien und er lügen würde. Der Staatsanwalt richtete sich dabei auch direkt an Saka und riet ihm aus „Fürsorge“, die Mitgliedschaft bei der PKK zuzugeben, da er dadurch bessere Aussagen machen könne. Er hätte Verständnis für bestimmte Aktionen, manche seien aber nunmal illegal. Seine getroffenen Aussagen sollten aus der Sicht einer „unparteilichen Behörde“ stammen.

Nach einer Einstündigen Pause des Verfahrens gab die Verteidigung eine Erklärung ab, in der sie Kadri Sakas Realität ausführlicher darlegte. Als „gute Seele“ von Biratî e.V. habe er sich um die Angelegenheiten vieler Menschen gekümmert, die den Verein besucht haben. Seine Ideologie basiere auf der Verbundenheit mit der Heimat sowie seinem Einsatz für die Autonomie von ganz Kurdistan. Außerdem erwähnte die Verteidigung Bedenken zu Fotos von Quittungen, welche auf einem konfiszierten Handy von Saka gefunden wurden. Es konnte nicht eindeutig geklärt werden, ob die Fotos absichtlich oder durch andere Umstände automatisch und nicht wissentlich gespeichert worden sind. Über die Umstände will die Verteidigung im weiteren Verlauf des Verfahrens noch einmal zurückkommen und spricht sich dafür aus, dass ein Sachverständiger sich die Daten auf dem Handy genauer anguckt.

Zielloses Verhalten der Anklage

Auf die Erklärung der Verteidigung folgte eine weitere Befragung Sakas durch den Senat. Die Fragen drehten sich um schon öfter erwähnte Themen, jedoch ging es dabei vermehrt darüber, was in überwachten Telefonaten gesagt wurde. Danach wurden Zeitungsartikel von türkischen und kurdischen Medien sowie HPG-Erklärungen verlesen. Die Artikel und Erklärungen handelten unter anderem über Angriffe der Guerilla in Nordkurdistan. Hierzu äußerte die Verteidigung Bedenken, da das Verlesen von Artikeln und Erklärungen ohne historische Einordnung ziellos sei.

Am 9. Prozesstermin (26.09.2024) wurde der Zeuge Zeuschner vom LKA Bremen vom Gericht zur Observation Sakas und dem Verlauf sowie zur Begründung der Ermittlung befragt. Der Beamte, der seit rund zweieinhalb Jahren zuständig ist für Ermittlungen über die PKK in Bremen, äußerte sich zunächst allgemein zu seiner Tätigkeit. Dabei wiederholte er vorwiegend Informationen aus den Berichten des Verfassungsschutzes, etwa dass die PKK eine „marxistisch-leninistische Organisation“ sei, die sich durch „terroristische Anschläge“ in der Türkei auszeichnen würde „und Anfang der 1990er Jahre durch gewalttätige Handlungen in Deutschland von der BRD verboten wurde“.

Seitdem wäre Deutschland ein Rückzugsort der PKK, um hier den militärischen Kampf durch politische Arbeit sowie Geldspenden zu unterstützen. Das Geld komme laut dem LKA-Beamten von verkauftem Propaganda-Material, Veranstaltungen und „erzwungen Spenden“ von Kurdinnen und Kurden. „Jeder Kurde muss spenden“, gab Zeuschner vor. Der Verein Biratî sei „Dreh- und Angelpunkt der PKK“ in Bremen und Saka einer von vielen „Spendeneintreibern“, die oft selber einfache Leute wären. Der Angeklagte jedoch hätte sich durch seine langjährige aktivistische Tätigkeit in den lokalen Strukturen der PKK „hochgearbeitet“ und sei der „rechte Arm“ des Gebietsleiters. Daher könne er entscheiden, wie hoch die Spendenbeiträge sein müssten. Kontrovers blieb bei dieser Aussage, dass sich Saka einerseits hochgearbeitet haben soll in Strukturen, andererseits seit 30 Jahren ähnlichen Tätigkeiten nachgehen soll, ohne dass sich dabei viel verändert hätte.

LKA-Beamter glänzt durch fehlendes Wissen

Im weiteren Verlauf ging es um die ersten Ansätze der Ermittlungen gegen Kadri Saka, die laut dem LKA-Beamten durch Telefonkommunikationsüberwachungen der kurdischen Aktivisten Mustafa Çelik und Mehmet Çakas entstanden seien. Erst durch diese Überwachung sei es zu einer Hausdurchsuchung bei Saka als weiterem Verdächtigen gekommen. Dabei seien auch Spendentickets in der Nähe von „PKK-Quittungen“ und Propagandamaterialien gefunden und Geld beschlagnahmt worden. Dass Saka im Januar dieses Jahres festgenommen wurde und nun angeklagt ist, sei darauf zurückzuführen, dass er nach einer Hausdurchsuchung im Jahr 2022 seine Aktivitäten im Biratî-Verein nicht beendete.

Der Senat stellte einige Fragen bezüglich der Quittungen, jedoch stellte sich heraus, dass diese weder mit dem beschlagnahmten Geld noch mit einer Namensliste in Verbindung gebracht werden konnten, die in einem sichergestellten Notizbuch gefunden worden war. Der LKA-Beamte konnte bezüglich Biratî, der Hausdurchsuchungen und den Beweismaterialien nahezu keine genauen Aussagen tätigen, da er selbst nur bei einer Durchsuchung anwesend gewesen sei und sich vorwiegend um Akten kümmere. Angelegte Beweise habe er aber ausgewertet, etwa Quittungen, bei denen er mit Hilfe des Google-Übersetzers Beträge in Höhe von mehreren Tausend Euro erfassen konnte, indem er schwer bis kaum erkennbare Wörter selbst interpretierte und übersetzte.

Die weiteren vermeintlich für die Ermittlungen relevanten Tätigkeiten Sakas seien legal angemeldete Demonstrationen gewesen; bei Themen mit Bezug zu anhaltenden Konflikten in den kurdischen Siedlungsgebieten würden immer die Inhalte der PKK zum Ausdruck kommen, sobald es eine Verbindung zu Biratî gibt, und auch die Überwachung von Kadri Sakas Telefon hätte gezeigt, dass Menschen ihn für Streitschlichtungen nach Hilfe fragten. Es kam wohl auch zu einer Pause der Ermittlungen von knapp einem Jahr, genaue Aussagen zu den Hintergründen wollte der Zeuge aber nicht treffen, da er befürchtete dadurch die Strukturen und Arbeitsweisen des LKA offenzulegen.

Stimmung im Saal kippt

Als der Staatsanwalt Fragen an den Zeugen stellte, wurde es schnell laut im Gerichtssaal und die Stimmung kippte plötzlich. Die Anklage wollte eine Einschätzung zum intellektuellen Zustand Sakas und unterstellte dem Kurden „Dummheit“, weil er nicht lesen könne und die Struktur der PKK nicht verstehe. Die Verteidigung reagierte empört und Saka fühlte sich sichtlich provoziert. Als er das Wort ergreifen wollte, ermahnte ihn der Senat, ruhig zu sein.

Im weiteren Verlauf stellte die Verteidigung ihre Fragen an den Zeugen vom LKA. Dabei trat zu Tage, dass viele Schlussfolgerungen aus den Beweismitteln nicht klar genug gestellt wurden. Es fehlte schlicht an greifbaren Informationen. So konnte etwa nicht geklärt werden, wo und auf welche Weise die vermeintlichen Spendengelder für die PKK an Kadri Saka flossen und er diese an die PKK weitergegeben haben soll. Laut dem Zeugen ergebe sich aus hohen und quittierten Beträgen, dass das Geld nicht für die Aktivitäten im Verein Biratî gedacht sei, sondern an die PKK gehen müsse. Ähnlich abstrus lauteten die Erkenntnisse zur angeblichen Position Sakas innerhalb der PKK. Es mache einfach Sinn, den Kurden basierend auf den vorliegenden Informationen als „wichtige Person“ innerhalb der PKK-Strukturen einzuordnen. Der LKA-Beamte bezog sich auf die Aussage eines Imbiss-Besitzers, der nach einer Durchsuchungsmaßnahme im Rahmen der Ermittlungen gegen Saka angegeben haben soll: „Alle Kurden in Bremen kennen Kadri.“

Das fehlende Verständnis für den Zusammenhalt einer migrantischen Community in Deutschland wurde durch die Aussagen des Zeugen ebenso ersichtlich wie sein mangelndes Wissen über die Strukturen der PKK, sagte Kadri Saka zum Abschluss des Verhandlungstages. Er bescheinigte dem LKA-Beamten und dem Verfassungsschutz Fehlwissen als Ressource politischer Verfolgung von Kurdinnen und Kurden und bezeichnete das gegen ihn verwendete Beweismaterial als „irgendwie zusammengewürfelt“. „Ihm fehlt das Verständnis für meine Person, die kurdische Community und Wissen über die PKK. Er hat mich beobachtet, aber nicht gesehen“, so Saka.

An beiden Prozesstagen wurde zu deutlich, dass der Senat und die Staatsanwaltschaft keinen anderen Narrativ akzeptieren als den üblichen: Politisch aktive Kurdinnen und unterstützen aus der Sicht des deutschen Staates durch ihr Handeln in selbstorganisierten Strukturen scheinbar Terrorismus.

Bei den nächsten beiden Verhandlungstagen werden weitere Zeugen vom LKA Bremen vor Gericht als Zeugen aussagen. Alle weiteren Termine im Prozess gegen Kadri Saka, der im Saal 288 oder 237 des Strafjustizgebäudes am Sievekingplatz 3 stattfindet, sind wie folgt:

Montag, 30.09.2024 um 10:30 Uhr

Freitag, 4.10.2024 um 10:30 Uhr

Mittwoch, 9.10.2024 um 10:30 Uhr

Donnerstag, 10.10.2024 um 10:30 Uhr

Dienstag, 5.11.2024 um 10:30 Uhr

Donnerstag, 7.11.2024 um 13:00 Uhr

Montag, 11.11.2024 um 13:00 Uhr

Freitag, 15.11 um 10:30 Uhr

Dienstag, 19.11 um 10:30 Uhr