Êrdmed: Dorfschützerkorruption und Zwangsverwaltung

Der Landkreis Êrdmed in der nordkurdischen Provinz Wan ist für seine historischen Stätten bekannt und zieht Tourist:innen aus aller Welt an. Doch der Profit aus dem Tourismus kommt nicht der Bevölkerung zugute, sondern geht an Mafiastrukturen.

Êrdmed (tr. Edremit) gilt als einer der schönsten Landkreise der Provinz Wan (Van). Die Hochburg der Demokratischen Partei der Völker (HDP), in der Kandidat:innen der Oppositionspartei mehr als 70 Prozent der Stimmen bei den Kommunalwahlen im Jahr 2019 auf sich vereinen konnte, steht unter Zwangsverwaltung. Die Ko-Bürgermeister:innen der HDP wurden vom Innenministerium suspendiert und an ihrer Stelle ein staatlicher Treuhänder eingesetzt. Aktueller Zwangsverwalter von Êrdmed ist der AKP-Politiker Ismail Şay. Bei der Übergabe des Amtes von seinem Vorgänger, dem Zwangsverwalter Atıf Çiçekli, fand dieser deutliche Worte: „Was auch immer wir für die Menschen in Edremit getan haben, es hat uns nichts genützt. Bei den Wahlen haben sie uns ignoriert. Sie verdienen keine Güte.“

Geld fließt an Familie von regierungstreuen Paramilitärs

Die Zwangsverwalter von Êrdmed haben eines gemeinsam: Sie leiten die Mittel der Stadtverwaltung in die Taschen der Dorfschützerfamilie Şaban Kahraman um. Kahraman ist ein bekannter Kriegsverbrecher, der in den 90er Jahren die Bevölkerung mit der paramilitärischen Einheit Şimşekler (die Blitze) terrorisierte. In den vergangenen fünf Jahren wurde der Dorfschützerclan mit allen Posten und Mitteln der Stadtverwaltung ausgestattet.

So wurden sechs Läden, die durch HDP-Verwaltung im Stadtzentrum eingerichtet worden waren, durch Atıf Çiçekli an Memduh Kahraman aus dem Dorfschützerclan zu einem unbekannten Preis verkauft. Ayşegül Kahraman, die Ehefrau von Memduh Kahraman, wurde zur Stellvertreterin Çiçeklis ernannt. Ayşegül Kahraman, deren Vermögen in dieser Zeit deutlich wuchs, baut zurzeit vier Wohnblocks am Ufer des Wan-Sees. Innerhalb der Stadtverwaltung kam es zum Konflikt über die Verteilung des Geldes und Çiçekli musste nach einer Anzeige aus dem Amt entfernt werden. Sein Nachfolger Ismail Say setzte die Korruption bruchlos fort. Das ehemalige Rathaus wurde an die Familie Kahraman verkauft, die wiederum das Gebäude an AKP-Anhänger vermietet, die dort einen Supermarkt betreiben.

Das Café auf der historischen Burg „Kız Kalesi“ wurde ebenfalls von Ismail Say an Memduh und Ayşegül Kahraman zum Betrieb übergeben. Das Paar konnte erhebliche Gewinne erzielen, indem es sich eine Beteiligung an dem Café mit 20 Personen teilte.

Mafiastrukturen finanzieren sich durch Zwangsverwaltung

Solche Netzwerke aus Korruption und Betrug werden überall von den Zwangsverwaltern installiert und die kurdischen Landkreise damit zugrunde gerichtet. So soll für den Fall eines erneuten HDP-Sieges bei Kommunalwahlen „verbrannte Erde“ hinterlassen und eine positive Entwicklung der Region nachhaltig verhindert werden. Der Mafia-Staat-Komplex, der den Spezialkrieg gegen die kurdische Bevölkerung betreibt, profitiert von diesen Geschäften und wird auf diese Weise für seine schmutzigen Praktiken der Repression, Verfolgung und Einschüchterung entlohnt.