Am 26. September führten die beiden Guerillakämpferinnen Sara Goyî (Tolhildan) und Rûken Zelal eine Aktion gegen eine Polizeibasis in Mersin durch. Die beiden Frauen waren in die Basis eingedrungen, hatten die Eingangswache durch Pistolenschüsse getötet und waren dann bis ins Innere vorgedrungen. Mit Langwaffen eröffneten sie das Feuer und sprengten sich dann unter Polizisten in die Luft. „Die beiden Kämpferinnen waren entschlossen, ihr Leben bei der Aktion zu opfern,“ heißt es von den HPG. Bei der Aktion hatte es nach Angaben der Volksverteidigungskräfte (HPG) Tote und Verletzte in den Reihen der Polizei gegeben.
Kämpferinnen infiltrierten türkische Basis
Das Pressezentrum der HPG berichtet zu der Aktion: „In der Nacht des 26. September versetzten die beiden Kämpferinnen dem Kolonialstaat mit ihrer Aktion gegen das Polizeigebäude in Mezitli, Mersin, in Schock. Es gelang ihnen, sich direkt unter den Augen des Feindes in die Basis einzuschleichen. Sie eröffneten mit Pistolen das Feuer auf den Polizisten im Wachhaus und schalteten ihn aus. Dann griffen sie zu Langwaffen und gingen zum Angriff auf die Basis über. Unsere Genossinnen erreichten erfolgreich ihr Ziel und setzten ein Fanal der Opferbereitschaft, in dem sie sich zusammen mit dem Feind am effektivsten Punkt in die Luft sprengten. Unsere Kämpferinnen haben ihre Aktion von Anfang bis Ende genauso durchgeführt, wie sie es geplant hatten, perfekt und mit hoher Kreativität. Als autonome Guerillaeinheit blieben sie ihrer Planung treu und analysierten gleichzeitig die Bedingungen, auf die sie trafen, richtig und kreativ. Sie führten ihre Aktion erfolgreich durch.“
Gezielter Angriff auf ausgewählte Polizeieinheit
Die HPG sprechen von einer genauen Auswahl der Angegriffenen. Die Aktion habe sich „gegen Polizeibeamte, die die besondere Aufgabe hatten, die Sicherheit der staatlichen Bürokratie zu gewährleisten“, gerichtet. In diesem Sinne hätten die Kämpferinnen „nicht die ersten feindlichen Kräfte, die zufällig vor ihnen auftauchten, ins Visier genommen“, sondern gezielt ein bestimmte Polizeieinheit angegriffen. Die HPG erklären, es gebe Augenzeugenberichte, laut denen „dem Feind schwere Verluste zugefügt wurden“. Dies sei jedoch wie üblich vom Staat verschwiegen worden. Der „Minister für kriminelle Angelegenheiten des Spezialkriegsregimes“, gemeint ist der türkische Innenminister Süleyman Soylu (AKP), habe sich schnell an den Ort des Geschehens begeben und eine Vertuschungsaktion eingeleitet. Mit der Aktion sei erneut das Mantra widerlegt worden, die PKK sei am Ende. Die HPG schreiben: „Sie (die beiden Kämpferinnen) haben Freund und Feind einmal mehr den unbesiegbaren und unaufhaltsamen Stil der PKK vor Augen geführt.“
Sara (Tolhildan) Goyî
Sara Goyî stammte aus Qileban (tr. Uludere) in der nordkurdischen Provinz Şirnex und gehört dem für seinen Patriotismus bekannten Goyî-Stamm an. Ihre ersten Jahre verbrachte sie in der Widerstandsregion Botan. Sie musste jedoch dann in eine türkische Metropole migrieren und dort arbeiten. Dennoch blieb sie immer den Bergen und der Guerilla, die sie bereits früh kennengelernt hatte, verbunden. Von klein auf hatte sie den Traum gehegt, selbst Kämpferin zu werden. Schließlich schloss sie sich 2009 der Guerilla an und trat 2010 den Spezialeinheiten (Hêzen Taybet) bei. Sie lernte politisch, ideologisch und menschlich insbesondere viel durch die 2013 in Paris ermordete PKK-Mitgründerin Sara (Sakine Cansız) und schlug sich immer wieder für sogenannte Fedai-Aktionen vor. Allerdings wurden ihre Anträge abgelehnt. Sie übernahm stattdessen viele andere Aufgaben mit großer Opferbereitschaft und Erfolg. Schließlich wurde ihr Antrag für die Aufnahme in die „Brigade der Unsterblichen“, eine Einheit, die sich auf Selbstaufopferung bei Aktionen vorbereitet, bewilligt. Sie bekämpfte den türkischen Kolonialismus und das Patriarchat nicht nur nach außen, sondern insbesondere auch in sich selbst, und bildete sich kontinuierlich weiter.
Die HPG schreiben: „Das Ereignis, das unsere Genossin Sara am meisten geprägt hat und das sie nie vergessen würde, war der Angriff, der in Siyanê in Gare begann. Der Widerstand der Freunde unter dem Kommando von Şehîd Şoreş Beytüşşebap in Siyanê hat sie tief beeindruckt. Sie empfand tiefen Schmerz und Wut, dass sie diesen Widerstand nicht ausreichend hatte unterstützen können. Sie kritisierte sich dafür permanent selber.“ Am 10. Februar 2021 hatte der türkische Staat einen massiven Angriff auf das Siyanê-Camp in Gare gestartet. Der Angriff endete am 14. Februar mit dem Rückzug der türkischen Armee. Bei dem Angriff wurde massiv Giftgas eingesetzt. Im Widerstand gegen den türkischen Angriff fielen 14 Guerillakämpfer. Zwölf Gefangene, die den türkischen Sicherheitskräften angehörten, und ein vorübergehend Verhafteter aus Südkurdistan wurden ebenfalls bei dem Angriff getötet.
Die HPG berichten, Sara Goyî sei damals sofort aufgebrochen, um das angegriffene Operationsgebiet zu erreichen, und war eine der Ersten, die dort eintrafen. Dennoch kam sie zu spät. Als sie versuchte, das Siyanê-Camp zu betreten, wurde sie vom Giftgas, dass sich immer noch im Lager hielt, verletzt. Ihre Wut nahm aufgrund der Situation jedoch noch weiter zu, und sie schlug erneut vor, eine Aktion durchzuführen, bei der sie sich selbst opfern wollte. Dazu erklärte sie: „Jetzt frage ich mich, wie es meinen Genossen im Feuergefecht ergangen ist, wie sie vier Tage lang gegen Gas, Umzingelung, C-4 und alle Arten von Angriffen gekämpft haben. Was für eine großartige, mutige Haltung! Wir haben es nicht geschafft, sie zu erreichen, obwohl wir es hätten schaffen können. Wie soll ich aus dieser Situation wieder herauskommen. Natürlich habe ich den Freund:innen gleich nach der Operation gesagt, ich muss sofort etwas tun. Und das werde ich! Ich verspreche ihnen, dass ich ihnen meine Selbstkritik von ganzem Herzen geben werde, solange ich in der Praxis tätig bin. Ich werde meine Selbstkritik auf die einfachste und klarste Weise zeigen. Im Angriff auf den Feind. Vielleicht wird dann mein Gewissen ein wenig entlastet.“
Damit schlug sich Sara Goyî für eine solche Aktion vor. Sie setzte sich intensiv mit den Notwendigkeiten als Stadtguerillakämpferin auseinander. Die HPG berichten: „Sie bereitete sich als Guerillakämpferin in den Bergen mit strikter Disziplin darauf vor, als Stadtguerillakämpferin eine Opfereinheit der YJA Star zu bilden und mit dieser Einheit den Feind zu schlagen.“
Rûken Zelal
Zur gleichen Zeit hatten sich Hunderte von Kämpfer:innen für eine Opferaktion vorgeschlagen. Es wurde entschieden, dass Sara Goyî zusammen mit Rûken Zelal die Einheit bilden würde. Sie kannten sich nicht, aber sie waren beide entschlossen, die Aktion umzusetzen. Rûken Zelal stammte aus Qamişlo in Rojava. Sie wurde durch die Revolution von Rojava und die Repression des Baath-Regimes politisiert und hatte bereits früh großes Interesse an der Guerilla. Als in Rojava eine Revolution stattfand, beteiligte sie sich aktiv an den Kämpfen, aber ihr Hauptinteresse galt den Bergen und dem Leben bei der Guerilla. Der Hauptfaktor dafür war, dass sie wusste, dass die größte Bedrohung für die Existenz der Kurd:innen der türkische Faschismus ist. So ging sie 2014 in die Berge und war entschlossen, in Nordkurdistan gegen den türkischen Staat zu kämpfen. Unmittelbar nach der Grundausbildung schloss sie sich auf eigenen Wunsch den Spezialeinheiten (Hêzên Taybet) an. Sie lernte schnell und bildete ihre Mitkämpfer:innen aus. Schließlich kämpfte sie an verschiedenen Fronten, und schlug sich selbst immer wieder für eine Opferaktion vor. Auch für Rûken Zelal war Siyanê ein Wendepunkt. Nach dem Angriff auf Gare verfolgte sie noch entschlossener den Wunsch, eine solche Aktion durchzuführen. In diesem Sinne kreuzte sich ihr Weg mit Sara Goyî. Sara Goyî war die Kommandantin der Einheit. Sie vermittelte ihr ganzes Wissen an Rûken. Die HPG schreiben: „Sie planten die ganze Zeit. Sie machten Nachtwanderungen, bis sie erschöpft waren. Sara brachte Rûken dazu, die höchsten Klippen zu erklimmen und mit der schwersten Last steile Abhänge hinaufzusteigen.“
„Sie nahmen Rache für die Vernichtung“
Die HPG schreiben über beide: „Zwei schöne und tapfere Frauen haben, um sich für die Bomben und Chemiewaffen zu rächen, die gegen ihre Genoss:innen, die für die Freiheit und die Verteidigung Kurdistans kämpfen, eingesetzt werden, und um der Repression, der Geiselhaft und der schweren Folter in den Kerkern ein Ende zu setzen, ihre Selbstaufopferungsaktion durchgeführt. Sie taten das in einem absolut professionellen Stil als eine Einheit von Spezialistinnen mit hoher taktischen und technischen Kompetenz. Ihre Aktion haben sie zu einem Zeitpunkt und an einem Ort durchgeführt, mit denen der Feind niemals gerechnet hatte. Sie kamen eines Nachts unerwartet und trafen den Feind auf eine Art und Weise, die ihn schockierte.“
Die HPG schließen: „Zara und Rûken sind zu Kämpferinnen für den Slogan ‚Sieg im Krieg, Freiheit im Leben' geworden. Sie sagten ,Jin, Jiyan, Azadî' und wurden zum Symbol für die Erschaffung von Leben im Tod und für die Geburt von freiem Leben. Sie wurden zu unseren Freiheitsgöttinnen. Die Erinnerung an sie wird immer unser Siegesversprechen sein.“