Türkische Angriffe in Nord- und Ostsyrien fordern Hunderte zivile Opfer

Die Kriegshandlungen der Türkei und ihrer Verbündeten in Nord- und Ostsyrien forderten in diesem Jahr bereits Hunderte Opfer. Internationale Reaktionen bleiben dennoch aus.

Humanitäre Lage verschärft sich

Die Demokratische Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) wird weiterhin Ziel massiver Militärgewalt durch die Türkei und ihre islamistischen Söldner. Seit dem Sturz des Assad-Regimes intensivieren die türkisch-dschihadistischen Besatzungstruppen ihre Luft- und Bodenangriffe gegen die DAANES – mit dramatischen Folgen für die Zivilbevölkerung. Das Rojava Information Center (RIC) erfasste seit Anfang Dezember bis einschließlich Mitte März 130 zivile Todesopfer infolge der Kriegshandlungen gegen Nord- und Ostsyrien, darunter zwei Dutzend am Tişrîn-Damm. Das Gesundheitskomitee der Selbstverwaltung spricht sogar von mindestens 229 Toten und 311 Verletzten seit Jahresbeginn – Zivilpersonen und sowie Angehörige von Sicherheits- und Militärbehörden.

Rechtsanwalt Mistefa Şêx Muslim

Eskalation der Gewalt: Zahlen, die erschüttern

Allein im Januar wurden 34 Luftschläge von Kampfflugzeugen, 23 Drohnenangriffe sowie hundertfache Einschläge von Artilleriegeschossen verschiedenen Kalibers dokumentiert. Im Februar und in der ersten Märzhälfte setzte sich diese Dynamik fort – ergänzt durch gezielte Tötungen, Drohnenangriffe auf belebte Marktplätze und nächtliche Bombardierungen von Wohnhäusern.

Besonders erschütternd war der Angriff am 17. März auf das Dorf Berxbotan bei Kobanê: Bei einem nächtlichen Drohnenangriff wurden neun Mitglieder einer Familie – darunter sieben Kinder – getötet. Eine weitere Person, schwer verletzt, erlag am Folgetag ihren Wunden. Die einzige Überlebende aus der Familie: ein neunjähriges Mädchen.

Auch zuvor kam es zu ähnlich brutalen Angriffen: Am 11. Januar starben ein Vater und zwei seiner Kinder durch einen Luftschlag in einem Dorf nahe der südlich von Kobanê gelegenen Gemeinde Sirrîn (Sarrin). Am 27. Januar traf ein türkischer Drohnenangriff einen Marktplatz im Gemeindezentrum – 13 Menschen starben, zwölf wurden verletzt.

Sûzan Oso, Vertriebene aus Efrîn

Menschenrechtler:innen schlagen Alarm

Der kurdische Jurist Mistefa Şêx Muslim spricht von systematischen Verstößen gegen internationales Recht: „Die Genfer Konventionen verbieten ausdrücklich die gezielte Tötung von Zivilist:innen. Doch die türkischen Angriffe treffen immer wieder zivile Ziele – Wohnhäuser, Märkte, Infrastrukturen.“ Er kritisiert nicht nur die Angriffe selbst, sondern auch die weitgehende Ignoranz der internationalen Gemeinschaft: „Während die Welt nach Palästina schaut, bleibt sie gegenüber dem Leid in Nordostsyrien stumm. Warum wird das eine Leid anerkannt, das andere aber ignoriert?“

Stimmen aus der Region: Widerstand gegen das Vergessen

Sûzan Oso, eine Vertriebene aus der besetzten Efrîn-Region, verurteilt die Angriffe scharf: „Diese Bombardierungen sollen unsere Moral brechen, unseren Widerstand zerstören. Doch wir geben nicht auf. Jeden Tag stehen wir auf den Straßen, um zu zeigen: Wir leben noch – und wir kämpfen weiter.“

Auch Yûsîf Kutê aus Qamişlo sieht in den Angriffen einen gezielten Versuch, das demokratische Projekt der Selbstverwaltung zu sabotieren: „Die Türkei will keinen Frieden in Syrien. Sie will die Kontrolle. Der Krieg richtet sich gegen die Idee eines gleichberechtigten, pluralistischen Zusammenlebens.“

Yûsîf Kutê

Humanitäre Lage verschärft sich

Neben den direkten Todesopfern haben die Angriffe dramatische Auswirkungen auf das Alltagsleben: Krankenhäuser, Schulen, Wasserversorgung und landwirtschaftliche Strukturen wurden beschädigt oder zerstört. Die Fluchtbewegungen innerhalb der Region nehmen zu, der Zugang zu medizinischer Versorgung ist vielerorts kaum noch gewährleistet.

Appell an die internationale Gemeinschaft

Trotz der Schwere der Angriffe bleiben internationale Reaktionen aus. Lokale Politiker:innen und Menschenrechtsaktivist:innen fordern dringend diplomatische und mediale Aufmerksamkeit. „Es braucht ein Ende dieser Doppelmoral“, so Mistefa Şêx Muslim. „Wo sind die Vereinten Nationen? Wo ist das Internationale Rote Kreuz? Wenn das Töten von Zivilisten nicht reicht, um zu handeln – was dann?“