Türkei: Regierung entzieht größtem Filmfestival die Unterstützung

Die türkische Regierung hat dem bedeutendsten Filmfestival des Landes die Unterstützung entzogen. Das Kulturministerium warf der Festivalleitung der Filmfestspiele Antalya vor, mit der Auswahl „Terrorpropaganda“ zu unterstützen und erklärte seinen Rückzug

Die türkische Regierung hat dem bedeutendsten Filmfestival des Landes die Unterstützung entzogen. Das Kulturministerium warf der Festivalleitung der Filmfestspiele Antalya am Donnerstag vor, mit der Auswahl „Terrorpropaganda“ zu unterstützen und erklärte seinen Rückzug. Konkret geht es um die Dokumentation „Kanun Hükmü“.

Der Film von Nejla Demirci erzählt von zwei Menschen, die nach dem inszenierten Putsch 2016 in der Türkei wegen mutmaßlicher Unterstützung des Umsturzversuchs entlassen wurden. Das Kulturministerium sieht darin Propaganda für die Bewegung um den im US-Exil lebenden Prediger Fethullah Gülen, die laut Ankara für den vermeintlichen Putschversuch verantwortlich sein soll und von der Türkei als Terrororganisation eingestuft wird.

In dem im Anschluss an den Pseudoputsch verhängten Ausnahmezustand wurden etwa 150.000 Staatsbedienstete entlassen oder suspendiert. Die Säuberungswelle erfasste fast alle staatlichen Institutionen; tausende Schulen, Universitäten, Stiftungen, Medienorganisationen und andere Einrichtungen wurden geschlossen. Die Regierung von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan rechtfertigt das als Vorgehen gegen mutmaßliche „Terrorunterstützer“. Andere sehen darin den Versuch, Widersacher aus dem Weg zu räumen. Gülen galt einst als enger Verbündeter Erdoğans und wichtige Stütze der AKP, 2013 überwarfen sich die ehemaligen Weggefährten.


Einige Entlassene, die sich selbst als „KHK‘ler“ bezeichnen (KHK steht für „Kanun Hükmünde Kararname“, zu Deutsch: Notstandsdekret mit Gesetzeskraft) – viele wurden zum Teil auch verhaftet – konnten im Anschluss gerichtlich ihre Unschuld beweisen, wurden danach teilweise wieder eingestellt oder entschädigt. Die meisten sind allerdings für den Rest ihres Lebens gebrandmarkt und tun sich schwer, beruflich und gesellschaftlich wieder Fuß zu fassen. Denn sie sind mit dem Dekret von Staatspräsident Erdoğan quasi verdammt. Sie bekommen in ihren Sozialversicherungsnummern einen entsprechenden Vermerk hinterlegt. Mit dieser Kennziffer können sämtliche Arbeitgeber, staatliche Behörden und Banken erkennen, ob jemand schon mal per Dekret entlassen wurde. Den meisten KHK’lern wird nicht mal ein Ausweis ausgestellt. Staatliche sowie private Banken vergeben ihnen keine Kredite und vereinzelt wird ihnen sogar die Eröffnung einfacher Konten verweigert.

Was die Unterstützungsabsage von Seiten des Kulturministeriums für das Festival bedeutet, war zunächst unklar. Festivalleiter Ahmet Boyacıoğlu erklärte am Donnerstagabend auf dem offiziellen Instagram-Kanal, dass man sich aufgrund von Drohungen und fehlender Rückendeckung dazu entschieden habe, den Film „Kanun Hükmü“, der noch auf der Homepage aufgelistet ist, aus der Auswahl fürs Festival endgültig zu entfernen. Zuvor war er bereits einmal entfernt und nach Protesten wieder aufgenommen worden. Mit diesem Schritt der Selbstzensur will Boyacıoğlu wohl weiteren Druck von Seiten der Regierung verhindern. Abgeordnete, Filmschaffende und Handelnde der Zivilgesellschaft kritisierten diese Entscheidung ebenso wie die Rückzugserklärung des Ministeriums.