Mit einer Protestaktion vor dem Hochsicherheitsgefängnis Silivri hat die Istanbuler Sektion des türkischen Menschenrechtsvereins IHD (İnsan Hakları Derneği) am Sonntag die Freilassung des Kulturmäzen Osman Kavala gefordert. Der Vorsitzende der Kulturstiftung Anadolu Kültür ist einer der führenden Vertreter der Zivilgesellschaft in der Türkei und befindet sich seit November des vergangenen Jahres ohne Anklageschrift in Untersuchungshaft. Festgenommen wurde Kavala am 19. Oktober 2017 nach der Rückkehr von einer Reise aus der Provinz Dîlok (Antep), wo er an einem Projekttreffen des Goethe-Instituts teilgenommen hatte. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm „versuchten Umsturz der Regierung“ vor. Außerdem soll Kavala an der Planung des Putschversuches vom 15. Juli 2016 beteiligt gewesen sein. Der Unternehmer weist die Vorwürfe gegen ihn entschieden zurück. In einem Brief an das Kulturforum Türkei-Deutschland schrieb Kavala: „Für jemanden wie mich, der den 12. September (1980, Militärputsch) miterlebt hat und die schrecklichen Erinnerungen an diesen Tag nie aus seinem Gedächtnis streichen kann, ist es besonders verletzend, dass ich mit diesen Kreisen in Verbindung gebracht werde. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass ich in dieser Sache rechtliche Schritte eingeleitet habe.“
Seit einem Jahr keine Anklageschrift
Die Vorsitzende des IHD in Istanbul, Leman Yurtsever, wies in einer Erklärung an die Presse darauf hin, dass es für die Verhaftung des Kulturstifters keine rechtliche, juristische Grundlage gäbe. Es handele sich faktisch um politische Geiselhaft, die sofort beendet werden müsse, sagte Yurtsever.
Die Vorwürfe gegen den 61-jährigen Kavala waren lange nicht bekannt, da das Verfahren als Verschlusssache gilt. Kurz nach seiner Festnahme nannte ihn Staatspräsident Erdoğan abfällig den „türkischen Soros“ in Anspielung auf den US-amerikanischen Kulturstifter George Soros. Wenig später wiederholte der Autokrat Erdoğan seinen Vorwurf während eines Besuches in Frankreich. Auf einer Pressekonferenz mit Präsident Macron sagte er, Kavala gehöre zu den „Urhebern der Gezi-Unruhen“.
Osman Kavala war auch Sponsor des Workshops der Menschenrechtsorganisation Amnesty International im Sommer 2017, dessen Teilnehmer*innen, darunter auch der Deutsche Peter Steudtner, unter dem Vorwurf der „Terrorunterstützung” mehr als drei Monate in türkischer Untersuchungshaft saßen.
Kavala seit jeher der AKP-Regierung ein Dorn im Auge
Yurtsever erinnerte daran, dass Kavala der Regierung Erdoğans seit Jahren ein Dorn im Auge ist. Der Mäzen hat sich der kulturellen Vielfalt des Landes verschrieben und fördert mit seiner Stiftung vor allem Projekte von ethnischen und religiösen Minderheiten, oftmals mit internationaler Ausrichtung. Dabei geht es auch um die uralten Kulturen der Kurd*innen, Armenier*innen und Ezid*innen, die von der türkischen Republik jahrzehntelang vernachlässigt, geleugnet oder unterdrückt wurden. In Amed (Diyarbakir) baute Kavala beispielsweise das Kulturzentrum „Diyarbakir Kültür Merkezi“ auf. Zu seinen Anliegen gehört auch die Aussöhnung zwischen Türkinnen und Türken und der armenischen Bevölkerung und eine friedliche Lösung der kurdischen Frage. Sein Engagement stellt somit einen Gegenentwurf zur türkischen Staatsideologie dar, die unter dem Motto „Eine einzige Nation, eine einzige Flagge, ein einziger Staat, ein einziges Heimatland“ das homogene Einheitsvolk propagiert.
Kavala befindet sich in politischer Geiselhaft
„Seit bald einem Jahr befindet sich Kavala im Gefängnis, ohne dass eine Anklage erhoben wurde. Mit der fortgesetzten Untersuchungshaft verstößt die türkische Justiz nicht nur gegen ihre eigenen Gesetze, sondern auch gegen internationale Abkommen, denen sie verpflichtet ist. Wir als Verteidiger*innen der Menschenrechte fordern die sofortige Freilassung von Osman Kavala und das Ende der politischen Willkür“.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat sich dem Fall von Kavala angenommen und bekannt gegeben, dass der Fall in einem beschleunigten Verfahren behandelt wird. Die gestrige Presseerklärung endete mit Parolerufen.