Grabbesuch bei Musa Anter in Nisêbîn
Vor 29 Jahren wurde der kurdische Intellektuelle und Schriftsteller Musa Anter von der türkischen Konterguerilla ermordet. An seinem Grab in seiner Geburtsstadt Nisêbîn ist ihm gedacht worden.
Vor 29 Jahren wurde der kurdische Intellektuelle und Schriftsteller Musa Anter von der türkischen Konterguerilla ermordet. An seinem Grab in seiner Geburtsstadt Nisêbîn ist ihm gedacht worden.
An seinem Grab im nordkurdischen Nisêbîn (tr. Nusaybin) ist dem Schriftsteller und Journalisten Musa Anter gedacht worden. Anlass war der 29. Todestag des Intellektuellen. Am 20. September 1992 wurde Musa Anter von der türkischen Konterguerilla in Amed (Diyarbakir) ermordet.
Zu dem Grabbesuch im Dorf Sitîlîlê kamen vor allem Journalistinnen und Journalisten der freien kurdischen Presse, denen Musa Anter als Wegbereiter gilt. Neben dem gesamten Vorstand des Journalistenvereins Dicle Firat (DFG) waren auch Mitwirkende der Agenturen Mezopotamya und JinNews sowie die Belegschaft der Zeitung Xwebûn anwesend. Die HDP-Abgeordneten Ebru Günay, Meral Danış Beştaş und Garo Paylan beteiligten sich ebenfalls an dem Gedenken, ebenso die Vorstände der Kreis- und Provinzverbände der HDP und ihrer Schwesterpartei DBP.
„29 Jahre sind vergangen, seitdem Musa Anter ermordet wurde. Seinen Schülerinnen und Schülern bleibt er jedoch unvergessen“, sagte der DFG-Vorsitzende Serdar Altan. Sowohl der freien Presse als auch dem kurdischen Volk bleibe Anter stets in Erinnerung, auch wenn „dunkle Kräfte“ ihn aus dem kollektiven Gedächtnis der Kurd:innen löschen wollten. Der Prozess um den Mord an dem Intellektuellen wird von der türkischen Justiz verzögert, es droht die Verjährung. „Wir werden nicht zulassen, dass das Massaker an Musa Anter ungesühnt bleibt“, so Altan.
Nelken für die Platane
„Erzähler der Wahrheit“
Der Parlamentarier Garo Paylan bezeichnete Musa Anter in einer Ansprache als „Erzähler der Wahrheit“. Für eine Gesellschaft seien solche Personen stets von existenzieller Bedeutung. „Zu einer Zeit, in der die Existenz des kurdischen Volks bestritten wurde, belehrte Apê Musa die Leugner eines Besseren. Dafür sollte er mit seinem Leben bezahlen.“ Der Mord sollte Musa Anter aus der Erinnerung der Menschen löschen und ihn vergessen machen. Doch das Gegenteil sei eingetreten. „Er bleibt für die Ewigkeit unvergessen. Apê Musa hat dem kurdischen Volk seinen Atem eingehaucht, die Existenz der Kurd:innen manifestiert. Sein Tod galt Millionen als Quelle des Widerstands.“
Als armenisches Gegenstück zum „Wahrheitserzähler Musa Anter“ nannte Garo Paylan den Journalisten Hrant Dink, der im Januar 2007 in Istanbul von einem Attentäter nationalistischer Kräfte ermordet wurde. „Musa Anter lebt, genauso wie Hrant Dink lebt. Apê Musas Kampf wird von Millionen weitergetragen. Dieser Widerstand wird niemals auch nur einen Schritt zurückweichen. Lang sollst du leben, Onkel Musa“, beendete Paylan seine rührende Rede. Anschließend wurden rote Nelken am Grab von Musa Anter niedergelegt. Verabschiedet wurde die Trauergemeinde von Dicle Anter, dem Sohn von Musa Anter.
Musa Anter, die Platane der Kurden
Der kurdische Schriftsteller und Intellektuelle Musa Anter war ein Relikt aus einer anderen Zeit. 1920 im Dorf Zivingê in Nisêbî geboren, erlebte er zu Lebzeiten vieles, was andere nur vom Hörensagen kannten. Die Gründungsjahre der türkischen Republik, den Aufstands des Şêx Seîdê Pîran (Scheich Said) und den Genozid in Dersim erlebte er als Schüler, den Zweiten Weltkrieg als Student. Er war einer der Protagonisten des kurzen Frühlings der kurdischen Nationalbewegung Ende der 1950er Jahre, im „Prozess der 49“ wurde er wegen kurdischer Propaganda und Separatismus angeklagt. Hintergrund war sein Gedicht Qimil (deut. Rüsselwanze, ein Getreideschädling), welches er im August 1959 in kurdischer Sprache in der Zeitschrift Ileri Yurt veröffentlicht hatte. Das Magazin mit Sitz in Amed war seit Jahrzehnten wieder die erste Zeitschrift, die sich mit der kurdischen Frage beschäftigte. Musa Anter war der Herausgeber.
Von der kurdischen Gesellschaft wurde er Apê Mûsa - Onkel Musa - , genannt, oder auch „Çınar”, was „Platane“ bedeutet, ein mächtiger Baum mit tiefen Wurzeln und weit reichenden Ästen. Am 20. September 1992 wurde die kurdische Platane im Alter von 74 Jahren in Amed von der Konterguerilla gefällt. Anter, der damals in Istanbul lebte, war zu einem Kultur- und Kunstfestival nach Amed gereist, auf Einladung der dortigen Stadtverwaltung. Gleich nach seiner Ankunft hefteten sich Polizisten in Zivil an seine Fersen. Unter dem Vorwand, einen Konflikt zwischen zwei zerstrittenen Familien beizulegen, wurde Anter aus seinem Hotel gelockt und mitten auf der Straße mit fünf Schüssen niedergestreckt.