Fazit der Kurdischen Kulturtage in Nürnberg: Die kurdische Bewegung lebt!

Die 11. Kurdischen Kulturtage in Nürnberg haben erneut gezeigt: Die kurdische Bewegung lebt – mit ihrer Kultur, mit dem Bekenntnis zu ihrer Identität und getragen durch die Kraft der Selbstorganisierung für ein Leben in Freiheit.

Als „rundum gelungen“ beurteilte der Sprecher der Kulturkommission vom Nürnberger Medya Volkshaus die 11. Kurdischen Kulturtage, die gestern zu Ende gingen. Nach zwei Jahren Corona-Pause freuten sich die Organisator:innen mit den kurdischen und internationalen Besucher:innen über ein Festival, das die Vielfalt kurdischer Kultur zeigte und den Ursprung der Freiheitsbewegung nicht ausblendete.

So verdeutlichte die Aufführung des Films Zeit der Brombeeren (Dema Dirîreşkan) von Haşim Aydemir, wo die Wurzeln der Freiheitsbewegung liegen. Vorlage des Films ist der gleichnamige Roman von Murat Türk, der im Gefängnis seine Erlebnisse bei der Guerilla niederschrieb. Die Handlung beginnt mit dem Blick des Protagonisten Şervan auf sein niedergebranntes Dorf – der Auslöser, sich der Gerilla anzuschließen. Sehr schnell zog die kollektive Erinnerung an diese Art von „Aufstandsbekämpfung“ des türkischen Staates in den 90er Jahren die Zuschauer:innen in Bann. Das Leben so vieler, die in der Diaspora alt wurden, war geprägt von Vertreibung und Flucht – sie fühlten und litten mit dem verletzten Şervan. Nach einem Angriff des Militärs und von seiner Einheit getrennt muss er sich alleine durchschlagen. Die Berge Nordkurdistans sind seine Freunde, die ihn mit Wasser und Beeren am Leben halten. Vor allem aber ist es die Bevölkerung in den Dörfern, die sein Überleben sicherte. Eindrücklich zeigt der Film: Die Freiheitsguerilla und das Volk sind eins.

Politisch ging es dann auch weiter mit der Podiumsdiskussion am nächsten Tag. Moderiert von Murat Çakir referierten Ahmet Yildirim und Sibel Yiğitalp (beide ehemalige Abgeordnete der HDP) sowie Kerem Schamberger (medico international) über die aktuelle Situation in Kurdistan und in Deutschland.

Sibel Yiğitalp verurteilte den türkischen Staatsterrorismus: Eine Regierung, deren Militär mithilfe der Privatarmee SADAT Kurd:innen bombardiert und Giftgas einsetzt, wage es, von „Operationen gegen den Terror“ zu sprechen. Die ehemalige HDP-Abgeordnete beschreibt die tägliche Gewalt, die jeden trifft, der in Opposition zum AKP/MHP-Regime steht. Ein besonderes Anliegen ist der HDP-Politikerin die Situation der Frauen. Sie beklagt den Ausstieg aus der Istanbul-Konvention und die Zunahme der Femizide und betont die Stärke der Frauen innerhalb der HDP.

Schließlich geht Yiğitalp noch auf die ca. 40.000 politischen Gefangenen in türkischen Gefängnissen ein, die auch nach Verbüßung ihrer Strafe keine Chance auf Entlassung haben, weil sie ihr Bekenntnis zur Freiheitsbewegung nicht „bereuen“. In der türkischen Justiz herrsche ein Feindrecht, so die Referentin, und fordert: „Wir alle müssen das Sprachrohr der Gefangenen sein.“ Am Ende bleibt Yiğitalp trotz aller Schrecken kämpferisch: „Die Unterdrücker haben nicht aufgegeben. Wir auch nicht. Es geht um die kommenden Generationen.“

Mit dem Verweis auf die Tradition der deutsch-türkischen Freundschaft, die sich auch im Konsens der Kriminalisierung der Freiheitsbewegung manifestiert, leitet Murat Çakir über zum Referat von Kerem Schamberger. Dieser beginnt mit dem 1993 von Innenminister Manfred Kanther verfügten Betätigungsverbot für die PKK. Er weist auf den Zusammenhang zwischen diesem Verbot und deutschen Waffenlieferungen an die Türkei hin. Diese waren damals leichter zu rechtfertigen, wenn der PKK ein „Terror“-Stigma zugeschrieben wird. Seitdem hält die Kriminalisierung der Freiheitsbewegung an. Kurd:innen fliehen vor deutschen Waffen und erfahren in Deutschland wieder Repression und Verfolgung. Derzeit sitzen elf kurdische Aktivisten wegen §129b in deutschen Gefängnissen. An sie schickt Schamberger vom Podium aus Grüße, die das Publikum mit großem Applaus quittiert.

Danach werden die Auswirkungen des PKK-Verbots auf das Leben so vieler Kurd:innen in der deutschen Diaspora beschrieben: Einschüchterung, Hausdurchsuchungen, Ablehnung von Einbürgerungen, Aufenthaltsbeschränkungen, Meldepflicht, eine erschreckend geringe Rate von Asylanerkennungen, Abschiebungen, Zensur von Medien, und so weiter.

Schamberger appelliert, angesichts der ungebrochenen Repression den Geist des Widerstands beizubehalten und solidarisch zu sein mit der EU-weit größten Freiheitsbewegung. Murat Çakir fügt an dieser Stelle eine kleine Anekdote ein: Auf die Frage, welche Organisation in der EU am effektivsten arbeitete, habe ein hoher Beamter des Verfassungsschutzes geantwortet: „Das sind zweifelsfrei die Kurden. Gut für uns, dass sie sich nur für Kurdistan interessieren.“

Ahmet Yildirim schließlich bewertet die gesamtpolitische Lage im Nahen Osten und betont die Notwendigkeit einer Veränderung, die nicht ohne die Kurd:innen als die dynamischste Kraft in der Region erreicht werden kann. Der EU wirft Yildirim Arroganz und Doppelmoral vor. Die sogenannten Verfechter der Menschenrechte seien mitverantwortlich für die aktuellen Konflikte. Die kurdische Bewegung führe keinen Stellvertreterkrieg. Es gehe heute auch nicht um das Ziel eines eigenen Staates, sondern um einen Status. Nach über 40 Jahren Kampf sei es an der Zeit, nicht mehr die Rolle der „armen Unterdrückten“ zu spielen. Vielmehr ist Selbstbewusstsein angesagt. Die kurdische Bewegung habe ein klares, demokratisches Programm. Warum solle sich die HDP von den Zielen der PKK distanzieren?

Yildirim betont schließlich auch die Rolle der Kurd:innen in Europa. Entscheidend seien nicht Millionen von Euros. Was wirklich zähle, ist die Selbstorganisierung. „Eure Aktionen werden in Kurdistan wahrgenommen“, versichert der HDP‘ler. „Die Stärke des Volkes hinter uns gibt uns Kraft und Motivation. Jeder Beitrag von euch ist wichtig für die gesamte Bewegung.“

Am Samstag dann endeten die Kurdischen Kulturtage mit einem Open-Air-Konzert. Der kurdische Sänger Rotinda, dem es immer um die Bewahrung des kurdischen Kulturerbes ging und der vor allem seit seiner Tournee durch Rojava gefeiert wird, begeisterte das Publikum und animierte zum Mitsingen. Als er mit einem Lied die Guerilla grüßte, gab es kein Halten mehr.

Nach ihm betrat Hozan Canê die Bühne. Die kurdisch-deutsche Künstlerin war in den letzten Jahren vor allem durch ihre Verhaftung in der Türkei wegen „Terror“-Unterstützung und Präsidentenbeleidigung in den Schlagzeilen. Mit ihren Liedern in kurdischer Sprache rührte sie ihre Zuhörer:innen, und bald bildete sich ein großer Kreis zum gemeinsamen Halay.

Wieder einmal bewiesen die vier Festival-Tage in Nürnberg: Die kurdische Bewegung lebt – mit ihrer Kultur, mit dem Bekenntnis zu ihrer Identität und getragen durch die Kraft der Selbstorganisierung für ein Leben in Freiheit.