Fahndungsbefehl gegen Ferhat Tunç in der Türkei

Ein Istanbuler Gericht hat einen Fahndungsbefehl gegen den in Deutschland lebenden kurdischen Sänger Ferhat Tunç erlassen. Dem Künstler wird Beleidigung des ehemaligen Ministerpräsidenten vorgeworfen.

Ein Gericht in Istanbul hat einen Fahndungsbefehl gegen den kurdischen Künstler Ferhat Tunç erlassen. Mit der Maßnahme soll eine Aussage des in Deutschland lebenden Musikers in der Türkei erzwungen werden. Tunç ist angeklagt, den ehemaligen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım beleidigt zu haben. Verhandelt wird der Prozess an der 16. Strafkammer des Landgerichts Istanbul, am Donnerstag fand der vierte Verhandlungstag statt. Tunç war nicht angereist und ließ sich von seinem Verteidiger vertreten.

Festnahme bei Einreise möglich

Ferhat Tunç hat sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft. Grundlage des Verfahrens gegen ihn ist ein Beitrag im Kurznachrichtendienst Twitter aus dem Jahr 2016. Der 57-Jährige antwortete damals auf ein Zitat von Yıldırım, in dem es hieß, die HDP-Wählerschaft sei „enttäuscht“ von ihrer Partei und „traue sich nicht mehr auf die Straße“. Tunç konterte: „Diese Millionen, die ihre Stimme der HDP gaben, sind ehrenvolle Menschen, die sich im Gegensatz zu Dir nicht vor dem Diktator beugen.“ Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft sei mit dieser Aussage der Straftatbestand der Beleidigung erfüllt.

Für Ferhat Tunç bedeutet der Fahndungsbefehl, dass er festgenommen und verhört werden kann, sobald er in die Türkei einreist. Es ist nicht die erste Anordnung zur Festnahme gegen den Sänger. Die nächste Verhandlung soll am 17. März 2022 stattfinden.

Tunç in der Türkei bereits verurteilt

Der aus dem nordkurdischen Dersim stammende Künstler Ferhat Tunç, der als Jugendlicher nach Rüsselsheim kam, zählt zu den bekanntesten Vertreter:innen der Protestmusik. Seit Jahren setzt er sich für eine Lösung der kurdischen Frage und die Demokratisierung der Türkei ein. Mehrmals wurde er dafür in der Türkei angeklagt. Im September 2018 verurteilte ein Istanbuler Gericht den Künstler wegen „fortgesetzter Propaganda für eine terroristische Organisation“ zu knapp zwei Jahren Freiheitsstrafe. Tunç wurde unter anderem zum Vorwurf gemacht, an der Beerdigung des Anti-IS-Kämpfers Aziz Güler (Rasih Kurtuluş) teilgenommen zu haben. Weitere Prozesse wegen vermeintlicher Terrorpropaganda, Volksverhetzung und Beleidigung sind anhängig. Seit einigen Jahren lebt Tunç wieder ausschließlich in Deutschland, Anfang 2019 wurde er bei der Einreise in die Türkei vorübergehend festgenommen. Seit vergangenem Juli ist bekannt, dass sich sein Name auf der „Hinrichtungsliste“ mit den Namen von Exil-Oppositionellen gegen das Erdoğan-Regime befindet.