Erinnerungen am Leben erhalten: Vengdano

Baran Candemir ist ein Musiker in den Reihen der kurdischen Guerilla.

„Die Rückkehr in die Heimat ist die Aufgabe eines Revolutionärs. Es liegt an uns, zu unseren Wurzeln zurückzukehren und zu beweisen, dass die kurdische Kultur noch am Leben ist.“  Hozan Serhat

Kurden und Berge sind voneinander nicht wegzudenken. Nicht umsonst werden sie das Volk der Berge genannt. Und so haben sie ihren Namen auch von den Bergen, was auf Sumerisch „kur“ heißt. Diese Berge haben ihnen Jahrtausendelang ihren Schoß geöffnet und sie so vor Gefahren beschützt. Denn Gefahren sind stets Teil im Leben des kurdischen Volks gewesen. Stets sahen sie sich gezwungen, sich in den beschützenden Schoß der Berge zu begeben. Berge, deren Erde ihre Farbe vom vielen Blut, mit dem sie gewässert worden sind, erhalten haben.

Und auch heute vertraut sich dieses Volk, das zu den ältesten im Mittleren Osten gehört, im Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung seinen Bergen an. Dabei sind die Berge jedoch nicht nur Schauplatz für Gewalt, die bis an den Tod reicht. Zwar werden sie noch immer mit Blut gefärbt. Aber zugleich wird in diesen Bergen neues Leben geschaffen. Und eben dies macht die besondere Beziehung zwischen den Kurden und den Bergen aus. Während die Berge dem Volk einerseits ihren Schoß öffnen, wird hier neues Leben geschöpft.

Akteure dieses neuen Lebens sind Guerillakämpferinnen und Guerillakämpfer. Es sind Menschen, die aus den verschiedensten persönlichen Lebensumständen heraus sich auf den langen Weg zu den Bergen gemacht haben und dort mit der Waffe in der Hand für die Freiheit ihres Volks kämpfen. Manche sind seit 15, 20 oder mehr Jahren dort, manche erst seit kurzer Zeit. Manche sind aus gebirgigen Dörfern gekommen, manche aus den Zentren der Urbanisierung. Sie alle eint, dass sie dort einerseits mit der Waffe kämpfen, andererseits aber zugleich entsprechend ihrer gesellschaftlichen Ideale ein neues Lebensmodell aufbauen.

So auch Baran Candemir, ein Musiker in den Reihen der PKK-Guerilla.

Heval Barans Familie stammt aus Dersim. Dort verbrachte er auch seine Kindheit und Jugend. Doch als zu Beginn der 90er Jahre Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten auf der Tagesordnung des türkischen Staats standen, Folter und „außergerichtliche Tötungen“ zum alltäglichen Programm gehörten, Dörfer vom Militär angezündet und die Bevölkerung aus ihrer Heimat zwangsvertrieben wurde, verließ auch Heval Barans Familie ihr Heimatdorf und emigrierte ins Zentrum der Stadt.

Aber auch hier waren sie zahlreichen Repressalien des türkischen Staates ausgesetzt. Auch aufgrund des zunehmenden Drucks wegen wirtschaftlichen Schwierigkeiten entschied sich Heval Baran, nach Europa zu gehen.

In Europa angekommen wurde ihm sehr schnell klar, dass auch der Westen keine Lösung ist.

„Die Sehnsucht nach meiner Heimat nahm jeden Tag zu. Diese Intensität der Gefühle und Emotionen, die ich durch die Sehnsucht verspürte, brachten mich zur Musik. Anfänglich war es nur ein Hobby, doch als ich die kurdische Freiheitsbewegung und deren Ideologie kennen lernte, begann meine bis dahin eher persönliche Musik dem Kollektiv zu dienen. Sie erhielt einen sozialen Rahmen. Früher habe ich nur meine individuellen Gefühle vermittelt. Aber je mehr ich die Philosophie der PKK kennen lernte, umso mehr sozialisierte sich meine Musik im künstlerischen und intellektuellen Sinne.“

Die kurdische Musik dient dem Bewusstsein der kurdischen Identität, daher wird sie auch für politische Anliegen eingesetzt. Instrumente spielen eher eine untergeordnete Rolle, da im Zentrum der epischen Kunstform das Wort steht. Heval Barans Stück Vengdano ist ein Lied, das erinnert.

Es erinnert an Çiyagêr Hêvî, dem Helden des Widerstands von Sûr, der sagte: „Was auch immer passiert, es wird großartig enden”.

Es erinnert an Rêzan Erzurum und Brûsk Dersim, die ihre tiefe Verbundenheit mit dem kurdischen Volk zum Ausdruck brachten, als sie sich in Dersim opferten.

Und es ist eine Erinnerung daran, dass Gleichgültigkeit die schlimmste aller Haltungen ist. Dass wir, um etwas zu verändern, aktiv dafür etwas tun müssen. Das Bestehende zu verändern, ohne es zu bekämpfen, wird wohl kaum funktionieren.

„Die Jugend muss sich aus den Klauen des Systems befreien und sich der Philosophie Öcalans hingeben, sie lernen aber auch verstehen. Was ist eine demokratische Nation, wie funktioniert ein demokratisch-konföderales System? Ohne unsere Philosophie zu verstehen, wird ihnen unsere Kultur nicht begreiflich werden. Ohne der Grundlage unseres Bewusstseins, das sich erst durch den Kampf offenbart, werden sie die Kunst nicht fühlen. Dies wünsche ich mir von unseren jungen Menschen, insbesondere von der alevitischen Jugend Dersims. Vergesst nicht; der Völkermord von 1938 geht heute in einer anderen Form weiter.“

Mit Vengdano möchte Heval Baran die Erinnerungen an die Gefallenen am Leben erhalten. Und von der Jugend erwartet er: „Wende dein Gesicht deiner Führung, deinem Volk und deinen freien Bergen zu.”