Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat heute ihre Auflösung und das Ende des bewaffneten Kampfes verkündet – und den Tod von Ali Haydar Kaytan – Nom de Guerre Fuat – bekannt gegeben. Der Mitbegründer der kurdischen Befreiungsbewegung kam demnach am 3. Juli 2018 in den Medya-Verteidigungsgebieten ums Leben. In einem Nachruf der PKK auf den Revolutionär heißt es:
Ali Haydar Kaytan stand immer an vorderster Front unseres langen Weges. Ein Leben, das vom Streben geprägt war, jedem Moment Bedeutung zu verleihen. Ein Vorreiter, geformt durch seine Treue zum Wort.
Er war Politiker, Guerillero, Intellektueller, Dichter – doch vor allem: ein Kämpfer für die Wahrheit.
Die Zeit, die die Welt atmet, ist voller Spuren
Zeit kann leise vergehen –
oder erfüllt vom Streben nach Sinn.
Wer seiner Zeit Sinn verleiht,
hinterlässt Geschichten für kommende Generationen.
Wer ein Leben lang der Wahrheit nachgeht,
wird zu einem Derwisch, der zur Zeit spricht.
Und was von ihnen bleibt,
ist tief in die Zeit selbst eingeschrieben.
Die jüngste Geschichte der Kurd:innen – die letzten fünfzig Jahre – ist ein Mosaik aus Erinnerungen, Kämpfen und Geschichten, eingegraben in die Erde, ins Gewissen, in das kollektive Gedächtnis. Geschichten voller Würde, Aufopferung und Widerstand. Und unter ihnen ragt die Geschichte von Ali Haydar Kaytan heraus – als einer ihrer bedeutendsten Träger.
Ein Gründer, ein Führender, ein Leben in völliger Hingabe.
Ein Derwisch, alt wie die Zeit, getrieben von der Suche nach Wahrheit.
Ein Ritter vergangener Zeiten, der zu den Waffen griff für das Heilige.
Ein Guerillero, der in die Berge zog für ein freies Leben.
Ein leidenschaftlicher Revolutionär, der den verlorenen Schlüssel zu den Bergen fand und ihn seinem Volk zurückgab.
Völkermord, Zwangsumsiedlung, Armut
Ali Haydar Kaytan wurde in der Silvesternacht 1951 im Dorf Xozu bei Dersim geboren. Seine Familie stammte aus dem Dorf Hengirvan und wurde nach dem Dersim-Genozid von 1937/38 zwangsumgesiedelt, kehrte später jedoch zurück.
Er entstammte dem Haydaran-Stamm – einem Stamm, der sich im Angesicht der Massaker nicht ergab, sondern bewaffnet Widerstand leistete und ins Exil getrieben wurde.
Seine Kindheit war geprägt von Armut und Härte.
1971 begegnete er an der Fakultät für Politikwissenschaften in Ankara erstmals der revolutionären Bewegung. Über diese Jahre sagte er später:
„Das war für mich die Phase vor dem eigentlichen revolutionären Bewusstsein. Die revolutionäre Jugendbewegung war in den 70er Jahren sehr aktiv. Namen wie Deniz Gezmiş und Mahir Çayan waren Symbole. Ich hatte noch nicht direkt Kontakt mit dem Vorsitzenden (Abdullah Öcalan), aber ich hörte von ihm. Er war einer der besten Studenten. Nach einer Protestaktion wurde er verhaftet und saß sieben Monate im Militärgefängnis von Mamak. Kurz nach seiner Entlassung haben wir uns kennengelernt. Er sagte, er wolle mit mir sprechen – es wurde ein Gespräch von zwei, drei Stunden, das mich mit der Realität Kurdistans konfrontierte.“
Das Treffen am Çubuk-Staudamm
Dieses Gespräch war der erste Schritt auf Ali Haydar Kaytans Weg der Wahrheitssuche. Bald lernte er auch Kemal Pir und Haki Karer kennen:
„Es war Ende März oder Anfang April 1973. In der Nähe des Çubuk-Staudamms trafen sich einige Freunde. Der Vorsitzende legte seine Sichtweise dar, und wir alle stimmten zu. Er erklärte offen, dass wir als ideologische Gruppe arbeiten würden, und übertrug uns jeweils Aufgaben – jede:r von uns sollte neue Mitglieder gewinnen.“
Ab diesem Punkt wuchs die Gruppe der Apoisten stetig. Im April 1977 begannen die Aktivitäten in Kurdistan. Ali Haydar Kaytan organisierte sich in Dersim, Çewlîg (Bingöl), Dep (Karakoçan) und Xarpêt (Elazığ), teils auch in Dîlok (Gaziantep) mit Haki Karer. Als Karer am 18. Mai 1977 ermordet wurde, stand die Gruppe am Scheideweg:
„Hakis Tod erschütterte uns zutiefst. Der Vorsitzende ließ mir eine Notiz zukommen: Ich sollte zu seinem Gedenken einen Text schreiben. Der wurde in ganz Kurdistan verbreitet. Der Vorsitzende war entschlossen, dass Hakis Tod nicht folgenlos bleiben dürfe. Aber über das Wie dachte er anders als wir – er suchte nach einem tieferen, organisierten Weg. Daraus entstand letztlich die Entscheidung zur Parteigründung.“
Gründungsmitglied der PKK
Ali Haydar Kaytan war direkt an den Vorbereitungen der Parteigründung beteiligt. Zusammen mit Abdullah Öcalan, Kemal Pir, Mazlum Doğan und Mehmet Hayri Durmuş arbeitete er am Programm. Das erste Vorbereitungstreffen fand in Xarpêt statt, wo Kaytan in das militärische Komitee gewählt wurde.
Am 27. November 1978 fand der Gründungskongress der PKK statt. Damit gehörte Ali Haydar Kaytan zur Gründergeneration der Bewegung, die die kurdische Geschichte der letzten fünf Jahrzehnte prägen sollte.
Der Kampf für Freiheit – ein Atemzug über 45 Jahre hinweg.
Ali Haydar Kaytan war immer in den vordersten Reihen.
Mit ungebrochener Leidenschaft, Entschlossenheit und Treue.
Ein Leben im Streben nach Sinn,
ein Vorreiter, geprägt von Treue zum Wort.
Ein Politiker, ein Guerillero, ein Intellektueller, ein Dichter –
doch vor allem: ein Kämpfer für die Wahrheit.