Der Metropolit Johanna Ibrahim empfing am 22. April 2013 den aus der Türkei zurückgekehrten Metropoliten Pavlos Yazigi am Grenzübergang Bab al-Hawa. Im Fahrzeug befand sich außerdem noch der Fahrer Fathalla Kabud und eine Person namens Fuad Eliya. Auf dem Weg nach Aleppo passierten sie einen etwa 20 Kilometer von der Grenze entfernten FSA-Kontrollpunkt ohne Probleme. Kurze Zeit später wurde ihnen der Weg von bewaffneten Männern abgeschnitten. Die acht Personen holten den Fahrer und Fuad Eliya aus dem Fahrzeug und verschleppten die beiden Metropoliten. Der Kopf der Entführergruppe war der Dagestaner Magomed Abdurahmanov, der den Codenamen Abu Banat benutzt.
Zu diesem Zeitpunkt war der Islamische Staat (IS) noch nicht aktiv und al-Nusra stark im Feld. Das wichtigste Durchreisezentrum für die Anhänger der Organisationen war die Türkei. Die Dschihadisten konnten sich entspannt von einer auf die andere Seite der türkisch-syrischen Grenze bewegen. Die AKP-Regierung hatte die Grenze zwischen der Türkei und Syrien zu einem der aktivsten Durchreisekorridore für Dschihadisten gemacht.
Die Ergreifung Abu Banats
Verantwortliche der türkischen Regierung, allen voran der damalige Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu, hatten damals immer wieder erklärt: „Wir wissen, dass die Metropoliten am Leben sind. Ihre Rettung ist nur noch eine Frage von Momenten.“ Die Realität sah jedoch ganz anders aus. Während diese Erklärung gemacht wurde, wurde der Entführer der beiden religiösen Führer, Abu Banat, in der Türkei festgenommen, verhört und im Stillen wegen einer anderen Straftat inhaftiert. Abu Banat war insbesondere durch seine Enthauptungsvideos bekannt geworden, die in den ersten Kriegsjahren für große Aufmerksamkeit sorgten. Der erste Chemiewaffen-Angriff, das Massaker von Khan al-Assal, soll ebenfalls von der Abu-Banat-Gruppe begangen worden sein. Abu Banat ist ein Kriegsverbrecher, der für viele Gräueltaten verantwortlich zeichnet.
Die USA und die UN haben ihn auf die Terrorliste genommen, Russland hat ein Verfahren eröffnet
Die türkische Regierung bemühte sich durch ihr Schweigen dieses Thema vergessen zu machen. Genau zu dieser Zeit setzten die USA Abu Banat auf ihre Terrorliste. Danach wurde er vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ebenfalls auf die Liste der gesuchten internationalen Terroristen gesetzt. Zu dieser Zeit begann auch Russland zu ermitteln. Dagestan forderte die Auslieferung Banats.
Abu Banat räumte in seiner polizeilichen Vernehmung seine Rolle in den Enthauptungsvideos ein und erklärte, dass so etwas jeden Freitag stattfinde, um die „Ungläubigen“ zu bestrafen. Auf Nachfrage im Gericht zu den Enthauptungsvideos sagt er aus: „Das auf dem Bild bin ich. Als dieses Bild gemacht wurde, kämpfte ich gegen die Soldaten Baschar al-Assads."
MIT gab Waffen und Geld
Abu Banat hat offen zugegeben, dass er mit dem MIT zusammenarbeitete. Auch vor Gericht erzählte Abu Banat detailliert von seinen Kontakten : „Als wir in Syrien waren, halfen der türkische Geheimdienst und wir uns gegenseitig. Der türkische Geheimdienst unterstützte uns mit Waffen, Fahrzeugen und Geld. Wir standen in ständiger Kommunikation mit dem türkischen Geheimdienst. Später haben sie sich nicht mehr gemeldet, auch als ich ihnen geschrieben habe. Weil wir gegen die Soldaten Assads gekämpft haben, hat uns die Türkei unterstützt.“
Obwohl Abu Banat Enthauptungen zugegeben hat, hat das türkische Justizministerium einer Anklage wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ nicht zugestimmt und eine Auslieferung an die betreffenden Länder verweigert. Der Prozess gegen Abu Banat wurde wie ein gewöhnlicher Prozess wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation geführt und Banat wurde wegen Mitgliedschaft in der al-Qaida mit einer Strafminderung wegen guter Führung zu sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Schon bei der ersten Anhörung forderte einer der Richter seine Freilassung.
Der Anwalt Erkan Metin hat lange Zeit den Fall der entführten Metropoliten untersucht und sich intensiv mit der Akte Banat beschäftigt. Die Untersuchung des aramäischen Anwalts ergab, dass die Metropoliten von Abu Banat an eine Bombe gebunden und so ermordet worden waren. Er sagt: „Der türkische Staat schützt die Mörder dieser religiösen Vertreter.“
ANF sprach mit dem Anwalt Erkan Metin über den Mord an den Klerikern.
Wie hat der Syrienkrieg das Leben der Suryoye verändert?
Syrien ist ein Land, dessen Name von den Suryoye stammt. Es ist ein Land, das durch die Geschichte hinweg durch die Arbeit der Suryoye maßgeblich aufgebaut wurde. In diesem Sinne stellen die Suryoye und ihre Institutionen eine sehr wichtige Komponente der Gesellschaft dar. Mit dem Krieg begann eine massive Fluchtbewegung. Insbesondere die christliche Bevölkerung geriet ins Visier der dschihadistischen, faschistischen Organisationen. Es fanden viele Massaker, Massenentführungen und Kirchenzerstörungen in fast täglichem Rhythmus statt. Wir können sagen, dass die Suryoye in ihrem historischen Mutterland an den Rand der Vernichtung gebracht worden sind.
Welche Bedeutung haben die beiden Metropoliten für die orthodoxe Gemeinde?
Die Metropoliten sind die höchste Instanz unter der Patriarchen. Der Metropolit Johanna Ibrahim wurde in der syrisch-orthodoxen Kirche als zukünftiger Patriarch angesehen. Er wurde sehr geliebt. Er arbeitete viel für seine Kirche und sein Volk. Der Metropolit Pavlos Yazigi ist der Bruder des aktuellen Patriarchen der Griechisch-Orthodoxen Kirche von Antakya. Er hatte eine Gemeinde, die von Iskenderun bis Aleppo reichte und war ebenfalls sehr beliebt und von großer Bedeutung. Beide Personen waren für ihre Gemeinden Intellektuelle, Führer und Vorbilder.
Nun sind fünf Jahre seit ihrer Entführung vergangen. Wie ist der aktuelle Stand? Welche Informationen gibt es über den Aufenthaltsort der Metropoliten?
Die beiden Metropoliten wurden am 22. April 2013, als sie vom Grenzübergang Bab al-Hawa nach Aleppo unterwegs waren, entführt. Sie wollten sich mit Mittelsmännern treffen, um zwei Anfang des Jahres entführte armenische Kleriker zu retten. Als sie mit dem Auto unterwegs waren, wurden sie von einer kaukasischen Dschihadistengruppe gestoppt. Nach meinen Ermittlungen handelte es sich um eine vom Dschihadisten aus Dagestan, Abu Banat, angeführte Gruppe, die die beiden Metropoliten entführt hat. Von den Entführten gibt es bis heute kein Lebenszeichen. Bei solchen Ereignissen zielt man eigentlich auf Lösegeld oder einen Austausch ab, aber es gab keine Forderung, keine Nachricht. Bei meiner Untersuchung habe ich festgestellt, dass es in einem Text auf der offiziellen Website des Emirats Kaukasien hieß, dass die Metropoliten kurz nach ihrer Entführung von Abu Banat an eine Bombe gebunden und getötet wurden. Nach fünf Jahren halte ich die Wahrscheinlichkeit für hoch, dass diese Informationen korrekt sind.
Hat sich die aramäische Gemeinde deswegen an die USA oder Russland gewandt?
Ich habe das Ereignis aus kriminalistischer Perspektive mit rationalen Methoden behandelt und untersucht. Das hat mich zu konkreten Ergebnissen geführt. Die Einrichtungen der Suryoye haben alle diplomatischen Wege genutzt und von jedem Staat, der Interesse an der Region hat, Hilfe gefordert. Zu dieser Zeit wurde sich ebenfalls an den US-Präsidenten Obama und den russischen Staatspräsidenten Putin gewandt. Aber es gab kein konkretes Ergebnis. Abu Banat, von dem ich denke, dass er die Metropoliten entführt und höchstwahrscheinlich ermordet hat, ist immer noch in der Türkei nur wegen Mitgliedschaft in der al-Qaida inhaftiert. Wenn die Türkei eine wirksame und objektive Untersuchung anstellen und Abu Banat zu diesem Thema vernehmen würde, dann könnte die Möglichkeit entstehen, konkrete Ergebnisse zum Schicksal der beiden zu erhalten. Aber in dieser Hinsicht wurde kein einziger Schritt unternommen.
Der damalige Außenminister Ahmet Davutoğlu hatte gesagt: „Wir wissen, dass sie leben, ihre Rettung ist eine Frage von Momenten.“ Auch der ehemalige Justizminister Sadullah Ergin hatte behauptet, es gebe Verhandlungen über ihre Freilassung. Mit wem haben die türkischen Behörden damals verhandelt?
Die türkische Regierung kannte alle aus verschiedenen Ländern „importierten oppositionellen“ Gruppen. Wie wir es in Abu Banats Prozessakte zu seiner Al-Qaida-Mitgliedschaft sehen konnten, wusste die Regierung schon vom ersten Moment an, dass Abu Banat hinter der Entführung der Metropoliten stand. Nur zog es die türkische Regierung angesichts des psychopathischen Gewaltschauspiels, mit dem Abu Banat die Metropoliten in seinem Hauptquartier ermordete, vor zu behaupten, dass sie am Leben seien, anstatt die Wahrheit an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Viele haben im Syrienkrieg versucht, verschiedene christliche Kreise auf ihre Seite zu ziehen, um einen Anschein des Pluralismus zu erwecken und sich selbst Legitimität zu verschaffen. Deswegen haben wir immer wieder die Behauptung gehört, sie seien noch am Leben. Nach den Ergebnissen meiner Untersuchungen wurde diese Behauptung durch Schweigen ersetzt. Denn ich hatte herausgefunden, dass Abu Banat, als sie dies behaupteten, schon inhaftiert war und im Protokoll bekannt gegeben hatte, dass er die Metropoliten entführt hatte. Das bedeutet, dass sie diese Informationen vor der Öffentlichkeit verheimlicht hatten.
Warum wurde es vom Justizministerium nicht erlaubt Abu Banat, der ja in der polizeilichen Vernehmung die Enthauptungen zugegeben hatte, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuklagen? Warum wird Abu Banat geschützt?
Das Justizministerium hat erklärt, dass es sich dabei um eine innere Angelegenheit Syriens handelt. Es führte ein paar Gesetze zu Schwierigkeiten bei der Sammlung von Spuren an und hat so die Eröffnung einer Ermittlung verhindert. Wenn es eine solche Ermittlung gegeben hätte, dann wäre es möglich gewesen, jede Person, die in Syrien Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat, aufgrund dieser Handlungen in der Türkei zu verurteilen. Das wäre auch im Namen der Menschheit und der Gerechtigkeit das Richtige. Das hätte aber dazu geführt, dass die Politik Davutoğlus in Syrien in sich selbst zusammengestürzt wäre, und dass wollten sie nicht. Es ist wahrhaft furchtbar, dass diejenigen, die dorthin gegangen sind, die dort Kinder und Erwachsene abgeschlachtet und geköpft haben, so als wäre nichts gewesen, frei herumlaufen. Leider hat die Menschlichkeit ein weiteres Mal verloren.
Wie läuft die Ermittlung im Moment in den USA?
Über die in den USA andauernde Ermittlung zu den Entführungen weiß ich aus der Akte von Abu Banat. Ich weiß, dass von der Türkei eine Aussage angefordert worden ist, aber wie es weiterging, weiß ich nicht. Im Jahr 2014 wurde Abu Banat auf die Terrorliste der Vereinten Nationen gesetzt.
Es ist bekannt, dass es hierzu auch eine Forderung aus Russland gab. Gibt es in dieser Hinsicht eine Entwicklung?
Auch Russland hat gegen Abu Banat eine Terrorermittlung eingeleitet und fordert Banats Auslieferung. Es gibt auch in Dagestan eine Ermittlung gegen diese Person und seine Freunde. Gegen andere, die mit ihm zusammen aufgegriffen wurden, läuft auch in Ägypten ein Verfahren.
Wann kommt Abu Banat aus dem Gefängnis? Kommt er überhaupt raus? Wird er dann an Russland oder Dagestan ausgeliefert?
Das Urteil, in dem Abu Banat wegen Al-Qaida-Mitgliedschaft sieben Jahre und sechs Monate Strafe erhalten hat, liegt immer noch beim Kassationsgerichtshof. Wenn das Urteil widerrufen wird, dann kommt er höchstwahrscheinlich frei. Wenn es bestätigt wird, kommt er aufgrund des Vollzugsgesetzes ebenfalls frei. Was nach dem Gefängnis passiert, liegt im Dunkeln. Er kann ausgeliefert oder abgeschoben werden. Oder er kann aufgrund eines Asylgesuchs unter juristischer Aufsicht in der Türkei bleiben. Was sein wird, ist unklar.
Menschen aus der aramäischen Gemeinde, die ich in Europa getroffen habe, meinen, dass die Metropoliten immer noch am Leben sein könnten. Sind Sie auch dieser Meinung?
Hoffnungslosigkeit ist nie gut. Aber um bei diesem Ereignis hoffen zu können, braucht es weitere konkrete Schritte und Hinweise. Es gibt eine konkrete Möglichkeit herauszufinden, ob die Metropoliten noch am Leben sind oder nicht: Es muss eine wirksame Ermittlung gegen Abu Banat eröffnet werden. Diese Person kennt höchstwahrscheinlich die Antwort. An Stelle von Hoffnung oder Hoffnungslosigkeit wäre es richtiger, vom türkischen Staat zu fordern, dass er eine wirksame Ermittlung einleitet. Aber wenn weiter Zeit verstreicht, wird es diese Möglichkeit nicht mehr geben.