Die bewaffneten Organisationen, die heute auf dem Boden Syriens präsent sind, haben sich im Laufe der Zeit entwickelt. Sie können nicht ausschließlich durch den Kalten Krieg und die Entwicklungen in Afghanistan erklärt werden.
Die Vereinigten Staaten von Amerika setzten während des Kalten Krieges die Strategie der Schaffung eines „Grünen Gürtels“ als geopolitisches Mittel gegen die Sowjetunion ein. Diese Strategie zielte darauf ab, radikale dschihadistische Gruppen auf globaler Ebene zu stärken und ihnen Macht zu verleihen. Diese dschihadistischen Gruppen spielten eine entscheidende Rolle bei der Destabilisierung und Schwächung vieler Staaten im Nahen Osten. Die Taliban wurden in Afghanistan zum Unterdrücker, und HTS (Hayat Tahrir al-Sham) übernahm kürzlich die Kontrolle über Damaskus in Syrien.
Erste Ära: Der Kalte Krieg und die Entstehung von Al-Qaida
Die Ereignisse, die heute Realität sind, begannen 1979. Die Sowjetunion schickte in diesem Jahr auf Anfrage der afghanischen Regierung Truppen nach Afghanistan. Zbigniew Brzeziński, der damalige Sicherheitsberater des US-Präsidenten Jimmy Carter, sagte derzeit: „Wir begannen sechs Monate vor der sowjetischen Invasion geheime Operationen, mit dem Ziel die Aufständischen zu unterstützen. Meiner Erinnerung nach, legte ich dem Präsidenten Carter einen Bericht vor und sagte, dass wir den Sowjets in Afghanistan auf die gleiche Weise wie in Vietnam begegnen können.“
Al-Qaida als Symbol für den weltweiten Dschihad
Am 6. Februar 1983 besuchte der Präsident der Vereinigten Staaten Ronald Reagan das Büro der „Afghanischen Freiheitskämpfer“. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bekämpfte die USA die Mudschaheddin, die sie selbst ausgebildet hatte. Al-Qaida wurde unter der Führung von Osama bin Laden basierend auf einer anti-kommunistischen Ideologie gegründet. Diese Organisation sollte zu einem Symbol für den weltweiten Dschihad werden.
Der elfte September als Wendepunkt
Zweifellos waren die Anschläge vom 11. September ein bedeutender Wendepunkt. Die Vereinigten Staaten führten danach gemeinsam mit Großbritannien Krieg in Afghanistan und im Irak, um gegen den Terrorismus zu kämpfen, und Dschihad-Gruppen breiteten sich weltweit aus.
Der Jordanier Abu Musab al-Zarqawi weitete in den 1990er Jahren die Gewalt Al-Qaidas noch weiter aus. Unter al-Zarqawis Führung operierte die Organisation im Irak und in Jordanien.
Al-Qaida und „ISIS“
Al-Qaida brachte später den selbsternannten Islamischen Staat im Irak und Syrien (ISIS) hervor. Zarqawi wurde 2006 bei einem US-amerikanischen Luftangriff nahe der Stadt Baquba getötet. Darauffolgend übernahm Abu Umar al-Baghdadi die Führung der Gruppe und entwickelte die Idee eines islamischen Staates.
Zweite Ära: Der Arabische Frühling und die Expansion von „ISIS“
Nach dem Tod von Abu Umar al-Baghdadi übernahm Abu Bakr al-Baghdadi die Führung. 2011 weitete sich die Gruppe nach Ostsyrien aus. Al-Qaida im Irak hatte sich 2013 in „Islamischer Staat im Irak und Syrien“ (ISIS) umbenannt. ISIS eroberte große Teile von Irak und Syrien, rief 2014 das Kalifat aus und nannte sich fortan „Islamischer Staat“ (IS). Zu dieser Zeit verfügte die Gruppe über rund 50.000 Söldner. Als die Organisation mit Unterstützung der Türkei versuchte, nach Damaskus auch Kobanê zu erobern, leisteten die Kurd:innen Widerstand. Der Widerstand erlangte weltweite Aufmerksamkeit, und die USA begannen mit Luftangriffen gegen den IS. In dieser Zeit wurden unter der Führung der YPG und YPJ die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) gegründet, die mit der Internationalen Anti-IS-Koalition unter US-amerikanischer Führung die vom IS besetzten Gebiete befreiten.
Dritte Ära: Die Abspaltung Jolanis von ISIS und Al-Qaida
Abu Mohammad al-Jolani wurde 2011 aus dem Irak nach Syrien geschickt, um die Al-Nusra-Front aufzubauen, welche anfangs eine Al-Qaida-Zelle in Syrien war. Unter der Führung von Jolani wuchs sie schnell. Diese neue Organisation führte über 500 Bombenanschläge durch und kreierte eine schreckliche Welle der Gewalt.
Fokus Syrien
2013 kam es zu einem Konflikt zwischen Jolani (al-Nusra-Front) und al-Baghdadi (ISIS). Der Grund dafür waren ideologische und strategische Differenzen, da ISIS ideologisch den Dschihad insgesamt fokussierte, während al-Nusra die syrischen Gebiete in den Mittelpunkt stellte. Jolani distanzierte sich von ISIS, leistete seinen Schwur für al-Nusra, und setzte die eigenständige Existenz von al-Nusra in Syrien fort. Er erklärte, dass seine Gruppe fortan als „Jabhat Fatah al-Sham“ agieren würde und keinerlei Verbindungen mehr zu den anderen Organisationen habe. Jabhat Fatah al-Sham schloss sich 2017 mit anderen kleineren islamistischen Gruppen zu HTS zusammen.
Vormachtstellung in Idlib
Jolani strebte danach, seine Gruppe von der Beschuldigung des Terrorismus’ zu befreien. HTS begann in dieser Phase im Nordwesten Syriens gegen das syrische Regime zu kämpfen. Obwohl der Al-Qaida-Führer Ayman al-Zawahiri die Abspaltung kritisierte, erklärte Jolani, die Gegebenheiten in der Region erforderten eine neue Strategie.
Mit dieser Strategie baute Jolani eine dschihadistische Vormachtstellung in der Provinz Idlib auf. HTS herrschte hier de facto seit Jahren als Regionalmacht. Mit Zustimmung der internationalen Kräfte endete diese Entwicklung unerwartet in der Machtergreifung Jolanis in Damaskus.
Anderer Name und neue Maske
Al-Jolani sucht seit dem Sturz Assads öffentliche Legitimität und nahm seinem bürgerlichen Namen Ahmed al-Scharaa wieder an. Am 29. Januar ernannte er sich zum neuen Staatschef Syriens. Bis vor Kurzem war er einer der meistgesuchten Männer der Welt. Auf ihn war ein Kopfgeld von zehn Millionen US-Dollar ausgesetzt. Doch seither hofieren Minister des Nahen Ostens sowie des Westens den Interimspräsidenten, darunter auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock.
Vierte Ära: Der Fall des IS
Der letzte IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi wurde 2019 bei einer Operation der USA und QSD getötet. Im März 2019 wurde offiziell der militärische Sieg über den IS bekannt gegeben. Heute leben im Camp Hol etwa 70.000 radikale Dschihadisten und ihre Familien, die das Potenzial haben, eine neue Welle an Terroranschlägen zu initiieren. Das Lager steht unter der Kontrolle der QSD, doch aufgrund türkischer Angriffe ist es schwierig, die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen zu gewährleisten. Die andauernden Angriffe der Türkei stärken die Reste des IS und bieten die Möglichkeit seiner Wiederbelebung.
Überdies war und ist der selbsternannte Islamische Staat auch außerhalb des Nahen Ostens aktiv: Noch immer kontrolliert er heute kleinere Gebiete in asiatischen und afrikanischen Staaten.