Syrien: GfbV warnt vor Verharmlosung der Islamisten

Nach dem Sturz von Baschar al-Assad versprachen die neuen Machthaber Stabilität und Ruhe für Syrien. Doch Menschenrechtler:innen warnen vor dem Aufbau eines islamistischen Regimes.

HTS mordet und plündert

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) warnt vor einer Verharmlosung der neuen Machthaber in Syrien. Es gebe zunehmende Hinweise, dass diese ein islamistisches Regime errichten wollten, sagte der GfbV-Nahostreferent Kamal Sido am Dienstag in Göttingen. Deutsche Politikerinnen und Politiker stünden in der Verantwortung, sich ein umfassendes Bild zu machen, mahnte er.

Vor allem Angehörige von Minderheiten würden in Syrien durch die Übergangsregierung verfolgt und schikaniert, sagte Sido: „In Telefonaten mit Menschen in Damaskus erlebe ich immer wieder, dass sie Angst haben, sich kritisch über die islamistischen Machthaber zu äußern.“ Außerhalb von Damaskus sei die Lage oftmals noch angespannter.

HTS-Miliz mordet und plündert

Es häuften sich die Hinweise darauf, dass der Anführer der islamistischen HTS-Miliz, Ahmed al-Scharaa alias Abu Muhammad al-Dschaulani, der sich kürzlich zum Übergangspräsidenten Syriens erklärt hatte, seine Versprechen einer moderaten Regierungsführung nicht halte. „Vor allem in Gebieten wie in der Provinz Homs morden, entführen und plündern die HTS-Mitglieder“, warnte Sido. „Davon sind vor allem die dort lebenden Angehörigen der alawitischen Minderheit und christlicher Gemeinschaften betroffen.“

Berüchtigter Kriegsverbrecher nun Kommandeur in Hama

In der angrenzenden Provinz Hama, die ismaelitisch und christlich geprägt ist, hat al-Scharaa den Kriegsverbrecher Mohammad Hussein al-Jasim (alias Abu Amsha) zum Kommandeur der 25. Division ernannt. Er führte zuletzt die berüchtigte Miliz Sultan-Murad-Brigade an, die für zahlreiche Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung, Entführung, Raub und Plünderung vor allem in der besetzten kurdischen Efrîn-Region und anderen Gebieten Nordsyriens verantwortlich ist und auch im Angriffskrieg gegen das armenische Berg-Karabach eingesetzt wurde. Sido warnt eindringlich davor, dass die von Minderheiten bewohnten Ortschaften Hamas unter al-Jasim ähnlich wie Efrîn verwüstet und die Bevölkerung durch Plünderungen und Raubzüge in die Flucht getrieben wird.

Völkerrechtswidrige Angriffe benennen

„In Nordsyrien sind viele Gebiete weiterhin von der Türkei besetzt oder werden von der Türkei und von ihr finanzierten islamistischen Milizen angegriffen“, ergänzte Sido. „Wenn es um die Lage dort geht, müssten Politiker:innen und Journalist:innen deutlich benennen, dass diese Angriffe völkerrechtswidrig sind und dass die Türkei dort den ‚Islamischen Staat‘ (IS) und andere islamistische Gruppen stärkt, die nicht nur für Massenmorde an Minderheiten in der Region verantwortlich sind, sondern auch unsere Sicherheit in Deutschland gefährden“, sagte Sido.

Nach Assad-Regime nun islamistische Diktatur?

Eine Dschihadistenkoalition unter der Führung von Hayat Tahrir al-Sham (HTS) hatte Anfang Dezember das Regime des Präsidenten Baschar al-Assad gestürzt und den Völkern Syriens einen Neuanfang versprochen. Der Krieg in dem Land hatte 2011 mit einem Volksaufstand gegen Assad begonnen.  Mehr als eine halbe Million Menschen haben nach Schätzungen der Vereinten Nationen ihr Leben in dem Krieg verloren, rund 14 Millionen Syrerinnen und Syrer mussten ihre Heimat verlassen.