Verteidigung von Mumia Abu-Jamal: Wir wollen Freiheit

Die anarchistische Gruppe Sabot44 hat mit einem Aktivisten von FREE MUMIA Berlin über die aktuelle Situation Mumia Abu-Jamals, die Hintergründe seiner Inhaftierung und die heute beginnende Vortragsreise der Sprecherin seiner Verteidigung gesprochen.

Der Radiojournalist und Black-Power-Aktivist Mumia Abu-Jamal wurde 1982 in einem manipulierten und vielfach kritisierten Verfahren zum Tode verurteilt, 2011 wurde das Urteil auf Grund öffentlichen Drucks in lebenslange Haft umgewandelt. Er kämpft seit jeher gegen rassistische Polizeigewalt. Durch ein neu aufgerolltes Revisionsverfahren stehen die Chancen gut, dass sich seine Situation positiv verändern könnte.

Johanna Fernandez kommt nach Deutschland, um über den aktuellen Stand des Verfahrens zu informieren und über die Möglichkeiten seiner Befreiung zu sprechen. Die anarchistische Gruppe Sabot44 hat für ANF mit Markus von FREE MUMIA Berlin über die Bedeutung der Kämpfe, für die Mumia Abu-Jamal stellvertretend verurteilt wurde und darüber, warum dieser Mensch für den US-amerikanischen Staat so gefährlich ist, gesprochen.

Aus dem frühen Erleben rassistischer Polizeigewalt heraus wurde Mumia schon als Jugendlicher in Philadelphia Mitbegründer der Black Panther Party, berichtet Markus. „Sie entstand als Black-Power-Jugendbewegung, als Antikriegsbewegung und als antiimperialistische Bewegung mit Bezügen zu antikolonialen Befreiungskämpfen. Es wurde erkannt, dass in den USA ähnliche Unterdrückungsmechanismen griffen wie in den Kolonien. Die schwarze Bevölkerung lebte in inneren Kolonien.“ Ihre Kolonien waren die Großstadtghettos der USA, fügt Markus hinzu.

Die Antikriegsbewegung zu der Zeit kämpfte für das Ende des Vietnamkrieges, allerdings war das nie das einzige Ziel, wie es in der Geschichtsschreibung der Herrschenden oft erzählt wird. Sondern es wurden Verbindungen gezogen zu den Lebensrealitäten der unterdrückten Menschen in den USA. Sie haben Rassismus und den Krieg als Ausdruck eines Systems gesehen, dessen Grundlage eine ökonomische ist. Letztendlich wollte die Black-Power-Bewegung eine soziale Revolution in den USA.

Seit dem ersten Massaker an Indigenen und dem ersten Tag, als Menschen aus Afrika verschleppt wurden, gab es Gegenwehr. Die Wege, wie gekämpft wurde, waren dabei vielfältig - durch Community Organizing der Black Panther Party, bewaffnet in der Verteidigung gegen Polizeigewalt durch die Black Liberation Army oder durch große Protestaktionen und Bildung. Die in den 1960er Jahren entstandenen Gruppen haben den Communities neue Hoffnung gegeben.

Die Black Panther Party kritisierte den Weg der gewaltfreien Märsche der Bürgerrechtsbewegung. Für sie ließe sich durch das Hinhalten der anderen Wange keine langfristige Verbesserung der Lebensrealitäten erzielen, erklärt Markus den strategischen Unterschied zu vorangegangenen Kämpfen.

Sie wollten aber keine weitere hundert Jahre warten, sondern Veränderung im Hier und Jetzt erkämpfen. Und sie wussten, dass sie das nicht erreichen, indem sie an die Vernunft der weißen Mehrheitsgesellschaft appellierten. „Wir werden dafür sorgen, dass unser Leben besser wird, indem wir uns selbst helfen“ war die selbstbewusste Haltung der Black Panthers.

Der erste Satz aus dem Programm der Black Panther Party war „We want freedom“. „Eine Parole, die bis heute an Aktualität nichts eingebüßt hat“, so Markus. Laut Statistik des US-Justizministeriums von 2011 befinden sich heute mehr Afroamerikaner in Zwangsarbeit als 1865 bei Abschaffung der Sklaverei. Das ist ein Grund, warum die Knastfrage und die soziale Frage in den USA untrennbar miteinander verbunden sind. „Der Rassismus, also die White Supremacy, die sogenannte weiße Vorherrschaft, dient als Legitimation für all diese Repression und für die Existenz der Klassengesellschaft“, beschreibt Markus den über hunderte Jahre tief verwurzelten Rassismus, der eine wichtige Funktion im Kapitalismus einnimmt.

Mumia Abu-Jamal trat in den 70ern aus der Black Panther Party aus. Seine Waffe wurde das Schreiben, und so arbeitete er neben seiner Tätigkeit als Taxifahrer auch als Journalist. Er machte sich einen Namen, indem er neben seiner kritischen Berichterstattung Politikern, Richtern und Polizisten bei Pressekonferenzen vor laufender Kamera Fragen bezüglich Gewalt und Morden durch Polizisten stellte. Nachdem er einmal die Frage stellte, warum einem unbewaffneten Jugendlichen aus 15 Metern Entfernung aus Notwehr in den Rücken geschossen werden muss, zeigen Filmaufnahmen, wie der damalige Bürgermeister auf ihn zeigte und sagte: „Die Leute glauben das, was sie schreiben und das muss aufhören. Ich werde noch in meiner Amtszeit dafür sorgen, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden!“ Ein Jahr später wurde Mumia verhaftet.

Ein anderes Beispiel für seinen selbstbewussten und kritischen Journalismus ist sein Begleiten des Verfahrens um Move Nine. In dem Verfahren wurden neun Personen des Polizistenmordes bezichtigt. Mumia interviewte kurz nach der Verurteilung der Move Nine im Herbst ’78 den damaligen Richter in seiner Livesendung. Er fragte ihn, wie es sein kann, dass neun Menschen mit einer kaputten Waffe und einer Kugel gemeinsam einen Polizeibeamten erschossen haben sollen. Hierzu antwortete der Richter, entgegen aller demokratischen Standards im sogenannten ‚Land der Freiheit‘: „Move Nine haben sich im Prozess der Mitarbeit verweigert. Sie haben gesagt, sie seien eine revolutionäre Familie - ich habe sie wie eine Familie verurteilt.“ 1978 löste das noch einen Sturm der Entrüstung in den US-Medien aus, sagt Markus. Es hätte damals noch so etwas wie eine liberale Öffentlichkeit gegeben, die es heute weitestgehend nicht mehr gibt. Damals war dieser Sturm so stark, dass der Richter seinen Hut nehmen musste.

Bis zu seiner Verhaftung 1981 erhielt Mumia für seine Berichte zahlreiche Medienpreise und war Vorsitzender der afroamerikanischen Journalistenvereinigung. Das ist der Grund, warum Mumia für die lokale Politik im Bundesstaat von Pennsylvania so gefährlich wurde, denkt Markus. Er schrieb aber neben Polizeigewalt auch über soziale Fragen wie die Korruption im öffentlichen Wohnungsbau und stellte die herrschenden Autoritäten in Frage.

Die Black Panther Party und die schwarze Bürgerrechtsbewegung waren zu der Zeit eine wahrnehmbare Kraft in den USA und wurden den Herrschenden durch ihre öffentliche Präsenz gefährlich. Der damalige FBI-Präsident J. Edgar Hoover bezeichnete sie gar als die größte Gefahr für die innere Sicherheit der Vereinigten Staaten.

Die Taktik des Staates um auf die widerständigen Bewegungen zu reagieren, war ein geheimes FBI-Programm namens COINTELPRO (Counter Intellegence Program). Systematisch wurden politisch aktive Organisationen überwachet, gestört, diskreditiert und zermürbt. Dazu wurden vier Methoden angewandt: Unterwanderung (Spionage durch Informanten und Agenten), Psychoterror von außen mittels Medien (Desinformation), Verfolgung (Dissidenten mittels Falschaussagen als Kriminelle darstellen) und Gewaltanwendung.

Der Historiker Ward Churchill bilanziert die Auswirkungen des COINTELPRO auf die Black Panther Party mit der Einschätzung, dass „Ende 1969 mindestens 30 Panthern im Gefängnis die Todesstrafe und 40 lebenslange Haft drohte, 55 Panther Gefängnisstrafen von 30 Jahren oder mehr entgegen sahen und 155 in Folge von fabrizierten Anklagen gezwungen waren, in den Untergrund zu gehen oder zu exilieren.“

Mumia wurde in einem Konflikt zwischen seinem Bruder und der Polizei angeschossen, verhaftet und mit Hilfe von Falschaussagen des Mordes an einem Polizisten angeklagt. All dies konnte ihn nicht brechen. Freunde von damals bezeichnen sein Engagement als kompromiss- und furchtlos, trotz Repressionen.

Auch im Knast ist Mumia weiterhin journalistisch aktiv. Er verfasst regelmäßig Beiträge im Prison Radio, in denen er zu aktuellen Themen und Ereignissen spricht, wie erst kürzlich zu dem Angriffskrieg der Türkei auf Nord- und Ostsyrien. Außerdem hat er eine Reihe von Büchern geschrieben, die nicht nur vom Gefängnis handeln, sondern beispielsweise von der Kolonialisierung Nordamerikas und der Sklaverei. Er nimmt bei allem, was er schreibt, eine revolutionäre Perspektive ein, die Perspektive von unten. Ein Journalistenkollege äußerte sich zu der aktuellen Situation Mumias: „Wenn Mumia jemals frei kommen wird, dann hat er sich den Weg in die Freiheit erschrieben.“

Hier lässt sich ein Muster erkennen, wie Regierungen handeln, wenn Menschen sie in Frage stellen, die von der Gesellschaft gehört werden. Mumia wurde genau wie Leonard Peltier oder Abdullah Öcalan zur Gefahr für den Staat, zur Gefahr für dieses System. Und alle Drei lassen sich vom System nicht brechen, sondern führen ihren Kampf im Gefängnis weiter und haben solidarische Massen hinter sich, die sie nicht vergessen und alleine lassen.

Und das ist es auch, was die internationale Gefangenensolidarität so wichtig macht. Es zeigt den Herrschenden, dass wir die Gefangenen nicht im Stich und uns nicht brechen lassen. Markus schildert, dass der Knast nicht das Einzige ist, was wir auf dem Weg zu einer Befreiungsperspektive, überwinden müssen. „Aber er ist eine ihrer wesentlichen Säulen, genauso wie Armee und Polizei.“ Und er führt aus: „Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass diese Säulen in ihrer heutigen Form erst seit der Entstehung des Kapitalismus existieren. Es geht um Eigentumsfragen. Und es ging schon immer um die Frage, warum wir bereit sind, die Normen der bürgerlichen Klasse anzuerkennen, anstatt dagegen zu kämpfen und ein alternatives System aufzubauen.“

Im derzeitigen Stand des Prozesses gegen Mumia wird untersucht, ob der Staatsanwalt, der vor zwei Jahren mit 72 Prozent ins Amt gewählt wurde, aufgrund seiner Unterstützung für Black Lives Matter voreingenommen sein könnte. Ein sehr alter Richter soll das jetzt bis August untersuchen lassen. Für Markus ist das „eine Frechheit und eine so offensichtliche Wirkweise der White Supremacy“. Trotz Allem bleibt er optimistisch, dass wir, wenn Mumia das Ganze gesundheitlich übersteht, ihn in einigen Jahren auch mal hier in Deutschland begrüßen und solche Fragen mit ihm persönlich besprechen können. Markus verabschiedet sich mit den Worten: „Überlegt was ihr tun könnt, denn zu tun gibt es eine Menge!“ Dem können wir nur zustimmen.

Die Termine der Vortragsreise von Johanna Fernandez, Sprecherin der Verteidigung von Mumia Abu-Jamal, sind:

13. März 2020 20:00 - DAI Heidelberg, Sofienstr. 12, 69115 Heidelberg

16. März 2020 19:00 - Kulturzentrum Pavillon, Lister Meile 4, 30161 Hannover

17. März 2020 20:00 - Saalbau Gallus, Frankenallee 111/Raum 3, 60326 Frankfurt a.M.

18. März 2020 19:00 - Café Weltecho, Annaberger Str. 24, 09111 Chemnitz

19. März 2020 19:00 - Schule für Erwachsenenbildung (SfE) Gneisenaustr. 2A, 10961 Berlin

20. März 2020 19:00 - Dialog der Kulturen, Fürtherstr. 40a, 90489 Nürnberg

21. März 2020 19:00 - KulturLaden Westend, Ligsalzstr. 44, 80339 München

Weitere Infos und Hintergründe:

https://freethemallberlin.nostate.net/

http://www.freiheit-fuer-mumia.de/

http://www.mumia-hoerbuch.de/