Südkurdistan: Was steht hinter den Angriffen auf Tevgera Azadî?

Die Ereignisse der vergangenen Tage werfen die Frage: „Was passiert eigentlich in Südkurdistan?“ auf. Man überzieht die Büros einer nach irakischem Recht gegründeten und an Wahlen teilnehmenden Partei mit Razzien und versucht sie, zu schließen.

Die Ereignisse der vergangenen Tage werfen zurecht die Frage auf: „Was passiert eigentlich in Südkurdistan?“. Man überzieht die Büros einer nach irakischem Recht gegründeten und an Wahlen teilnehmenden Partei mit Razzien und versucht sie, zu schließen. Seyit Evran geht in seiner Analyse für ANF der Frage nach den Hintergründen der Angriffe auf die Bewegung für eine freie Gesellschaft in Kurdistan (Tevgera Azadiya Civaka Kurdistan) nach und betrachtet diese im Kontext der Beziehungen zwischen der PDK-Regierung und der Türkei.

Der stellvertretende Ministerpräsident der südkurdischen Regionalregierung Qubad Talabani hatte am 25. November erklärt, dass die Zentralen alle Parteien, Organisationen und Einrichtungen, die über keine Genehmigung des Innenministeriums verfügen, geschlossen werden. Daraufhin umzingelte am 27. November die Asayisch die Zentrale von Tevgera Azadî. Bei dem 27. November handelte es sich nicht um ein willkürlich gewähltes Datum. Der 27. November ist der Gründungstag der Arbeiterpartei Kurdistans. Dies zeigt deutlich den Charakter der Umstellung der Zentrale von Tevgera Azadî als eine Botschaft an die kurdische Freiheitsbewegung. Neben der Zentrale wurden Razzien in den Büros in Ranya, Qeladizê, Kelar, Kifri und Koye durchgeführt. Als Grund wurde eine fehlende Genehmigung angeführt (Diese Parteibüros wurden mittlerweile geschlossen). Tevgera Azadî hatte bereits vor drei Jahren und zehn Monaten bei der Regionalregierung eine offizielle Anerkennung beantragt. Allerdings gab es darauf bisher keine Antwort. Zuletzt wurde ein Antrag bei der irakischen Regierung eingereicht. Dieser ist im vergangenen Jahr angenommen worden. Die Tevgera Azadî veranstaltete daraufhin einen Kongress und bereitete ihre Teilnahme an den Wahlen für das irakische Parlament vor. Bei den Wahlen am 12. Mai trat sie auf der Liste der Bewegung der Neuen Generation (Nifşê Nû) an. Diese errang einen Sitz im irakischen Parlament. Nun werden die Räumlichkeiten dieser Partei durchsucht und unter dem Vorwand, sie sei offiziell nicht anerkannt geschlossen. Die Frage, die sich hier stellt ist; gelten die irakischen Gesetze in Südkurdistan nicht? Ist eine Partei, die im Irak offiziell anerkannt ist, in Südkurdistan nicht anerkannt? Natürlich ist dazu die Regionalregierung eine Antwort schuldig. So wird die Repression gegen Tevgera Azadî und die Schließung ihrer Büros vor die Gerichte des Iraks gebracht werden. 

Man muss die Entscheidung zur Schließung der Tevgera-Azadî-Büros im Zusammenhang mit den am 30. September abgehaltenen Wahlen betrachten. Zusammen mit der Entscheidung war von der PDK erklärt worden, dass Tevgera Azadî nicht an den Wahlen teilnehmen könne, da sie in Hewlêr über keine offizielle Anerkennung verfüge. Die von Hewlêr getroffene Entscheidung ist keine juristische, sondern eine von Grund auf politische Entscheidung. Es handelt sich um eine Entscheidung, die der türkische Staat und Recep Tayyip Erdoğan hat Neçirvan Barzanî treffen lassen. Deshalb handelt es sich bei den Angriffen auf die Tevgera Azadî nicht lediglich um eine Entscheidung, die am 25. November getroffen und am 27. November umgesetzt wurde.

Während die Türkei auf der Grundlage der ökonomischen und politischen Zusammenarbeit die PDK diese und ähnliche Entscheidungen immer wieder treffen lässt, hat die YNK lange Zeit solche Entscheidungen nicht mitgetragen. Deshalb haben die AKP und Erdoğan beschlossen, Südkurdistan weiter zu spalten.

Die Ergebnisse des Referendums

Um den Süden zu teilen, die PDK, die YNK und alle kurdischen Parteien gegeneinander aufzubringen und wenn möglich, gegeneinander kämpfen zu lassen, haben die AKP und Erdoğan äußerst schmutzige Taktiken angewandt. Eine dieser Taktiken war das wegen des Unabhängigkeitsreferendum erwirkte Embargo. Während der Flughafen von Hewlêr nach der Luftraumsperrung wieder öffnete, blieb der Flughafen von Silêmanî (Sulaimaniya) geschlossen, um die YNK zu bestrafen. Als Grund dafür wurde auch die Anwesenheit einiger demokratischer Institutionen wie Tevgera Azadî angeführt. Dennoch wurzelte die spalterische Haltung Erdoğans und des türkischen Staats gegenüber Silêmanî nicht in der Anwesenheit dieser Institutionen. Die Bevölkerung von Silêmanî hat zu der Invasion des türkischen Staates in Rojava und seine Massaker wie auch die Bevölkerung der von der PDK beherrschten Region nicht geschwiegen. Die Menschen gingen auf die Straße, veranstalteten Kundgebungen und viele Aktionen. Während dies ein Grund der Politik Erdoğans und des türkischen Staates gegenüber Silêmanî ist, liegt die eigentliche Ursache bereits im Jahr 2003, in der sogenannten Sackaffäre, als türkische Soldaten in zivil von den USA gefangen genommen und mit Säcken über dem Kopf abgeführt und verhört worden waren. Das man hierfür Rache nehmen wolle, wurde immer wieder in den Presseorganen der türkischen Regierung verlautbart. An der Sackaffäre waren auch der Verantwortliche für Spezialkräfte Pavel Talabani und Lahur Talabani beteiligt. Die Türkei äußerte bei jeder Gelegenheit, dass man sich dafür rächen wolle. Der eigentliche Grund für die Nichtöffnung des Flughafens von Silêmanî ist nicht die Anwesenheit von Tevgera Azadî und anderen demokratischen Institutionen gewesen, sondern weil Silêmanî und die YNK nicht auf die feindliche Linie der Türkei gebracht werden konnte.

Dabei muss man im Bewusstsein behalten, dass die Schließung des Flughafens nicht die Anwesenheit dieser Institutionen zum Anlass hatte. Sie war als Teil des Embargos, das als Folge des von Mesud Barzanî erzwungenen und für die Kurd*innen äußerst verlustreichen Referendums über Südkurdistan verhängt wurde. Nun hat sich die YNK dazu entschlossen, Tevgera Azadî und die anderen demokratischen Einrichtungen zur Handelsware zu machen. Natürlich ist an diesem Handel mit der Türkei auch die an der Seite des Erdoğan-Regimes stehende PDK beteiligt. Insofern muss man die Schließung der Büros vollständig als Ergebnis des Drucks von Erdoğan und der PDK interpretieren.

Was sagt uns die Umsetzung durch die YNK?

Auch wenn die Entscheidung durch die Türkei getroffen wurde, so ist die PDK mindestens ebenso verantwortlich. Die PDK gibt den Ton in der Regionalregierung an und ihre Entscheidung, die Tevgera Azadî nicht an den Regionalwahlen zuzulassen, ist den Razzien und Büroschließungen vorrausgegangen. Obwohl die Entscheidung bei ihnen lag, wird so getan, als wäre diese von der YNK getroffen worden. Das ist Teil des schmutzigen Spiels. Qubad Talabani hat diese Entscheidung als stellvertretender Ministerpräsident der Regionalregierung bekannt gegeben, nicht als YNK-Führer. Obwohl in der Erklärung kein Name irgendeiner Organisation genannt wurde, war in der PDK-Presse sofort die Rede von einem „24 Stunden-Ultimatum der YNK für Einrichtungen der PKK“. Es wurde also so agiert, als ob es keine Entscheidung der Regierung, sondern eine Entscheidung der YNK gegen die kurdische Freiheitsbewegung gewesen sei. Es sollte so aussehen, als wäre die PDK gar nicht beteiligt. So sollen YNK und die kurdische Freiheitsbewegung gegeneinander in Stellung gebracht werden. Die PDK hatte am Donnerstag ein Treffen mit turkmenischen Vertretern und dem türkischen Botschafter Hakan Karaçay. Nach dem Treffen wies Karaçay ebenfalls der YNK die Verantwortung für die Entscheidung zu. Beide benutzten die gleiche Sprache und verfolgen die gleichen Ziele. Zu diesen gehört es, die kurdischen Parteien und Organisationen gegeneinander in Stellung zu bringen.

Da diese Entscheidung schon lange Zeit zuvor getroffen wurde, ist die Umsetzung zu diesem Zeitpunkt auffällig. Die Entscheidung folgt der US-Fahndung nach drei Führungskadern der PKK und zeigt, dass man die YNK in diesen schmutzigen Plan hineinziehen möchte. Unter diesem Gesichtspunkt wird deutlich, dass der Plan sehr umfassend ist und man versucht, weitere Kräfte, Parteien und Organisationen miteinzubeziehen. Wenn man diese Entscheidung als eine gegen die kurdische Freiheitsbewegung oder richtiger, gegen eine demokratische Partei, Organisationen und Einrichtungen gerichtet sieht, dann wird deutlich, dass sie eigentlich auch gegen die Partei, die man diese Entscheidung vor allem umsetzen lässt, gerichtet ist. So wird offensichtlich, dass die Türkei begonnen hat, in die Regierungsbildung in Südkurdistan zu intervenieren. Vor zwei Tagen hatte der türkische Botschafter Hakan Karaçay erklärt, dass man die turkmenischen Parteien in die Regierungsbildung einschließen müsse. Diese Parteien agieren in Südkurdistan als Agenten der türkischen Spezialkriegspolitik. Die Forderungen der Turkmenen, an Stelle von Qubad Talabani das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten einzunehmen zeigen, dass es darum geht, die YNK zu zerschlagen. Die Umsetzung der Entscheidung hat ebenfalls in der Basis der YNK für Unruhe gesorgt. Daneben haben sich Nifşê Nû, die Gorran-Bewegung, Islami Yekgurtû und einige weitere Organisation gegen diese rechtswidrige Praxis gestellt. Nicht nur die Parteien, auch demokratische Einrichtungen und Institutionen haben eine nach der anderen ihre Unzufriedenheit mit der Repression und den Folgen der Entscheidung - auch für sie selbst - zum Ausdruck gebracht. Natürlich sind die Intellektuellen, die Schriftsteller*innen und Künstler*innen in der Kulturmetropole Südkurdistans, Silêmanî, besonders besorgt. Durch diese Unzufriedenheit wird die YNK auf kurz oder lang große Verluste einfahren. Wenn man dies alles zusammenfasst, dann begreift man, dass diese Entscheidung von Grund auf falsch war, sie die Besatzungsambitionen der Türkei stützt und weit jenseits von demokratischer Politik steht. Es gibt jetzt schon Anzeichen dafür, dass die Razzien, die Blockade von Parteizentralen und Büros bald eine massive Reaktion hervorrufen werden.