Schutzsuchende als Opfer des Ausnahmezustands

Die COVID-19-Pandemie hat insbesondere für Schutzsuchende gravierende Folgen. Einerseits sind sie in Massenlagern und durch schlechte sanitäre Bedingungen von Ansteckung bedroht, andererseits werden ihre Rechte durch Grenzschließungen ausgehebelt.

Vor dem Hintergrund der globalen Ausbreitung des Coronavirus ergreifen Staaten weltweit Schutzmaßnahmen und fordern ihre Bevölkerungen zum „social distancing“ auf. Tiefgreifende Eingriffe in Grundrechte wie dem Recht auf Freizügigkeit bis hin zu Ausgangssperren werden zur Bekämpfung der Pandemie in Kauf genommen. Die Grenzen der Europäischen Union (EU) wurden weitgehend für Bürgerinnen und Bürger von Nicht-EU-Staaten geschlossen und auch innerhalb Europas hat unter anderem Deutschland seine Grenzen nach Österreich, Frankreich, Luxemburg, Dänemark und der Schweiz weitgehend geschlossen. Am 17. März erklärte Bundesinnenminister Seehofer: „Drittstaatsangehörige, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, werden an der Grenze zurückgewiesen, wenn kein dringender Einreisegrund vorliegt.“

Aussetzung von Resettlement-Programmen führt zu humanitärer Katastrophe

Diese Maßnahmen betreffen Schutzsuchende massiv. So gab das Bundesministerium des Inneren bereits jetzt bekannt, Ansiedlungsprogramme, sogenannte Resettlement-Programme für Schutzsuchende zu stoppen. Dies betrifft insbesondere Schutzsuchende in der Türkei, dem Libanon und Libyen. Also Menschen, die unter katastrophalen und oft auch lebensbedrohlichen Bedingungen im Krieg in Libyen, in Massenlagern im Libanon oder als Ausgebeutete und Ausgegrenzte in der Türkei leben müssen. Zu diesen „Alltagsgefahren“ kommt nun auch die Pandemie hinzu. Viele der Schutzsuchenden sind aufgrund der Bedingungen akut geschwächt und damit für einen schweren Verlauf einer Corona-Erkrankung prädestiniert. NGOs warnen und fordern eine Evakuierung dieser Personen.

Lebensgefahr in den griechischen Hotspots

Aber auch die Verteilung von Schutzsuchenden innerhalb der EU ist weitgehend blockiert. In den Hotspots auf den griechischen Inseln sind Schutzsuchende gezwungen, auf engstem Raum zusammenzuleben. Zur Problematik der zentralen Unterbringung kommen medizinische Versorgungsprobleme durch signifikante Überbelegung hinzu. So befinden sich beispielsweise im „Hotspot” Moria auf der griechischen Insel Lesbos etwa 20.000 Personen, obwohl das Lager über eine Maximalkapazität von 3.000 verfügt. Der „Hotspot“ Vathy auf Samos ist für 646 Menschen ausgelegt, ist aber mit 7575 Menschen mehr als zehnfach überbelegt.

Ein Corona-Ausbruch in den Hotspots würde wie ein Booster für die Pandemie wirken. Nur eine Auflösung der Hotspots und eine Verteilung der Schutzsuchenden kann eine vollständige Eskalation der humanitären Katastrophe auf den griechischen Inseln verhindern.

Zentrale Unterbringung Bedrohung für Schutzsuchende in Deutschland

Vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie zeigt sich eine vergleichbare Problematik in Lagern, Abschiebegefängnissen, Anker-Zentren und anderen Formen der zentralen Unterbringung in Deutschland. Die Worte der Bundeskanzlerin: „Wir müssen aus Rücksicht voneinander Abstand halten. Der Rat der Virologen ist ja eindeutig: Kein Handschlag mehr, gründlich und oft die Hände waschen, mindestens eineinhalb Meter Abstand zum Nächsten und am besten kaum noch Kontakte zu den ganz Alten, weil sie eben besonders gefährdet sind“, scheinen für Schutzsuchende nicht zu gelten.

Keine Prävention im Ankerzentrum Bamberg

Ein Beispiel ist die Situation im Ankerzentrum Bamberg. In einem offenen Brief an die bayerische Landesregierung warnen die Bamberger „Mahnwache Asyl“, das Netzwerk Bildung und Asyl, Freund statt Fremd e.V. und die Interreligiöse Fraueninitiative vor den Zuständen in dem berüchtigten Lager. Sie schreiben: „Während überall darauf hingewiesen wird, soziale Kontakte weitestgehend einzuschränken und massive Versammlungsverbote ausgesprochen werden, scheint es in der ANKER-Einrichtung bisher kaum Vorsichtsmaßnahmen zu geben.

Weiterhin wird das Essen (Stand 18. März 2020) in der Kantine mit weit über 1000 Menschen eingenommen. Die Möglichkeit, Abstand zu halten, gibt es dabei nicht. Es gibt keine Aufklärung über ein richtiges Verhalten (richtiges Händewaschen, Abstandhalten, in die Armbeuge niesen) in Piktogrammen und mehreren Sprachen.

Diese sind längst von den Flüchtlingsorganisationen erstellt worden und zugänglich. Außerdem fehlt es an ausreichenden Wasch- und Desinfektionsmöglichkeiten. Auch warten die BewohnerInnen weiterhin zur Ausgabe von Sachleistungen für längere Zeit in Menschenansammlungen.

Die Schule und Deutschkurse wurden abgesagt, auch ehrenamtliche Flüchtlingsorganisationen wie Freund statt fremd (Spielzimmer und Cafe Willkommen) mussten ihre Arbeit einstellen, Asylsozialberatungen finden nur noch telefonisch statt. Das Sozialamt ist für den Publikumsverkehr geschlossen, Taschengeldauszahlungen finden nicht statt. Verunsicherung und Angst wachsen unter den BewohnerInnen. Die Unterbringung auf engstem Raum ohne Privatsphäre verstärkt die Unsicherheit noch.

Die Zentrale Ausländerbehörde in der ANKER-Einrichtung ist auch für viele Flüchtlinge, die außerhalb der ANKER-Einrichtung untergebracht sind, zuständig. Bei der Verlängerung von Ausweisen und anderen Pflichten sind Fristen einzuhalten, die direkte Auswirkungen auf den Asylstatus haben. Es gibt keine Informationen für die Betroffenen mit praktikablen Lösungen Kontakt zu den Ämtern zu halten. Daraus darf niemandem ein Nachteil entstehen.

Seit Inbetriebnahme der Anker-Einrichtungen weisen Flüchtlingsorganisationen auf die mögliche schnelle Krankheitsausbreitung in solchen Zentren hin. Wenn ein Corona-Fall in einer Einrichtung unter diesen Umständen auftritt, ist eine Ausbreitung in großem Maß unvermeidlich. Dazu kommt, dass unter den BewohnerInnen eine große Anzahl einer Risikogruppe zuzuordnen ist, für die mit einem schweren Krankheitsverlauf gerechnet werden muss. Dies alles stellt eine große Gefahr für die BewohnerInnen dar und gefährdet die gesamte Bamberger Bevölkerung.“

Die Initiativen warnen: „Leider zeigt sich hier erneut, dass Massenunterkünfte wie die ANKER-Einrichtung in Bamberg Probleme deutlich verschärfen. Sie verhindern Integration, sind kostenintensiv, wirken sich negativ auf die psycho-soziale Situation von Geflüchteten aus („Lagerkoller“) und schaffen neue Konfliktpotentiale. In der jetzigen Situation gefährden ANKER-Einrichtungen die Gesundheit von den BewohnerInnen, den MitarbeiterInnen und allen BürgerInnen, für die Sie Verantwortung tragen.“

Suhl: Erstaufnahme in Quarantäne – Bundeswehr angefragt

In der Erstaufnahme Suhl sitzen seit dem Wochenende 533 Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Quarantäne, nachdem am Freitagabend ein Bewohner positiv auf das Coronavirus getestet worden war. Die Quarantäne gilt mindestens 14 Tage. Die Schutzsuchenden leben auf engstem Raum zusammen und sind nun in der Erstaufnahme eingeschlossen. Die oft traumatisierten Flüchtlinge wurden nicht ausreichend informiert und es kam zu Polizeiübergriffen, als verzweifelte Schutzsuchende versuchten, die Quarantäne zu durchbrechen. Statt die Schutzsuchende richtig zu informieren und in kleinen Gruppen in Quarantäne unterzubringen, werden sie so der Gefahr vollständiger Ansteckung ausgesetzt. Die Bundeswehr ist wegen der Corona-Krise vom Land Thüringen gebeten worden, in einer Unterkunft für Asylbewerber in Suhl Unterstützung zu leisten. Die Bewohner der Einrichtung stehen unter Quarantäne. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sagte am Donnerstag in Berlin: „Wir haben zum Beispiel eine konkrete Anfrage aus Thüringen, da geht es auch um den Einsatz unserer Kräfte in einer Aufnahmeunterkunft, die im Moment mit allen Bewohnerinnen und Bewohnern unter Quarantäne steht und wo die zivilen Kräfte, also die privaten Sicherungsdienste, eben auch im Moment nicht so verfügbar sind.“ Begonnen hat dieser Einsatz aber noch nicht.

Zentrale Unterbringung gescheitert

Die Covid-19-Krise macht klar, was Menschenrechtler und Schutzsuchende schon lange wissen. Das Konzept der zentralen Unterbringung ist nicht nur unmenschlich und integrationsfeindlich, sondern auch praktisch gescheitert. Es müssen nun die Konsequenzen gezogen werden und die Schutzsuchenden schnellstmöglich dezentral verteilt werden. Angefangen werden muss dabei mit den vulnerabelsten Gruppen.

Jelpke: Es darf keine Aussetzung von Grundrechten und Humanität geben

Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, erklärte in diesem Zusammenhang: „Durch die Schließung der EU-Grenzen für Nicht-EU-Bürger und die praktische Abschottung einzelner EU-Staaten ist auch die Inanspruchnahme des Rechts auf Asyl praktisch unmöglich geworden. Ein Grundrecht muss aber garantiert werden, daher fordere ich Asylverfahren an deutschen Botschaften möglich zu machen und Schutzsuchenden sichere Wege nach Europa zu öffnen. Für Humanität und Grundrechte darf es keine Pause geben! Die Corona-Krise darf nicht dazu benutzt werden, um die Festung Europa weiter abzuschotten, stattdessen müssen endlich die Elendslager auf den griechischen Inseln aufgelöst und die Bewohner evakuiert werden. Angesichts der katastrophalen hygienischen Bedingungen dort bringt ihr weiterer Verbleib in den Lagern die Schutzsuchenden in Lebensgefahr und bewirkt langfristig eine Ausbreitung der Pandemie. Die Schutzsuchenden müssen dezentral und menschenwürdig in verschiedenen europäischen Staaten untergebracht werden. Als erster Schritt muss sofort mit der Evakuierung und Verteilung der Minderjährigen begonnen werden.“