„Rojava ist die Kunst des Widerstands“

Weltweit solidarisieren sich Menschen der verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen mit dem Widerstand von Rojava gegen die Invasion der Türkei und ihrer Dschihadistenmilizen.

Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt zeigen sich mit Rojava solidarisch und verurteilen die türkischen Angriffe auf Nordostsyrien. Intellektuelle und Künstler*innen an den verschiedensten Orten sind von Rojava inspiriert und stellen sich an die Seite des Widerstands. So beschreibt der nigrische Dichter und Autor Hawad die Parallelen zwischen Kurden und Tuareg, die Dichterin Anastassia Politi aus Griechenland schrieb ein Gedicht und die Vertreterin der Kabyler, Soraya Sough, sowie der Generalsekretär der Sozialistischen Partei Malaysias, Sivarajan Arumugam, gaben Solidaritätserklärungen ab.

Hawad: „Im Geiste auch in Ketten frei sein“

Hawad, manchmal auch Mahmoudan Hawad genannt, ist ein Tuareg-Dichter und Schriftsteller, der in der Aïr-Region von Niger geboren wurde und in Frankreich lebt. Er schreibt: „Wenn eine Nation sich am Boden des Abgrunds befindet, was könnte sie dazu bringen, sich so zu fühlen, als ob sie existierte? Nach meiner persönlichen Erfahrung ist es der Abgrund selbst. Wenn wir von einer Situation, mit ihren Bezügen, die wir mit unseren Eltern, unserem Volk, unserer Kultur teilen, überwältigt werden, dann wird unsere Erfahrung mit etwas Schrecklichem erweitert, dem Schmerz, auf niemanden zählen zu können, nicht einmal auf das eigene. Wenn wir uns in das Leid der eigenen Leute und von uns selbst stürzen, wenn wir akzeptieren, zu sagen, dass es unser Schmerz ist ‒ ich spreche nicht von Masochismus ‒, dass dieses Schicksal unser Schicksal ist, dass dieses Schicksal nach einer Weile aufhören muss, uns zu überwältigen, dann werden wir es überwinden. Der Weg in diese Richtung beginnt mit der Kunst, dem Denken, der Poesie, hier wird die schwere Aufgabe, sich um sich selbst und seinen Schmerz zu kümmern, bewältigt.

Ein Kurde, ein Tuareg, allein am Grund des Abgrunds, ohne einen Begleiter, ohne einen Verbündeten, der keine Hoffnung hat, auch nicht in seine Gesellschaft, der darf die Hoffnung in sich selbst nicht verlieren. Widerstand sehe ich nicht nur als Kampf mit der Waffe in der Hand gegenüber der Dampfwalze der Türken, Syrer, Iraker, Iraner, nein, Widerstand heißt für mich auch, sich selbst zu widerstehen, nicht die Idee des „Besiegtwerdens“ zu akzeptieren. Der Widerstand durch die Phantasie ist der erbittertste Widerstand, weil sie den Widerstand weiterträgt und befruchtet, er ist fokussiert, fest und er nährt diejenigen, die aushalten, aber er ist auch eine Ressource für andere, die ihn erfassen können. Dieser Widerstand, der aus dieser Einöde entsteht, diese Hoffnung an sich, wenn alle Hoffnung ausgetrocknet ist, wenn wir am Boden des Abgrunds sind, kann von keiner Armee besiegt werden, sie können Kurden und Tuareg gefangen nehmen, sie in kleine Stücke zerhacken, aber jedes kleine Stückchen eines Kurden oder eines Tuareg nährt eine Poesie des Widerstands, eine Selbstliebe, die nicht nur emotional, sondern auch künstlerisch ist, es ist ein Zustand des Selbst, der Leben und Tod überwunden hat. Das ist die Kraft der Imagination. Für mich gibt es keine Vorstellungskraft, außer die durch das verstärkt wird, was ich den poetischen Heldenmut nenne, der jede Situation zu seiner eigenen macht. Es ist nicht leicht, ein ganzes Volk über den Abgrund zu bringen, indem man sich auf einen so zerbrechlichen Stab stützt. Aber die Individuen, die sich durch ihre Vorstellungskraft bis hinter die Sonne katapultieren, sind diejenigen, die der Zeit trotzen, die durch Stürme gehen. Ihr Blick und ihre Entschlossenheit sind ansteckend, denn sie sterben nicht. Die Kurden oder wir Tuareg und andere Völker, die sich in dieser Lage befinden, wir sollten keine Angst vor unserem Schmerz haben. Unser Anliegen wird nicht sterben. Kurdische Frauen und Männer, die nur mit ihren Körpern bewaffnet vor türkischen Panzern stehen, haben die ganze Welt zum Erzittern gebracht. Auch wenn die Welt feige ist und ihnen nicht hilft, sie sind in den Herzen und in den Augen aller. Wir müssen die Entmutigung überwinden. Das Anliegen der Kurdinnen und Kurden ist wie andere poetische Anliegen, sie hängen nicht von den Launen der Alliierten und kleinen Siegen über die Staaten ab. Nein, das Entscheidende ist es, zu existieren und an die Kurden zu glauben, an das, wer sie sind und vor allem, was sie sein wollen, der Kurde, als den sie sich schaffen wollen, der Kurde, der sich weigert und immer weigern wird, Sklave der anderen oder der Kurden selbst zu sein. Diese Freiheit werden sie nicht zerstören und es sind diejenigen, die darauf aus sind, sie zu zerstören, die sich selbst zerstören.

Aber natürlich dürfen wir, die Kurden oder die Tuareg, von unseren Handlungen, unseren Bemühungen und sogar unserer Phantasie nicht verlangen, dass sie uns sofort Früchte bringen. Wir bitten nicht um irgendeinen Vorteil, außer dem, das Selbst, das wir vervollkommnen und über alle Niederlagen, alle Katastrophen und Zerstörungen bestehen lassen wollen, nicht zu vergessen. Wenn der gegnerische Panzer ins Trudeln kommt und leckt, muss man manchmal wie ein Torero sein können und zur Seite treten und ihn in den Abgrund unserer Vorstellung fallen zu lassen, in den Abgrund eines jeden Mannes und einer jeden Frau, die wirklich an die Poesie ihrer Sache und ihres Schmerzes glauben. Wir haben die Debatte über diese Poesie des Widerstandes erst begonnen, des Widerstandes durch den Geist, der nein zum nein, nein zur Zerstörung, nein zur Herrschaft sagt. Sie werden mir sagen: aber wir werden beherrscht. Selbst in Ketten, wenn wir uns in unseren Köpfen weigern, ein Sklave zu sein, werden wir nie Sklaven sein. Diejenigen, die glauben, keine Kette zu tragen, sind in Wirklichkeit die Sklaven. Die Kunst, die ich hier beschreibe, ist es, selbst eingesperrt im Geiste frei zu sein. Wir am Grund des Abgrunds haben diese überragende Form der Freiheit vollkommen.“

Türkei ist sich der Straflosigkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit bewusst“

Soraya Sough, Mitglied der Leitung der Bewegung für die Selbstbestimmung der Kabylei (MAK), Barcelona, Spanien erklärt: „Die kurdischen Kräfte befinden sich allein auf dem Schlachtfeld und sehen sich einer weiteren illegalen und ungerechtfertigten Offensive der Türkei in Nordsyrien gegenüber, nachdem sie jahrelang gegen den selbsternannten Islamischen Staat und vor ihm gegen al-Qaida gekämpft haben. Der Angriff Ankaras auf das kurdische Volk wäre ohne den Rückzug der US-amerikanischen Truppen aus den Grenzgebieten nicht möglich gewesen. Die Offensive ermöglichte es den türkischen Streitkräften und ihren syrischen Hilfstruppen, einen fast 120 Kilometer langen Grenzstreifen zu erobern, der von der Stadt Tall Abyad (Girê Spî) bis westlich von Ras al-Ain (Serêkaniyê) reicht. Wir können gerade eine regelrechte Vernichtung der Kurden durch Vertreibung beobachten. Sie werden durch arabische Flüchtlinge, die sich in der Türkei aufhalten, ersetzt. Eine solche Strategie hat einen Namen: Ethnische Säuberung! Leider ist sich die Türkei sehr wohl darüber bewusst, dass diese Verbrechen gegen Minderheit ungestraft bleiben, der Völkermord am armenischen Volk (1915‒1917) ist eine ständige Erinnerung an uns alle.

Mehr als 11.000 Kurden starben beim Kampf gegen den IS. Der Kampf, der es ermöglichte, ihn zu besiegen und Europa vor Tausenden von Dschihadisten zu bewahren, die sich noch immer auf syrischem Gebiet aufhalten und damit verhindert wird, dass sie weitere Angriffe überall in Europa verüben.

Der Kampf gegen den IS in Kurdistan hat ein größeres Maß an Einheit zwischen den Schiiten, Sunniten und Kurden hervorgebracht. Der gemeinsam vereinbarte Gesellschaftsvertrag stellt eine Sicherheit dar, dem kurdischen Volk sowie den anderen Minderheiten auf dem Territorium und der internationalen Gemeinschaft dauerhaften Frieden zu bringen.

Die Geschichte des permanenten und mutigen Kampfes des kurdischen Volkes um sein Überleben spiegelt das existenzielle Dilemma der kurdischen Intellektuellen und Denker perfekt wider: „Kollaboration oder Genozid an unserem Volk?“

Es ist höchste Zeit, diese Angriffe zu stoppen, und es wird nur möglich auf der Grundlage der Einigung der verschiedenen kurdischen politischen, kulturellen, religiösen und militärischen Fraktionen sein.

Das kurdische Volk hat im Laufe seiner Geschichte seine Stärke, seinen Mut und seine Fähigkeit zur Anpassung an die schlimmsten Verbrechen und die denkbaren Lebensbedingungen bewiesen. Es führt Kämpfe, die die Welt fasziniert haben und alle zum Respekt nötigen: die Schlacht von Kobanê, die Schlacht von Şengal ... sollten nicht die einzigen Siege des tapferen kurdischen Volkes sein. Die weiteren sollten die Verwirklichung ihres Projektes für eine friedliche Gesellschaft, die Erhaltung der Umwelt, den Schutz der Sprachen, Bräuche und Religionen der Vorfahren, die aus Mesopotamien stammen und auch ein Erbe der Menschheit sind, sein.“

PSM: „Stehen an der Seite Rojavas“

Sivarajan Arumugam, Generalsekretär der Sozialistischen Partei Malaysias (PSM), Kuala Lumpur, Malaysia, schreibt: „Wir von der Sozialistischen Partei Malaysias sind zutiefst besorgt über die Situation in Rojava, da die von Erdoğan geführte türkische Regierung ihre Aggression gegen Rojava und seine Bevölkerung fortgesetzt hat. Trotz der Waffenstillstandsvereinbarungen haben die türkischen Streitkräfte ihre Angriffe auf die für einen Waffenstillstand vorgesehenen Gebiete Nordsyriens weitergeführt.

Die militärische Aggression der türkischen Streitkräfte ist ein Versuch, einen Völkermord an dem kurdischen Volk in der Region zu begehen und die radikaldemokratische und egalitäre soziale Revolution in Rojava zu zerstören.

Die Revolution von Rojava ist ein Leuchtturm der Hoffnung, nicht nur für das kurdische Volk, das seit vielen Jahren in der Region unterdrückt wird, sondern auch für Menschen aus allen Gesellschaftsschichten in der Region des Mittleren Ostens. Die Bemühungen, eine demokratische, antikapitalistische, emanzipatorische, feministische und egalitäre Gesellschaft in Rojava aufzubauen, bieten eine Alternative zu den unterdrückenden und despotischen Regimes in der Region. Dies hat das Unbehagen des autokratischen Regimes von Erdoğan in der Türkei hervorgerufen.

Die Menschen in Rojava und ihre Revolution für eine bessere Gesellschaft verdienen unsere Solidarität in der ganzen Welt. Wir stehen an der Seite des Volkes von Rojava und widersetzen uns der anhaltenden Aggression der antidemokratischen Kräfte.“

Gedicht für Rojava

Anastassia Politi, Regisseurin, Schauspielerin und Politikberaterin, übersandte an Stelle eines Statements ein Gedicht für Rojava. Wir haben das Gedicht in der englischen Sprache belassen.

ROJAVA

Rojava
Your name
to the consonances
of rose
Strange name
promising
luminous

Rojava

Your girls
to the eyes of hinds
with black hair
holding in hand
defense weapons
and the defense of the
"civilized" world
assaulted by the monster
that he himself gave birth

Amazons
galloping
smile on the lips
going to fight
to save our lives
Flowers bloom then
in their blood

Rojava

Our freedom
has the price
of your sacrifice

Rojava

Your mountains
free as your heavens
stars
your rivers
impossible to follow
your children
men and women
from all horizons
hope blowers
in the surrounding darkness
splinters of beauty
in the ugliness of the world

Rojava

Country of promises
dreaming of
inclusion
of love
respect
harmony
justice

Country where the woman
contemplates the nature
as well as the man
in the public space
in order to take
her right place
the one deserved

Rojava

your guardian angels
to the girls hair
fought
pushed away
mafia demons

Rojava

Exhilarating land
exalted fields
congratulated on having saved
lambs of the wolf

Now
Rojava
thrown in prey
to the wolves
by his own allies
cynics
perverted
criminals

Rojava

Your time is the proof
that innocence
is not of the world
of the powerful

Rojava

A universe collapses
under the yoke of ingratitude
profit
forgetfulness
But never darkness
is stronger than the sun

Rojava

You are light
The whole planet
without knowing
is following you

The crual
the ungrateful
the thieves
the murderers of the peoples
assault you
want to see you down on your kneels

The iron hand
of the tyrant
oppresses you hardly
the Sultan
can not see
your women
outside of closed session
in forbidden harems
so he declared the war

Rojava

you are in
my heart

My sister
my child
I lament
in front of your rubble
do not forget you

Thank you

Your sacrifice is not vainHe made us grow
fed with hope
with faith
you forces us
to raise our eyes

he faces revealed
hoisting our vertebrae
aspiring up
where another century lives.