Konicz: Erdogan-Regime nimmt Frieden als Bedrohung wahr

„Frieden für Kurdistan und Freiheit für Öcalan haben in der Türkei nur dann eine Perspektive, wenn die AKP entmachtet wird - oder wenn sie vom Krieg gegen die kurdische Bewegung nicht mehr politisch profitiert”, sagt der Journalist Tomasz Konicz.

Die anhaltende Isolation von Abdullah Öcalan im türkischen Inselgefängnis Imrali rückt eine politische Lösung der kurdischen Frage in die Ferne. Die Sondergesetze und Regelungen, die den abgeschotteten PKK-Vordenker und damit den Repräsentanten von Millionen Kurdinnen und Kurden betreffen, gelten als Maßstab für die Kurdenpolitik des Erdoğan-Regimes und haben damit unmittelbare Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. Das Festhalten der Regierung in Ankara am Haftregime auf Imrali und die auf Krieg und Konflikte ausgelegte Eskalationspolitik hat die Türkei in eine autokratische Diktatur verwandelt. Das Schweigen der internationalen Gemeinschaft, insbesondere Europas, legitimiert die Regierungsmethode Isolation der AKP.

Der Journalist und Publizist Tomasz Konicz, der sich mit wirtschaftlichen Krisen im realexistierenden Kapitalismus und Ideologiekritik beschäftigt und regelmäßig für „neues deutschland“, „konkret“ und „Telepolis“ schreibt, hat sich Fragen einer Kurzinterview-Reihe zum Thema Öcalan und Isolation gestellt.

Herr Konicz, warum schweigen die europäischen Staaten zu der Isolation auf Imrali?

Das Schweigen der europäischen Länder, insbesondere Deutschlands, ist macht- und geopolitisch motiviert. Die Türkei ist für Berlin ein enger regionaler Verbündeter, der eine Brückenfunktion in der Region bildet - und auch als ein wichtiger Investitionsstandort für deutsches Kapitals fungiert. Zudem will Berlin die Türkei weiterhin als „Türsteher” Europas bei der Eindämmung von Fluchtbewegungen benutzen.

Tomasz Konicz wurde 1973 in der polnischen Stadt Olsztyn geboren 

Warum handelt die Bundesregierung nicht?

Diesem Machtkalkül werden auch Demokratie- und Menschenrechtsfragen unterordnet. Die Doppelstandards der Bundesregierung in Menschenrechtsfragen werden gerade anhand des Schweigens im Fall Öcalan, wie generell in der kurdischen Frage deutlich. Während bei Auseinandersetzungen mit Russland oder China schnell die „Menschenrechtskarte” gespielt wird, herrscht in Berlin ein bedrückendes Schweigen, wenn es um Öcalan, die türkische Besatzungspolitik in den kurdischen Regionen Nordsyriens, oder die massiven Menschenrechtsverleitungen in der Türkei geht.

Was denken Sie, warum Abdullah Öcalan sich noch immer im Gefängnis befindet?

Freiheit für Öcalan - oder generell ein Kurs auf Frieden und Entspannung in der Kurdenfrage, der einen friedlichen Wandel in der Türkei ermöglichen würde, wird vom Erdogan-Regime als Bedrohung der eigenen Macht wahrgenommen. Was immer gerne im Westen vergessen wird: Die gegenwärtige Phase der militärischen Auseinandersetzung, eingeleitet 2015 durch das Suruç-Massaker, wurde maßgeblich vom Erdogan-Regime initiiert, um dem Popularitätsgewinnen der linken, prokurdischen HDP mit einer Strategie der Spannung, mit dem militärischen Vorgehen in den kurdischen Regionen im Südosten des Landes entgegenzutreten. Es zeichnete sich vor 2015 nämlich eine politische Konstellation ab, in der die AKP ihrer strukturellen Mehrheit bei Wahlen verlustig gehen konnte.

Welche Lösungsperspektiven sehen Sie?

Ich glaube, Frieden für Kurdistan und Freiheit für Öcalan haben folglich in der Türkei nur dann eine Perspektive, wenn die AKP entmachtet wird - oder wenn sie vom Krieg gegen die kurdische Bewegung nicht mehr politisch profitiert.