Karayilan: Zerschlagungsplan ist nicht aufgegangen - 2

In einer Analyse des Jahres 2018 stellt Murat Karayilan (PKK) fest, dass der türkische Staat keines seiner Ziele zur Zerschlagung der kurdischen Befreiungsbewegung erreicht hat.

Als Mitglied des Exekutivrats der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) hat sich Murat Karayilan zu den Entwicklungen im Jahr 2018 geäußert. Während er im gestern veröffentlichten Teil der ANF-Reportage auf den Verlauf seit dem Friedensaufruf Abdullah Öcalans 2013 eingegangen ist, geht es im heutigen Abschnitt um die veränderte Kriegsführung der türkischen Armee, die Repression gegen alle fortschrittlichen Kreise in der Türkei und die Besatzung von Efrîn. Trotz seines erklärten Zerstörungswillens hat der türkische Staat seine gesetzten Ziele nicht erreicht, erklärt Murat Karayilan:

„Der neoosmanische Traum basiert auf der Unterdrückung der Befreiungsdynamik des kurdischen Volkes in allen Teilen Kurdistans. So wie die Republik Türkei in den 1920er Jahren auf der Niederschlagung aller Anzeichen des Widerstands in Nordkurdistan aufgebaut wurde, soll jetzt das Ein-Mann-Regime unter der Bezeichnung ‚Präsidialsystem‘ durch die Unterdrückung des kurdischen Befreiungskampfes ausgebaut werden.

Dieses Regime ist aus einem Konzept hervorgegangen, das neben der Vernichtung der kurdischen Befreiungsbewegung auch die Zerschlagung aller fortschrittlichen, demokratischen und sozialistischen Strukturen in der Türkei und der gesamten Region vorsieht. Dafür ist 2016 eine Offensive gestartet worden, die für das faschistische Regime in der Türkei einem Überlebenskampf gleichkommt.

Ein auf Luftwaffentechnik basierender Krieg

In diesem Rahmen wurde eine auf Luftwaffentechnik basierende Kriegsführung geplant, weil die türkische Armee mit Bodentruppen nichts erreichen konnte und ständig Niederlagen erlitt. Es wurden Unsummen dafür ausgegeben, um den Kampf gegen die Guerilla Kurdistans vom Boden in den Luftraum zu verlagern. In ganz Kurdistan wurden Militäroperationen gestartet, die von umfassenden Luftangriffen begleitet wurden. Parallel dazu wurden am 4. November 2016 die HDP-Vorsitzenden und Abgeordneten verhaftet und später in allen kurdischen Kommunalverwaltungen staatliche Treuhänder eingesetzt.

Auch 2017 gelang die Zerschlagung nicht

Das Ziel des türkischen Regimes war die Zerschlagung der Guerilla im Winter 2016/2017. Der Zeitraum wurde sogar öffentlich angekündigt, aber der Plan scheiterte. 2017 wurde großer Widerstand geleistet. Trotz des umfassenden Luftkrieges, intensiver diplomatischer Bemühungen, psychologischer Kriegsführung auf Imrali und der totalen Repression gegen kurdische Strukturen in der Türkei konnte das Regime nicht die gewünschten Resultate erzielen, weil die Guerilla weiter standhielt. Damit wurde es unmöglich gemacht, dass der türkische Staat sein für 2017 geplantes Ziel erreicht.

Auf 2018 verschoben

Was dem türkischen Staat 2017 nicht gelang, sollte 2018 umgesetzt werden. Um den kurdischen Befreiungskampf endgültig zu zerschlagen, setzte der türkische Staat 2018 alles auf eine Karte. Bereits seit 2015 wurde die Nähe zu Russland gesucht, wobei die geostrategische Position der Türkei zur Verhandlungsmasse gemacht wurde. Auf dieser Grundlage ließ Russland es zu, dass die türkische Armee nach Dscharablus und al-Bab vorrückte.

Die kurdische Frage als Schwachstelle der Türkei

Den großen Staaten der kapitalistischen Welt, die im Mittleren Osten um Hegemonie ringen, war die Schwachstelle des AKP/MHP-Regimes bekannt: Die kurdische Frage. Es entstand ein diplomatischer Umgang, der darauf hinausläuft, dass von der Türkei alles zu kriegen ist, wenn die Gegenseite eine antikurdische Haltung einnimmt. Das Hauptthema und die Strategie der AKP/MHP-Diplomatie beruhen auf der Kurdenfeindlichkeit. Russland verhielt sich angesichts dieser Ausgangslage pragmatisch und benutzte die Region, um wirtschaftlich und politisch von der Türkei zu profitieren

Zum Hauptziel der Planung des türkischen Staates für 2018 zählte Imrali. Es wurden alle Maßnahmen ergriffen, um zu verhindern, dass Abdullah Öcalan Einfluss auf die Entwicklungen ausübt. Gegen die kurdischen Politikerinnen und Politiker wurde ein unerbittlicher Vernichtungsfeldzug durchgeführt, Zehntausende wurden verhaftet. Um die Gesellschaft einzuschüchtern, wurden faschistische Maßnahmen angewendet. Das türkische Regime wollte endlich Resultate sehen. Um die Guerilla zu zersetzen, das Guerillasystem zu zerschlagen und die Kommandoebene auszuschalten, wurden heftige Angriffe durchgeführt. Die Luftangriffe auf die Medya-Verteidigungsgebiete in den letzten drei Jahren sind umfassender als irgendein anderer Luftkrieg auf der Welt. Sie übertreffen Vietnam um ein Vielfaches. Auch in Nordkurdistan wurden tonnenweise Bomben abgeworfen, aber in den Medya-Verteidigungsgebieten geht es darum, die Kommando- und Kontrollebene zu treffen und arbeitsunfähig zu machen. Darum finden ununterbrochen Luftschläge in Begleitung von Aufklärungsflügen statt.

Das Guerillasystem besteht weiter

Auch damit wurde nicht das gewünschte Resultat erzielt. Der türkische Staat versuchte es bei einzelnen Mitgliedern der Guerilla und wollte die Leitung ausforschen. Er wollte sie in eine Falle locken, unter seine Kontrolle bekommen und darüber vernichten. Das Hauptziel war die Zerschlagung des Guerillasystems und die Vernichtung der Kommandoebene. Trotz all dieser grenzenlosen Angriffe besteht das Guerillasystem heute in allen Gebieten weiter und hat seine Funktionsfähigkeit nicht verloren.

HDP nicht an der Wahlhürde gescheitert

Auch die politische Ebene, auf der sich demokratische Kreise aus Kurdistan und der Türkei vereint haben, wurde sehr heftig angegriffen. Im besonderen Fokus standen die kurdische Jugend und die kurdischen Frauen. Mit Verhaftungen und Folter sollte die Gesellschaft eingeschüchtert, zur Passivität gebracht und zum Rückzug gezwungen werden. Das Ziel der faschistischen Unterdrückung der kurdischen Politik sowie der linken, sozialistischen und demokratischen Kreise in der Türkei war es, die HDP bei den Wahlen an der Wahlhürde scheitern zu lassen. Die Wahlergebnisse vom 24. Juni 2018 zeigten jedoch, dass die AKP/MHP-Regierung trotz ihres brutalen Vorgehens ihr Ziel nicht erreichen konnte.

Die Revolution von Rojava konnte nicht erstickt werden

Der heftigste und umfassendste Angriffsplan des türkischen Staates für 2018 wurde in Rojava umgesetzt. Das Ziel des Angriffs auf Rojava war nicht nur die Besatzung von Efrîn. Darüber hinaus sollten die Kräfte der internationalen Koalition, die in Zusammenarbeit mit den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) gegen den IS kämpften, zu einer Positionierung gezwungen werden. Auf diese Weise sollten die internationalen Beziehungen der revolutionären Kräfte in Rojava und Nordsyrien gekappt werden. Nach Efrîn wurde der Angriff auf Minbic (Manbidsch) und anschließend auf die Gebiete östlich des Euphrat geplant, um die Revolution von Rojava zu ersticken. Das war die Zielsetzung des türkischen Staates. Der Besatzung Efrîns wurde zugestimmt, weil Russland dafür etwas von der Türkei bekam und weil die westliche Mächte des globalen Kapitals, insbesondere die USA, die Entwicklungen fürchteten, die durch die Vorstellungen Abdullah Öcalans ausgelöst wurden. Diese Entwicklungen sollten gestoppt werden, weil sie den eigenen Interessen nicht entsprachen. Die Apo-Bewegung musste aufgehalten werden, um ein Übergreifen des revolutionären Prozesses auf ganz Syrien und sogar auf die gesamte Region zu unterbinden. Das galt nicht nur für Russland, sondern auch für die anderen Großmächte, die das internationale Kapital vertreten.

Davon profitierte der türkische Staat und besetzte Efrîn. Weiter kam er jedoch nicht. Sein eigentliches Ziel war nicht nur die Besatzung von Efrîn, sondern die Zerschlagung der Revolution von Rojava. In Efrîn verlief jedoch nicht alles nach Plan. Der Widerstand von Efrîn war heldenhaft und stellte eine kräftige Antwort auf die türkischen Kräfte dar. Dann mussten die Widerstandskräfte jedoch ihre Taktik ändern, weil es nicht gelungen war, die notwendigen Vorbereitungen vollständig zu treffen, die Verbindung zwischen den kämpfenden Einheiten und den Massen in eine tragfähige organisatorische Kraft umzuwandeln und die eigene Planung wie vorgesehen umzusetzen.

Letztendlich ist es dem türkischen Staat jedoch nicht gelungen, die Revolution von Rojava und das System in Nord- und Ostsyrien zu zerschlagen. Somit hat er auch hier sein Ziel nicht erreicht."

Morgen: Die Fortsetzung des internationalen Komplotts und die Besatzungspläne für Südkurdistan